23.06.06, 12.00 Uhr
Dokumentation eines Justizskandals
Friedensplenum bittet um Spenden
In einem
"bo-alternativ-special" wird der Justizskandal im Zusammenhang mit der Verurteilung von Hannes Bienert dokumentiert. Hier ist auch der Beschluss des Landgerichtes zu finden. Der richterliche Text endet mit dem Satz: "Im Interesse der Einhaltung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und der Rechtstreue der Bevölkerung im Hinblick hierauf ist die Verhängung einer Geldstrafe geboten."
Das Bochumer Friedensplenum hat es übernommen, das Geld für die Strafe, das Gerichtsverfahren und das Honorar des Anwaltes von Hannes Bienert (insgesamt ca. 1500 Euro) aufzubringen: Spenden können mit dem Stichwort Hannes Bienert auf das Konto des Bochumer Friedensplenums bei der Stadtsparkasse Bochum - BLZ 430 500 01 - Kontonummer 1 394 709 überwiesen werden.


23.06.06, 12.00 Uhr
Amtsrichter Dr. Ralf Feldmann kritisiert Polizei und Justiz im Fall Bienert:

"Das Bedürfnis, einen 78-jährigen Rentner nach der Erinnerung an die Reichspogromnacht zu strafen, war offenbar übermächtig."

Der Bochumer Amtsrichter Dr. Ralf Feldmann hat in einem Kommentar zur Verurteilung von Hannes Bienert Polizei und Justiz kritisiert. Das Landgericht Bochum war zu dem Ergebnis gekommen, dass Hannes Bienert sein Gewissen nicht genügend angespannt hätte um einen Verbotsirrtum zu vermeiden. Dem hält Ralf Feldmann entgegen: "Vermeidbar wäre der Verbotsirrtum allerdings gewesen, wenn die Polizei als Versammlungsbehörde ihn durch entsprechenden Hinweis aufgeklärt hätte. Die Kranzniederlegung war in der Lokalpresse angekündigt worden. Auch das unangemeldete Vorhaben stand unter dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gemäß Art 8 GG. Bürger, die sich öffentlich frei versammeln wollen, haben dabei Anspruch auf Hilfe und Förderung durch eine grundrechtsfreundliche Polizei als Versammlungsbehörde. [...] Bleibt indes ein für die Versammlungsbehörde erkennbarer Verbotsirrtum eines Bürgers aufrecht erhalten, weil sie die gebotene und zumutbare Aufklärung darüber unterlässt, dann ist er für den irrenden Bürger unvermeidbar im Sinne des § 17 StGB. Es wäre für einen Rechtsstaat nicht nur widersprüchlich sondern unerträglich, versammlungsrechtliche Unterstützung zu versagen, um dann zu strafen.
Das Erinnern an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, das Hannes Bienert jedes Jahr in Wattenscheid am 9. November wach hält, ist engstens verknüpft mit dem Grundanliegen unserer Verfassung. [...] Eine Versammlung im Geist der Grundintention unserer Verfassung ist deshalb nicht nur, wie das erstinstanzliche Urteil, ohne die Bedeutung für den Verbotsirrtum auszuloten, allein bei der Strafzumessung zurückhaltend festhält "insgesamt billigens- und unterstützenswert", sondern hat mehr