23.06.06, 12.00 Uhr
Dokumentation eines Justizskandals
Friedensplenum bittet um Spenden
In einem "bo-alternativ-special" wird der Justizskandal im Zusammenhang mit der Verurteilung von Hannes Bienert
dokumentiert. Hier ist auch der Beschluss
des Landgerichtes zu finden. Der richterliche Text endet mit
dem Satz: "Im Interesse der Einhaltung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes zur Wahrung der öffentlichen
Sicherheit und der Rechtstreue der Bevölkerung im Hinblick hierauf ist die Verhängung einer Geldstrafe
geboten."
Das Bochumer Friedensplenum hat es übernommen, das Geld für die Strafe, das Gerichtsverfahren und das
Honorar des Anwaltes von Hannes Bienert (insgesamt ca. 1500 Euro) aufzubringen: Spenden können mit dem Stichwort
Hannes Bienert auf das Konto des Bochumer Friedensplenums bei der Stadtsparkasse Bochum - BLZ 430 500 01 - Kontonummer
1 394 709 überwiesen werden.
23.06.06, 12.00 Uhr
Amtsrichter Dr. Ralf Feldmann kritisiert Polizei und Justiz im Fall Bienert:
"Das Bedürfnis, einen 78-jährigen Rentner nach der Erinnerung an die Reichspogromnacht zu strafen,
war offenbar übermächtig."
Der Bochumer Amtsrichter Dr. Ralf Feldmann hat in einem Kommentar zur Verurteilung von Hannes Bienert Polizei und
Justiz kritisiert. Das Landgericht Bochum war zu dem Ergebnis gekommen, dass Hannes Bienert sein Gewissen nicht
genügend angespannt hätte um einen Verbotsirrtum zu vermeiden. Dem hält Ralf Feldmann entgegen:
"Vermeidbar wäre der Verbotsirrtum allerdings gewesen, wenn die Polizei als Versammlungsbehörde
ihn durch entsprechenden Hinweis aufgeklärt hätte. Die Kranzniederlegung war in der Lokalpresse angekündigt
worden. Auch das unangemeldete Vorhaben stand unter dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gemäß
Art 8 GG. Bürger, die sich öffentlich frei versammeln wollen, haben dabei Anspruch auf Hilfe und Förderung
durch eine grundrechtsfreundliche Polizei als Versammlungsbehörde. [...] Bleibt indes ein für die Versammlungsbehörde
erkennbarer Verbotsirrtum eines Bürgers aufrecht erhalten, weil sie die gebotene und zumutbare Aufklärung
darüber unterlässt, dann ist er für den irrenden Bürger unvermeidbar im Sinne des § 17
StGB. Es wäre für einen Rechtsstaat nicht nur widersprüchlich sondern unerträglich, versammlungsrechtliche
Unterstützung zu versagen, um dann zu strafen.
Das Erinnern an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, das Hannes Bienert jedes Jahr in Wattenscheid am 9. November
wach hält, ist engstens verknüpft mit dem Grundanliegen unserer Verfassung. [...] Eine Versammlung im
Geist der Grundintention unserer Verfassung ist deshalb nicht nur, wie das erstinstanzliche Urteil, ohne die Bedeutung
für den Verbotsirrtum auszuloten, allein bei der Strafzumessung zurückhaltend festhält "insgesamt
billigens- und unterstützenswert", sondern hat mehr noch als andere Demonstrationen einen besonderen
Anspruch auf Hilfe und Förderung der Polizei als Versammlungsbehörde. Hätte Hannes Bienert diese
Hilfe erhalten, gäbe es kein Strafverfahren gegen ihn. All diese tatsächlichen Zweifel und rechtlichen
Einwände gegen die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bleiben in den Gerichtsentscheidungen ausgeblendet. Das
Bedürfnis, einen 78-jährigen Rentner nach der Erinnerung an die Reichspogromnacht zu strafen, war offenbar
übermächtig." Der Kommentar
im Wortlaut.
