10. März 1943: In Wattenscheid werden die Familien Karl und Charlotte Steinbach mit 6 Kindern, Heinrich und Dora Steinbach mit ihrem Sohn
Robert (die Söhne Josef, Karl und Wilhelm wurden schon vorher in KZ-Lager eingeliefert), ihre Schwägerin Rosette Steinbach mit 7 Kindern sowie die Familie August Weiß von der Polizei abgeholt. In Bochum
waren es die Familien Robert Bern mit der Ehefrau Josefa und 5 Kinder, die Familien Heinrich und Friedrich Lagerin, die Familie Nikolaus Pfaus mit Geschwistern und Kindern, die Roma-Familie des
Fuhrunternehmers Johann Rosenberg und andere mehr. |
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Sie alle werden am 11. März zusammen mit vielen anderen Sinti und Roma aus der Umgebung Bochums am Nordbahnhof in einen Zug mit Viehwaggons verfrachtet und nach Auschwitz
geschickt. In Auschwitz waren sie mit 23.000 anderen Sinti und Roma in einen abgegrenzten Teil des Vernichtungslagers eingesperrt. Die meisten von ihnen starben durch Unterernährung, Seuchen und
Misshandlungen, viele auch durch die „medizinischen” Menschenversuche, die gewissenlose Ärzte an ihnen durchführten. Am 16. Mai 1944 sollte das „Zigeunerlager” liquidiert werden, dieser Versuch
scheiterte, da die verzweifelten Männer Widerstand leisteten. In den folgenden Wochen wurden die Arbeitsfähigen in andere Lager verbracht. Die übrigen 2.897 Sinti und Roma wurden kurz vor der Befreiung des
KZ durch die Rote Armee nach heftigem Widerstand auf Lastwagen geladen, in den Gaskammern des Krematoriums 5 vergast und anschließend in den Gruben beim Krematorium verbrannt.In Bochum war KPWm Stemmann
von der Polizei für den Terror gegen „Zigeuner” zuständig. Er hatte viele Verhaftete geprügelt und misshandelt. Trotzdem hat er die „Entnazifizierung” ohne Schwierigkeiten überstanden und noch jahrelang den
Polizeidienst ausgeübt. Die wenigen überlebenden Sinti und Roma hatten später immer wieder mit dem Peiniger aus der Nazizeit zu tun, wenn es um ihre „Wiedergutmachungs”-Anträge ging. Von seiner Aussage
hing oft die Bewilligung der ohnehin schon geringen „Entschädigung” von 150,00 DM je Monat KZ-Haft ab. Deutsche Gerichte haben es immer wieder abgelehnt, die Verhaftung aus rassistischen Gründen
anzuerkennen, und stattdessen die Aussage der Nazis übernommen, dass die Verhaftung erfolgte, weil es sich um Asoziale handelte. „Asozial” war z.B. Siegfried Rosenberg, der im Fuhrgeschäft seines Vaters
arbeitete. Er hatte eine deutsche Freundin, (dass er selbst auch Deutscher war, spielte bei den Rassenideologen keine Rolle) und das war Rassenschande. Siegfried Rosenberg wurde am 18. Dezember 1942 nach
Dachau deportiert. Ihm wurde die Nummer 41392 in den Arm tätowiert. Als Häftling der Kategorie „AZR” (Arbeitszwang Reich) erhielt er einen schwarzen Winkel. Er erlebte dort das, was andere Häftlinge
ebenfalls erleben mussten: Schwerste Arbeit im Steinbruch, wenig und schlechtes Essen, meist nur Steckrüben und ständige Misshandlungen und Beschimpfungen. Mit den Worten „mir gefällt sein Kopf nicht” und
„mir gefällt sein Gesicht nicht” wurde ihm häufig mit harten Gegenständen auf den Kopf geschlagen. Einmal war er so besinnungslos geprügelt worden, dass er erst wieder wach wurde, als er mit verbundenem Kopf
im Revier lag. Ein anderes Mal wurde ihm durch Schläge von den SS-Schergen eine Ohrverletzung zugefügt, die ihm für den Rest seines Lebens Schwindelgefühle und eine schmerzende Narbe bescherte. Eine andere
Misshandlung schildert er später so: „Ich musste die Hand auf den Tisch halten, dann schlug ein SS-Mann mit der Schere darauf.” Dieses Spiel wiederholte sich so oft, bis die Schere durch die Hand gedrungen
ist. Davon zeugen zwei Narben an der rechten Hand. Ihm wurde von den Wachleuten mit den SS-Stiefeln so heftig auf den Fuß getreten, dass der Knochen auseinandergegangen war. Die harte Arbeit, Hunger,
Hitze oder Kälte haben Auswirkungen: Starker Durchfall führte zu Typhusverdacht, eine Lungenentzündung mit Entzündung des Rippenfells wirft ihn fast um. Am 12. Dezember 1944 kommt Siegfried Rosenberg nach
Buchenwald. Kurz vor der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers wird er noch einmal auf einen Todesmarsch geschickt. Am 13. April 1945 wird die Marschkolonne von der amerikanischen Armee in Langenberg bei
Gera befreit. Siegfried Rosenberg beantragt nach seiner Rückkehr nach Bochum Entschädigung für die Zeit seiner KZ-Haft aus rassischen Gründen. Am 1. Juni 1960 (nach 15 Jahren!) wird ihm eine
„Entschädigung“ von 3.750,--DM für die Zeit vom 1. März 1943 bis zum 13. April 1945, dem Tag seiner Befreiung, zugesprochen. Die Zeit seiner Verhaftung am 14. November 1942 kann in den Augen des Gerichtes
nicht als rassische Verfolgung anerkannt werden, „da die Verfolgung der Zigeuner aus den Gründen der Rasse erst nach Erlass des sogenannten Auschwitz-Erlasses – bekanntgegeben mit Schnellbrief des RSHA
vom 29.1.1943 - am 1.3.1943 einsetzte (vergleiche auch Urteil des Bundesgerichtshofs, RzW 56, 113).” Erst am 12. Januar 1966 wird auch diese Zeit als Zeit der Verfolgung anerkannt und es werden
weitere 600,-- DM Entschädigung gezahlt. So wie ihm ging es den meisten überlebenden Sinti und Roma in der Bundesrepublik. Sie fühlen sich heute immer noch nicht rehabilitiert und anerkannt. Lutz Berger |