noch als andere Demonstrationen einen besonderen Anspruch auf Hilfe und Förderung der Polizei als Versammlungsbehörde. Hätte Hannes Bienert diese Hilfe erhalten, gäbe es kein Strafverfahren gegen ihn. All diese tatsächlichen Zweifel und rechtlichen Einwände gegen die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bleiben in den Gerichtsentscheidungen ausgeblendet. Das Bedürfnis, einen 78-jährigen Rentner nach der Erinnerung an die Reichspogromnacht zu strafen, war offenbar übermächtig."
Der Kommentar im Wortlaut.
21.06.06, 23.00 Uhr
Furchtbare JuristInnen
in Vollendung
Bochumer Landgericht weist Berufung von Hannes Bienert schriftlich ab
In einer Trauergemeinde von fünf Menschen gedachte Hannes Bienert (Foto) am 9. November 2004 am Ort der früheren Synagoge in Wattenscheid der Opfer der Reichspogromnacht von 1938, ohne dies der Polizei vorher anzuzeigen. Dafür verurteilte ihn das Amtsgericht Bochum zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 Euro wegen Verletzung des Versammlungsgesetzes, weil man eine öffentliche Versammlung anmelden muss und nach herrschender Rechtsansicht bereits drei Menschen eine Versammlung bilden. Das Landgericht Bochum hat seine Berufung nicht angenommen und ohne erneute mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen. Zur Geldstrafe kommen nun Verfahrenskosten von weit über 1000 Euro. Die zuständige Richterin beim Landgericht verneint, dass es sich in diesem Fall um einen vermeidbaren Verbotsirrtum handelt. Hannes Bienert habe - so die Begründung der Ablehnung der Berufung - sein Gewissen nicht genügend angespannt und seine sittlichen Wertvorstellungen nicht eingesetzt um zu erkennen, dass eine Kranzniederlegung zu fünft im Gedenken an die jüdischen Opfer der Nazibarbarei den Gang zur Polizei voraussetze. Ein prominenter Bochumer Jurist fragt: "Welche Anspannung des Gewissens und welche sittlichen Wertvorstellungen lässt dagegen diese Strafverfolgung erkennen?" Eine ausführliche Dokumentation und Kommentierung dieses Justizskandals folgt auf bo-alternativ.de.
Zur Erinnerung: Prominente BochumerInnen schrieben einen
offenen Brief an die Bochumer Staatsanwaltschaft und formulierten ihre Empörung über die Kriminalisierung des Gedenkens an die Reichspogromnacht. Ihr Fazit: "Diese Anklage ist ein Tiefpunkt der Rechtskultur in Bochum. Eine Staatsanwaltschaft, die dafür verantwortlich ist, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt." Ankläger war Staatsanwalt Petlalski, das Urteil sprach Amtsrichter Pattard, die Berufung abgelehnt hat nun die Richterin am Landgericht Sandmann. Nach der Verhandlung vor dem Bochumer Amtsgericht meinte ein anwesender Hochschullehrer in Anspielung auf Hochhuths "Juristen" über Richter und Staatsanwalt: "Das ist das Holz aus dem furchtbare Juristen geschnitzt sind."