21.06.06, 23.00 Uhr
Furchtbare JuristInnen in Vollendung
Bochumer Landgericht weist Berufung von Hannes Bienert schriftlich
ab
In einer Trauergemeinde von fünf Menschen gedachte Hannes Bienert (Foto) am 9. November 2004 am Ort der früheren
Synagoge in Wattenscheid der Opfer der Reichspogromnacht von 1938, ohne dies der Polizei vorher anzuzeigen. Dafür
verurteilte ihn das Amtsgericht Bochum zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 Euro wegen Verletzung
des Versammlungsgesetzes, weil man eine öffentliche Versammlung anmelden muss und nach herrschender Rechtsansicht
bereits drei Menschen eine Versammlung bilden. Das Landgericht Bochum hat seine Berufung nicht angenommen und ohne
erneute mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen. Zur Geldstrafe kommen nun Verfahrenskosten von
weit über 1000 Euro. Die zuständige Richterin beim Landgericht verneint, dass es sich in diesem Fall
um einen vermeidbaren Verbotsirrtum handelt. Hannes Bienert habe - so die Begründung der Ablehnung der Berufung
- sein Gewissen nicht genügend angespannt und seine sittlichen Wertvorstellungen nicht eingesetzt um zu erkennen,
dass eine Kranzniederlegung zu fünft im Gedenken an die jüdischen Opfer der Nazibarbarei den Gang zur
Polizei voraussetze. Ein prominenter Bochumer Jurist fragt: "Welche Anspannung des Gewissens und welche sittlichen
Wertvorstellungen lässt dagegen diese Strafverfolgung erkennen?" Eine ausführliche Dokumentation
und Kommentierung dieses Justizskandals folgt auf bo-alternativ.de.
Zur Erinnerung: Prominente BochumerInnen schrieben einen offenen Brief an die Bochumer
Staatsanwaltschaft und formulierten ihre Empörung über die Kriminalisierung des Gedenkens an die Reichspogromnacht.
Ihr Fazit: "Diese Anklage ist ein Tiefpunkt der Rechtskultur in Bochum. Eine Staatsanwaltschaft, die dafür
verantwortlich ist, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt." Ankläger war Staatsanwalt Petlalski,
das Urteil sprach Amtsrichter Pattard, die Berufung abgelehnt hat nun die Richterin am Landgericht Sandmann. Nach
der Verhandlung vor dem Bochumer Amtsgericht meinte ein anwesender Hochschullehrer in Anspielung auf Hochhuths
"Juristen" über Richter und Staatsanwalt: "Das ist das Holz aus dem furchtbare Juristen geschnitzt
sind."
10.11.05.23.00 Uhr
Eindrücke
Die Ansprache von Kantor Frank Yaákov Barth, die er am gestrigen 9. November vor der Gedenktafel für
die zerstörte Synagoge in Wattenscheid hielt, liegt nun im Wortlaut vor. Ferner sind jetzt weitere Fotos von der Gedenkfeier
vorhanden.
12.11.05.23.00 Uhr
Attac campus: "Justizverirrung'' im Fall Hannes Bienert
Attac Campus Bochum hält das Urteil des Amtsgerichts
Bochum gegen den Antifaschisten Hannes Bienert "für eine Justizverirrung." Attac campus weiter::
"Es ist eine ungeheure Dreistigkeit, das Gedenken an die Verbrechen des Naziregimes zu kriminalisieren. Im
täglichen Umgang der Judikative und Exekutive mit den BürgerInnen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gewahrt werden. Gerade in Zeiten, in denen die Shoa immer mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwindet,
wird das Wachhalten dieser Erinnerungen immer wichtiger."
10.11.05.18.00 Uhr
Soziale Liste Bochum verurteilt die Nazi-Provokation im Wattenscheider
Rathaus
In einer Pressemitteilung verurteilt die Soziale Liste Bochum "die ungeheuerliche Naziprovokation während
der Gedenkveranstaltung der Bezirksvertretung Wattenscheid aus Anlass des 67. Jahrestages der Reichspogromnacht."
Weiter heißt es: "Die gestrigen Ereignisse um das Gedenken an die Reichspogromnacht werfen Fragen nach
der Rolle der Sicherheitsbehörden auf. Die Kranzniederlegungen am Mittag in der Wattenscheider Innenstadt
durch Hannes Bienert und Jupp Knop sowie Abordnungen von Gruppen, Parteien und Gewerkschaften wurden offensichtlich
von zivilen Polizeikräften, dem Staatsschutz und möglicherweise auch dem Verfasssungsschutz observiert.
