Antifaschistische Bochumer Blätter
Information der VVN - Bund der Antifaschisten; Nr. 1/2003

Home
Seite 1
Seite 2
Seite 3
Seite 4
Seite 5
Seite 6
Seite 7
Seite 8
Seite 9
Termine

30. Januar 1933
Hitler an die Macht gehievt
Die Legende von der „Machtergreifung”

Sie wurde umgebracht, als sie gerade 14 Jahre alt war: Die Weimarer Republik, der erste deutsche Staat mit einer demokratischen Verfassung, starb am 30. Januar 1933, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde. SA, SS und Stahlhelm feierten diesen Erfolg mit gigantischen Fackelzügen. Kaum waren die Blasen an den Füßen der braunen Kolonnen verheilt, begann der Terror. „Notverordnungen” des Reichspräsidenten setzten wesentliche Grundrechte außer Kraft, die preußische Polizei wurde Hermann Göring unterstellt, der Staatsapparat von Hitlergegnern „gesäubert”, überall im Deutschen Reich wurden Nazigegner verhaftet, gefoltert und ermordet. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933 gab es keine politische Kraft mehr, die der Diktatur ernsthaften Widerstand entgegensetzen konnte ...
Die leiblichen Väter der Republik waren meuternde Matrosen und Soldaten gewesen. Diese hatten im Herbst 1918 den längst verlorenen 1. Weltkrieg beendet: Sie setzten ihre Offiziere ab und gingen nach Hause, bildeten nach russischem Vorbild Arbeiter- und Soldatenräte und jagten den letzten deutschen Kaiser ins Exil. Dann setzten sich rechte Sozialdemokraten an die Spitze der Revolution: Zu Beginn des 1. Weltkrieges hatten sie mit dem Kaiser und seinen Generälen noch einen „Burgfrieden” geschlossen, 1918/1919 sorgten sie dafür, dass aus der Revolution nur ein Revolutiönchen wurde.

Heraus kam eine sehr unfertige Demokratie: Auf der einen Seite gab es endlich das allgemeine Wahlrecht und den lange geforderten 8-Stunden-Arbeitstag; auf der anderen Seite blieb die alte Ordnung im Wesentlichen erhalten: Die Unternehmer behielten die Bergwerke und Fabriken, und Polizei, Reichswehr und Justiz sorgten mit Mordaktionen und Unrechtsurteilen dafür, dass sich daran nichts änderte.

Das schwerste Erbe, das diese Republik zu tragen hatte, waren die Folgen des 1. Weltkrieges: Die letzten Kaisertreuen und die ersten Nazis schürten den Hass gegen jene, die den Friedensvertrag von Versailles unterschrieben hatten. Und die kapitalistischen Siegermächte machten mit Deutschland das, was Deutschland mit den 1914 überfallenen Staaten geplant hatte: Sie plünderten das Land mit Reparationsforderungen aus. Als die Weltwirtschaftskrise von 1929 dafür sorgte, dass es in Deutschland acht Millionen Arbeitslose und nie geahnten Lohn- und Sozialabbau gab, sahen die Rechten ihre Chance: Sie wollten den „demokratischen Unfug” beseitigen und zugleich den Revanchefeldzug für die Niederlage von 1918 vorbereiten. Was ihnen fehlte, war ein Politiker, der diese Ziele massenwirksam unterstützte. Der Mann, den sie suchten, hieß Adolf Hitler.

Bis 1930 war dessen NSDAP eine relativ kleine Partei gewesen, die von den Spenden einzelner Unternehmer gelebt hatte. So brüstete sich der Stahlfabrikant Thyssen 1939 in England mit einem Buch, das den Titel „I Payed Hitler” trug: „Ich bezahlte Hitler.” Vor den Reichstagswahlen 1930 aber vervielfältigten sich diese Spenden derart, dass die NSDAP einen für damalige Verhältnisse gigantischen Propagandafeldzug starten konnte. Das Resultat: Mit 107 Abgeordneten stellte sie nach der SPD (143) und vor Zentrum (87) und KPD (77) die zweitstärkste Fraktion im Reichstag, der schrittweise entmachtet wurde: Reichspräsident Hindenburg erließ bis 1933 mehr Notverordnungen, als der Reichstag Gesetze.

Einige Stationen der „Machtergreifung” in Bochum

Februar 1933:

Die Hegelschule in Gerthe wird von den Nazis als Folterstätte missbraucht (6 Ermordete). Ebenso das Kosthaus Stahlhausen, die Schule an der Hordeler Heide, die Plutogaragen am Nordring, die Ziegelei Niederwestermann an der Kaltehardt ...

März 1933:
Errichtung eines der ersten Konzentrationslager auf dem Gelände der Zeche „Gibraltar”

11. März 1933:
SA besetzt das Rathaus und setzt Oberbürgermeister Dr. Ruer ab. Ebenso wird das Haus des Bergarbeiterverbandes besetzt.

12. März 1933:
Nazipleite bei der Kommunalwahl: Die NSDAP kommt nur auf 39,4 %.

April 1933:
Erste Boykottaktionen gegen jüdische Geschäftsleute.

2. Mai 1933:
Besetzung des ADGB-Gewerkschaftshauses

Um das selbstfabrizierte Chaos zu beenden, brauchte man einen „starken Mann”. Aber Hitler war noch nicht „gesellschaftsfähig” – bis zum 27. Januar 1932. Da durfte der „Führer” vor rund 600 Unternehmern im Düsseldorfer Industrieklub (dem heutigen Hotel Steigenberger) seine Vorstellungen von einem „starken Deutschland” erläutern. Jetzt floss das Geld in Strömen – und bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 kam die NSDAP auf 230 Mandate.
Doch dieser Reichstag wurde nicht alt. Schon am 6. November gab es Neuwahlen, bei denen die NSDAP auf 196 Mandate zurückfiel, während SPD und KPD zusammen auf 221 kamen. Eine Trendwende? Was würde geschehen, wenn die verfeindeten Arbeiterparteien sich verbündeten?

Hitlers „Sponsoren„ griffen ein. In einem Schreiben vom 19. November forderten zahlreiche Bankiers und Unternehmer, darunter Fritz Thyssen, Albert Vögler und Fritz Springorum (!), von Hindenburg die Ernennung Hitlers zum Kanzler – demütig, aber unmissverständlich. Doch der greise Feldmarschall verschliss mit Reichswehrminister von Schleicher noch einen weiteren Kanzler, bevor er dem Drängen der Industrie und der Banken nachgab.

Die Nazis feierten diesen Erfolg als „Machtergreifung”, und noch lange Zeit nach dem 2. Weltkrieg wurde dieser Begriff von Politikern und Historikern kritiklos nachgebetet. Doch Hitler wurde an die Macht gehievt – mit den Finanzspritzen und der politischen Förderung aus Häusern wie Thyssen und Krupp, Stinnes und Oetker. Und der braune „Führer” bedankte sich – u.a. damit, dass die Industrien der nach 1939 eroberten Länder sofort in den Besitz deutscher Unternehmer übergingen. Sie verdienten, während die deutschen Landser starben – oftmals im Glauben, sie fielen für das „Vaterland”.

Reinhard Junge