10.11.05.23.00 Uhr
Eindrücke
Die Ansprache von Kantor Frank Yaákov Barth, die er am gestrigen 9. November vor der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge in Wattenscheid hielt, liegt nun
im Wortlaut vor. Ferner sind jetzt weitere Fotos von der Gedenkfeier vorhanden.

12.11.05.23.00 Uhr
Attac campus: "Justizverirrung'' im Fall Hannes Bienert
Attac Campus Bochum hält das Urteil des Amtsgerichts Bochum gegen den Antifaschisten Hannes Bienert "für eine Justizverirrung." Attac campus weiter:: "Es ist eine ungeheure Dreistigkeit, das Gedenken an die Verbrechen des Naziregimes zu kriminalisieren. Im täglichen Umgang der Judikative und Exekutive mit den BürgerInnen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Gerade in Zeiten, in denen die Shoa immer mehr aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwindet, wird das Wachhalten dieser Erinnerungen immer wichtiger."

10.11.05.18.00 Uhr
Soziale Liste Bochum verurteilt die Nazi-Provokation im Wattenscheider Rathaus
In einer Pressemitteilung verurteilt die Soziale Liste Bochum "die ungeheuerliche Naziprovokation während der Gedenkveranstaltung der Bezirksvertretung Wattenscheid aus Anlass des 67. Jahrestages der Reichspogromnacht." Weiter heißt es: "Die gestrigen Ereignisse um das Gedenken an die Reichspogromnacht werfen Fragen nach der Rolle der Sicherheitsbehörden auf. Die Kranzniederlegungen am Mittag in der Wattenscheider Innenstadt durch Hannes Bienert und Jupp Knop sowie Abordnungen von Gruppen, Parteien und Gewerkschaften wurden offensichtlich von zivilen Polizeikräften, dem Staatsschutz und möglicherweise auch dem Verfasssungsschutz observiert. Die gleichen Ordnungsbehörden waren wenige Stunden später jedoch nicht in der Lage, die Veranstaltung der Bezirksvertretung Wattenscheid zum Gedenken an die Reichs-pogromnacht vor neonazistischen Tätern zu schützen."
Im Wortlaut.

09.11.05.23.00 Uhr
Nazi-Provokation
Bei der heutigen offiziellen Gedenkveranstaltung der Bezirksvertretung Wattenscheid an die Reichspogromnacht entrollten Nazis ein Transparent mit der Aufschrift "Schluss mit dem Schuldkomplex". Bei der gleichzeitig stattfindenden Kundgebung auf dem Dr.-Ruer-Platz liefen Nazis vorbei und riefen antisemitische Sprüche.
09.11.05.23.00 Uhr

Der 9. November 2005 in Wattenscheid:
Damit die Nacht nicht wiederkehre!
Weil ein Bochumer Amtsrichter (siehe Meldung "furchtbare Juristen") es kürzlich strafbar fand, wie Hannes Bienert im Gedenken an die Reichspogromnacht im letzten Jahr in Wattenscheid einen Kranz niederlegte, war diesmal der Beginn der Aktion anders. Nur zu zweit (das ist versammlungsrechtlich nicht anmeldepflichtig) ging Hannes Bienert mit einem langjährigen Freund (Foto links) zur Gedenktafel für die zerstörte Wattenscheider Synagoge. Sie legten für die Antifa-Wattenscheid und die GEW-Wattenscheid einen Kranz nieder. Sie tragen Tafeln mit der Aufschrift: "Damit die Nacht nicht wiederkehre!"
Im Abstand von einigen Minuten folgten dann RepräsentantInnen der VVN-BdA, des Bochumer Friedensplenums, der DFG-VK, des Bahnhof Langendreer, der GEW Bochum, der PDS-Ratsfraktion und der Sozialen Liste, die ebenfalls Kränze und Blumengebinde vor die Gedenktafel legten (Foto rechts). Etwa 50 Gäste (Foto unten) folgten der Demonstration hinter dem Transparent "Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!" Hannes Bienert bedankte sich bei den Anwesenden für die Solidarität, die er in den letzten Tagen erfahren hat. Karin Schiele, GEW Bochum, verlas
den Brief von Orna Birnbach. Der jüdische Kantor Frank Yaákov Barth beendet die Gedenkfeier mit einem Rückblick auf den Jahrestag und schließt mit einem Gebet.















08.11.05.14.00 Uhr
In Sachen Hannes Bienert: Die KZ-Überlebende Orna Birnbach wendet sich mit einem offenen Brief an Oberstaatsanwalt und Richter:
"Ich fordere Sie hiermit auf, dieses skandalöse Urteil zu revidieren!"