Die gleichen Ordnungsbehörden waren wenige Stunden später jedoch nicht in der Lage, die Veranstaltung
der Bezirksvertretung Wattenscheid zum Gedenken an die Reichs-pogromnacht vor neonazistischen Tätern zu schützen." Im Wortlaut.
09.11.05.23.00 Uhr
Nazi-Provokation
Bei der heutigen offiziellen Gedenkveranstaltung der Bezirksvertretung Wattenscheid an die Reichspogromnacht entrollten
Nazis ein Transparent mit der Aufschrift "Schluss mit dem Schuldkomplex". Bei der gleichzeitig stattfindenden
Kundgebung auf dem Dr.-Ruer-Platz liefen Nazis vorbei und riefen antisemitische Sprüche.
09.11.05.23.00 Uhr
Der 9. November 2005 in Wattenscheid:
Damit die Nacht nicht wiederkehre!
Weil ein Bochumer Amtsrichter (siehe Meldung "furchtbare Juristen") es kürzlich
strafbar fand, wie Hannes Bienert im Gedenken an die Reichspogromnacht im letzten Jahr in Wattenscheid einen Kranz
niederlegte, war diesmal der Beginn der Aktion anders. Nur zu zweit (das ist versammlungsrechtlich nicht anmeldepflichtig)
ging Hannes Bienert mit einem langjährigen Freund (Foto links) zur Gedenktafel für die zerstörte
Wattenscheider Synagoge. Sie legten für die Antifa-Wattenscheid und die GEW-Wattenscheid einen Kranz nieder. Sie tragen Tafeln
mit der Aufschrift: "Damit die Nacht nicht wiederkehre!"
Im Abstand von einigen Minuten folgten dann RepräsentantInnen der VVN-BdA, des Bochumer Friedensplenums, der
DFG-VK, des Bahnhof Langendreer, der GEW Bochum, der PDS-Ratsfraktion und der Sozialen Liste, die ebenfalls Kränze
und Blumengebinde vor die Gedenktafel legten (Foto rechts). Etwa 50 Gäste (Foto unten) folgten der Demonstration
hinter dem Transparent "Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!" Hannes Bienert bedankte
sich bei den Anwesenden für die Solidarität, die er in den letzten Tagen erfahren hat. Karin Schiele,
GEW Bochum, verlas den Brief von Orna Birnbach. Der jüdische Kantor Frank Yaákov Barth beendet die Gedenkfeier mit
einem Rückblick auf den Jahrestag und schließt mit einem Gebet.
08.11.05.14.00 Uhr
In Sachen Hannes Bienert: Die KZ-Überlebende Orna Birnbach
wendet sich mit einem offenen Brief an Oberstaatsanwalt und Richter:
"Ich fordere Sie hiermit auf, dieses skandalöse Urteil zu revidieren!"
Orna Birnbach lebt in Tel Aviv, Israel. Als Kind hat sie mehrere Konzentrationslager überlebt. Mehrmals im
Jahr kommt sie nach Deutschland, um mit Jugendlichen ins Gespräch über die Shoah zu kommen. Am 9. November
2000 nahm sie zusammen mit Herrn Bienert und vielen Jugendlichen an der Gedenkfeier zur Reichpogromnacht in Wattenscheid
teil. Sie ist empört über das gegen Hannes Bienert verhängte Urteil. (siehe Meldung "furchtbare Juristen")
Sie hat der GEW Bochum einen Brief zur Kenntnis geschickt, den sie an Oberstaatsanwalt Schulte und Amtsrichter
Pattard geschrieben hat. Hierin heisst es u.a.: "Am 9. November 2000 habe ich, Orna Birnbach, Überlebende
des KZ Auschwitz, in Bochum-Wattenscheid, zusammen mit Herrn Johannes Biernert und vielen Schülerinnen und
Schülern einen Kranz niedergelegt an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge. Mehrmals im Jahr
besuche ich Deutschland, um Jugendlichen über die Gräuel des NS-Regimes zu berichten und um das Gedenken
an die Shoah wachzuhalten. Zu meinem Entsetzen habe ich nun von Bochumer Freunden erfahren müssen, dass Herr
Bienert wegen einer solchen Gedenkfeier vor Gericht musste und verurteilt wurde. Mir ist es absolut unverständlich
wie durch Formalitäten das eigentlich selbstverständliche Gedenken an die Opfer der Shoah kriminalisiert
und behindert wird. Auf der Veranstaltung im Jahr 2000 habe ich gesagt: „Hätte die deutsche Bevölkerung
damals nicht weg geguckt und geschwiegen, wäre die Katastrophe nicht möglich gewesen. Ich bitte Euch,
nicht zu schweigen und nicht weg zu sehen.“ Ich fordere Sie hiermit auf, dieses skandalöse Urteil zu revidieren!
07.11.05.19.00 Uhr
Kommentar der Redaktion von LabourNet:
Ihr seid nicht Bochum – Ihr seid nicht Deutschland
Das war kein Fehlurteil – Das war Deutschland.
In einem Kommentar von LabourNet heisst es: "Am 3. November 2005 wurde in Bochum wieder Recht gesprochen.
In Namen des Volkes. Ein 76 jähriger Bochumer Antifaschist wurde verurteilt. Wie wir berichteten, hatte er
am 9. November 2004 zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht im Jahre 1938, zusammen mit vier Gleichgesinnten,
einen Kranz an der Gedenktafel der zerstörten Synagoge in Bochum Wattenscheid niedergelegt. Der Mann heißt
Johannes Bienert, ist 76 Jahre alt und Antifaschist.
Er hatte allerdings einen Fehler begangen: er hat die Versammlung nicht genehmigen lassen.
Da denken 5 (fünf!) Bochumer Bürger daran, was in diesem Land vor 67 Jahren passiert ist, tragen Plakate
durch die Wattenscheider Fußgängerzone wie „9. November – damit die Nacht nicht wiederkehre“ oder „Faschismus
ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ und werden dafür verurteilt. Ja, natürlich! Hat wirklich irgendjemand
daran gezweifelt.
Hat wirklich irgendjemand daran gedacht, ausgerechnet ein Bochumer Richter springt über seinen eigenen Schatten,
stellt seine Zukunft in Frage, seine Karriere.
Warum sollte er dies tun, seine Begründung des Urteils war vermutlich formaljuristisch korrekt. Man hat ein
solches Urteil von ihm erwartet – er hat es geliefert. Der Mann hat nicht eine Sekunde darüber nachgedacht,
ob das „anständig“ war." Weiter.
06.11.05, 23.00 Uhr
Gedenken an die Reichspogromnacht in Wattenscheid
Die Kriminalisierung von Hannes Bienert mobilisiert das engagierte
Bochum
Das Urteil gegen Hannes Bienert (siehe Meldung "furchtbare Juristen"),
der erstinstanzlich verurteilt wurde, weil er im letzten Jahr eine Kranzniederlegung am Jahrestag der Reichspogromnacht
an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge in Wattenscheid nicht formal korrekt angemeldet hat, führt
zu beachtlichen Aktivitäten in diesem Jahr. Mehrere Organisationen haben angekündigt, dass sie sich demonstrativ
diesem Kriminalisierungsversuch entgegenstellen werden.
Das Bochumer Friedensplenum wird z. B. am Mittwochmittag erstmals einen Kranz an der Gedenktafel in Wattenscheid
niederlegen. Das Bochumer Friedensplenum ruft auch alle anderen engagierten BürgerInnen, Gruppen und Organisationen
dazu auf, an diesem Tag ein aktives Gedenken in Wattenscheid zu demonstrieren.
Treffpunkt ist um 12.00 Uhr, in der Fußgängerzone in Wattenscheid, Oststr. 40, vor dem Lebensmittelgeschäft,
das ehemals das Kaufhaus von Sally Schmidt war.
Um 17.00 Uhr veranstaltet die Bezirksvertretung Wattenscheid eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht.
Um 17.30 Uhr findet dann auf dem Dr. Ruer Platz in der Bochumer Innenstadt die Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht 1938
statt.
03.11.05, 21.00 Uhr
VVN-BdA: Skandalöses Urteil
Die VVN-BdA bezeichnet das heutige Urteil gegen Hannes Bienert als
skandalös: "Der Rechtskultur in Bochum wurde mit diesem Urteil ein schwerer Schaden zugefügt. Die
Anerkennung des Gedenkens an die Reichspogromnacht als einen Tatbestand zu bezeichnen, den man "durchaus billigend"
zu werten habe, ist ein Skandal. Für Hannes Bienert ist das Gedenken an die Zeit des Grauens Herzensangelegenheit.
Die VVN - BdA fordert dazu auf, die am kommenden 9. November stattfindende Kranzniederlegung durch eine entsprechende
Beteiligung auch als ein Zeichen der Solidarität mit Hannes Bienert und des Protestes gegen das Skandalurteil
zu begehen." Im Wortlaut.
Auch die Soziale Liste kristisiert das Urteil als "skandalös". Weiter heißt es: "Das
Gericht war offensichtlich nicht in der Lage, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und nahm eine
unterbliebene Demonstrationsanmeldung zum Anlass, das Gedenken von Bürgern an die Reichspogromnacht zu kriminalisieren.
Die Soziale Liste Bochum ist erschrocken, wie mit dem Bochumer Urteil eine Kontinuität der Tätigkeit
von 'furchtbaren Juristen' dokumentiert wird." Im Wortlaut.
Das Schlusswort von Hannes Bienert im heutigen Prozess liegt mittlerweile auch im Wortlaut vor.
03.11.05, 13.00 Uhr
Kranzniederlegung am 9. November 2004 führt zur Verurteilung
Lehrstück: Furchtbare Juristen
Mehrere Hundert Einträge findet die Internet-Suchmaschine "google",
wenn nach dem Begriff "furchtbare Juristen" gesucht wird. Fündig, was dieser Begriff wohl meinen
könnte, wurden heute nach Ansicht vieler Anwesender auch die ZuhörerInnen in einem überfüllten
Bochumer Amtsgerichtssaal. Ein anwesender Hochschullehrer meinte in Anspielung auf Hochhuths "Juristen"
über Richter und Staatsanwalt: "Das ist das Holz aus dem furchtbare Juristen geschnitzt sind." Angeklagt
war Hannes Bienert, weil er mit vier anderen Bürgern am 9. November (Jahrestag der Reichspogromnacht) 2004
an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge in Wattenscheid einen Kranz niederlegte. Staatsanwalt Petlalski
warf ihm vor, dies versammlungsrechtlich nicht korrekt angemeldet zu haben. Die Kranzniederlegung selbst nannte
Amtsrichter Pattard "billigenswert" und "honorig". Dass Hannes Bienert eine Kranzniederlegung
von fünf Personen nicht als Versammlung gewertet hat, die bei der Polizei angemeldet werden muss, ließ
der Richter nicht als Verbotsirrtum gelten. Ab drei Personen gelte die Anmeldungspflicht des Versammlungsgesetzes.
Das Urteil: 10 Tagessätze á 15 Euro. Im Gerichtssaal brach Tumult aus. Nicht nur den jüdischen
ZuhörerInnen war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
Vor dem Gerichtssaal feierten währenddessen stadtbekannte Nazis den Urteilsspruch.
Das Schlusswort von Hannes Bienert im heutigen Prozess wird im Laufe
des Tages auf dieser Seite veröffentlicht.
Gegen das Urteil wird Hannes Bienert Revision einlegen. Das Bochumer Friedensplenum wird weiterhin Rechtsschutz
übernehmen und für die Kosten des Verfahrens und eine evtl. Strafe aufkommen.
13.10.05, 22.00 Uhr
Grundsteinlegung für eine neue Synagoge in Bochum
Am Montag, dem 14. November, wird der Grundstein für die neue Synagoge an der Castroper Straße gelegt.
Zur Grundsteinlegung werden u.a. der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, Ilan Mor, Gesandter
der Botschaft Israels und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kommen. Im Anschluss wird zu einem Empfang
im benachbarten Planetarium geladen. Dort wird es drei Vorträge über die Geschichte des jüdischen
Lebens in dieser Region geben. Im Umgang des Planetariums wird das Projekt der neuen Synagoge für Bochum vorgestellt.
Erinnert wird gleichzeitig an die 1938 zerstörten Synagogen in Bochum, Wattenscheid, Herne, Wanne-Eickel und
Hattingen.
Elf Tage zuvor, am 3. November, findet um 9.00 Uhr vor dem Amtsgericht in Bochum der Prozess gegen Hannes Bienert
statt. Er hatte mit vier weiteren Personen am 9. November 2004 einen Kranz vor der Gedenktafel für die Wattenscheider
Synagoge niedergelegt und soll dabei gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben.
28.10.05, 20.00 Uhr
DGB und GEW appelieren an die Staatsanwaltschaft:
"Zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden"
Am Donnerstag, dem 3.11., steht Hannes Bienert (Foto) um 9.00 Uhr
vor dem Amtsgericht Bochum. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn an, am 9. November 2004 gegen das Versammlungsgesetz
verstoßen zu haben, als er am Jahrestag der Reichspogromnacht einen Kranz an der Gedenktafel für die
zerstörte Wattenscheider Synagoge niederlegte. (Siehe
Meldung vom 29.06.05). Ein erster Prozesstermin wurde aufgehoben.
Die Staatsanwaltschaft sollte prüfen, ob sie wirklich ihre Anklage aufrecht erhalten will. Sie will.
Karin Schiele und Gert Schäfer für die GEW in Bochum und Wattenscheid und Ludger Hinse als DGB-Vorsitzender
haben nun an den Leitenden Staatsanwalt u a.geschrieben: "Wie will ein Lehrer seinen Schülerinnen und
Schülern diese dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte vermitteln, wenn jemand, der an einem solchen Gedenktag
als Geste gegen das Vergessen als Zeichen der Trauer einen Kranz niederlegt und dann für sein Tun bestraft
wird. Ein wesentlicher Grundsatz pädagogischer Arbeit ist es, den jungen Menschen Orientierung und Leitlinien
zu vermitteln. Dazu gehört im politisch-gesellschaftlichen Bereich zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem,
zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu lernen. Eine Bestrafung von Johannes Bienert dafür, dass
er die Veranstaltung nicht den Polizei- und Ordnungsbehörden gemeldet hat, macht das Unwesentliche wichtig
und das entscheidend Wesentliche unwichtig. Jeder Mensch, ob allein oder in einer Gruppe, der sich auf den Weg
macht, am 9.November an einer jüdischen Gedenktafel einen Kranz zum Gedenken an die Opfer niederzulegen, muss
geschützt sein, sowohl vor den Anfeindungen und Übergriffen unbelehrbarer Rechtsradikaler als auch vor
staatlichen Sanktionen. Unser Appell von DGB und GEW geht an alle am Verfahren Beteiligten ein Zeichen dafür
zu setzen, dass im heutigen Deutschland für eine solche "Tat" niemand bestraft wird." Der Brief im Wortlaut.
Auch die VVN protestierte in einer Erklärung gegen die Kriminalisierung von Hannes Bienert. Für sie ist
"es unverständlich, dass das Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht als kriminelle Handlung betrachtet
wird." Nuray Boyraz von der Ratsgruppe der Sozialen Liste.erklärte: "Mit dem skandalösen Prozess
fällt ein tiefer Schatten auf das Gedenken an die Verbrechen der Nazis in der Reichspogromnacht vor 67 Jahren".
17.9.05.12.00 Uhr
Am 3. November, 9.00 Uhr, steht Hannes Bienert vor Gericht
Sechs Tage vor dem 67. Jahrestag der Reichspogromnacht steht Hannes Bienert vor Gericht, weil er im Jahr zuvor
einen Kranz an der Stelle niederlegte, wo früher die Synagoge in Wattenscheid stand. Er tat dies nicht allein.
Insgesamt gedachten fünf Bürger an die Verbrechen der Nazis. Mittäter waren u.a. ein jüdischer
Kantor und ein Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. Hannes Bienert hatte dies nicht als Versammlung
angemeldet. Mehrere Staatsschutzbeamte haben den Vorgang beobachtet, als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz
protokolliert und zur Anzeige gebracht. Die in solchen Angelegenheiten vor nichts zurückschreckende Staatsanwaltschaft
hat Anklage erhoben. Ein Amtsrichter hatte - evtl. ohne die Akte zu lesen - das Verfahren eröffnet und zum
Termin geladen. Nachdem es einen sehr heftigen Protest in der Öffentlichkeit gegen diesen Kriminalisierungsversuch
von antifaschstischer Arbeit gegeben hatte (siehe Meldung vom 29. 6. 2005), gab der Amtsrichter
den Vorgang an die Staatsanwaltschaft zurück. Sie sollte noch einmal vernünftig ermitteln. Die Staatsanwaltschaft
hat sich allerdings stur gestellt und Hannes Bienert als Serienstraftäter geoutet: Er legt schon seit Jahrzehnten
am 9. November einen Kranz an der selben Stelle nieder, ohne das ganze versammlungsrechtlich korrekt anzumelden.
Bei einem solchen Prozess vor dem Amtsgericht steht der Angeklagte vor einem Einzelrichter. Schöffen, die
ihren "gesunden Menschenverstand" in Gerichtsverfahren einbringen sollen, sind hier nicht vorgesehen.
Der offene Brief an die Staatsanwaltschaft
zu diesem Fall.
29.6.05.14.00 Uhr
Richterliche Korrektur
Die nachfolgende Meldung ist erfreulicher Weise nicht mehr ganz aktuell. Der zuständige Richter hat den Termin
am 7.7. gegen Hannes Bienert aufgehoben und die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen aufgefordert. Allen,
die in den letzten Stunden an bo-alternativ und das Friedensplenum geschrieben haben, dass sie den offenen Brief
an den Oberstaatsanwalt unterstützen, sei auf diesem Wege - auch im Namen des Friedensplenums - gedankt.
Die Justiz muss jetzt einen Weg suchen, wie die Peinlichkeit beendet wird.
29.6.05.10.00 Uhr
Hannes Bienert steht am 7. Juli, 9.00 Uhr vor Gericht:
Angeklagt wegen unangemeldetem Gedenkens an die Reichspogromnacht
"Herr Bienert (Foto) hat mir vor einigen Monaten über den Vorfall berichtet. Ich dachte, das sei ein
Witz. Natürlich unterschreibe ich den Brief", war die Reaktion eines der Unterzeichnenden eines offenen
Briefes an den leitenden Oberstaatsanwalt in Bochum. In dem Brief heisst es:"Sehr geehrter Herr Schulte, an
jedem 9. November der letzten 15 Jahre organisierte Hannes Bienert, Sprecher der Antifa WAT, in Wattenscheid eine
Gedenkfeier zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht 1938, die er damals als 10-jähriger
Junge miterlebte. Der 9. November 2004 soll ihm nun nach dem Willen der Staatsanwaltschaft Bochum zum strafrechtlichen
Verhängnis werden. Sie klagt ihn an, an diesem Tag mittags in Wattenscheid eine Gruppe von 5 ehrbaren Bürgern
- unter ihnen ein jüdischer Kantor und ein Studienrat des Märkischen Gymnasiums - durch die Oststraße
geführt zu haben mit einem Transparent, das die Aufschrift trug: " 9. November, damit die Nacht nicht
wiederkehre - Antifa Wattenscheid". [...] Die Staatsanwaltschaft sieht in dieser nicht angemeldeten Veranstaltung
ein strafbares Vergehen nach dem Versammlungsgesetz. Das Amtsgericht hat die Strafverhandlung auf den 7.Juli anberaumt.
Hannes Bienert verdient für seine jahrelange Erinnerungsarbeit öffentlichen Respekt, Dank und Anerkennung,
nie und nimmer aber Strafe. [...] Diese Anklage ist ein Tiefpunkt der Rechtskultur in Bochum. Eine Staatsanwaltschaft,
die dafür verantwortlich ist, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt. Hochachtungsvoll, Ralf Feldmann".
Dr. Ralf Feldmann ist Richter am Bochumer Amtsgericht. Er hat den Brief im Namen des Bochumer Friedensplenums geschrieben.
Mit ihrer Unterschrift unterstützen diesen Brief: Ludger Hinse, DGB-Vorsitzender Bochum; Annemarie Grajetzky,
Frauen für den Frieden in der Evangelischen Landeskirche Westfalen, Gruppe Bochum; Karin Schiele, GEW-Vorstand
Bochum; Gert Schäfer, GEW-Vorsitzender Wattenscheid; Serdat Yüksel, SPD-Unterbezirksvorstand Bochum;
Klaus Kunold, Vorsitzender der VVN/BdA Bochum; Ernst Lange, Vorsitzender der PDS-Ratsfraktion Bochum; Gabriele
Riedl, ehemalige Bürgermeisterin, Bochum; Dr. Hubert Schneider, Historiker, Vorsitzender des Vereins Erinnern
für die Zukunft; Prof. Dr. Reinhart Kößler, Friedensplenum Bochum. Der Brief im Wortlaut.