Orna Birnbach lebt in Tel Aviv, Israel. Als Kind hat sie mehrere Konzentrationslager überlebt. Mehrmals im Jahr kommt sie nach Deutschland, um mit Jugendlichen ins Gespräch über die Shoah zu kommen. Am 9. November 2000 nahm sie zusammen mit Herrn Bienert und vielen Jugendlichen an der Gedenkfeier zur Reichpogromnacht in Wattenscheid teil. Sie ist empört über das gegen Hannes Bienert verhängte Urteil. (
siehe Meldung "furchtbare Juristen") Sie hat der GEW Bochum einen Brief zur Kenntnis geschickt, den sie an Oberstaatsanwalt Schulte und Amtsrichter Pattard geschrieben hat. Hierin heisst es u.a.: "Am 9. November 2000 habe ich, Orna Birnbach, Überlebende des KZ Auschwitz, in Bochum-Wattenscheid, zusammen mit Herrn Johannes Biernert und vielen Schülerinnen und Schülern einen Kranz niedergelegt an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge. Mehrmals im Jahr besuche ich Deutschland, um Jugendlichen über die Gräuel des NS-Regimes zu berichten und um das Gedenken an die Shoah wachzuhalten. Zu meinem Entsetzen habe ich nun von Bochumer Freunden erfahren müssen, dass Herr Bienert wegen einer solchen Gedenkfeier vor Gericht musste und verurteilt wurde. Mir ist es absolut unverständlich wie durch Formalitäten das eigentlich selbstverständliche Gedenken an die Opfer der Shoah kriminalisiert und behindert wird. Auf der Veranstaltung im Jahr 2000 habe ich gesagt: „Hätte die deutsche Bevölkerung damals nicht weg geguckt und geschwiegen, wäre die Katastrophe nicht möglich gewesen. Ich bitte Euch, nicht zu schweigen und nicht weg zu sehen.“ Ich fordere Sie hiermit auf, dieses skandalöse Urteil zu revidieren!
07.11.05.19.00 Uhr

Kommentar der Redaktion von LabourNet:

Ihr seid nicht Bochum – Ihr seid nicht Deutschland
Das war kein Fehlurteil – Das war Deutschland.

In einem Kommentar von
LabourNet heisst es: "Am 3. November 2005 wurde in Bochum wieder Recht gesprochen. In Namen des Volkes. Ein 76 jähriger Bochumer Antifaschist wurde verurteilt. Wie wir berichteten, hatte er am 9. November 2004 zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht im Jahre 1938, zusammen mit vier Gleichgesinnten, einen Kranz an der Gedenktafel der zerstörten Synagoge in Bochum Wattenscheid niedergelegt. Der Mann heißt Johannes Bienert, ist 76 Jahre alt und Antifaschist.
Er hatte allerdings einen Fehler begangen: er hat die Versammlung nicht genehmigen lassen.
Da denken 5 (fünf!) Bochumer Bürger daran, was in diesem Land vor 67 Jahren passiert ist, tragen Plakate durch die Wattenscheider Fußgängerzone wie „9. November – damit die Nacht nicht wiederkehre“ oder „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ und werden dafür verurteilt. Ja, natürlich! Hat wirklich irgendjemand daran gezweifelt.
Hat wirklich irgendjemand daran gedacht, ausgerechnet ein Bochumer Richter springt über seinen eigenen Schatten, stellt seine Zukunft in Frage, seine Karriere.
Warum sollte er dies tun, seine Begründung des Urteils war vermutlich formaljuristisch korrekt. Man hat ein solches Urteil von ihm erwartet – er hat es geliefert. Der Mann hat nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, ob das „anständig“ war."
Weiter.
06.11.05, 23.00 Uhr
Gedenken an die Reichspogromnacht in Wattenscheid
Die Kriminalisierung von Hannes Bienert mobilisiert das engagierte Bochum
Das Urteil gegen Hannes Bienert (siehe Meldung "furchtbare Juristen"), der erstinstanzlich verurteilt wurde, weil er im letzten Jahr eine Kranzniederlegung am Jahrestag der Reichspogromnacht an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge in Wattenscheid nicht formal korrekt angemeldet hat, führt zu beachtlichen Aktivitäten in diesem Jahr. Mehrere Organisationen haben angekündigt, dass sie sich demonstrativ diesem Kriminalisierungsversuch entgegenstellen werden.
Das Bochumer Friedensplenum wird z. B. am Mittwochmittag erstmals einen Kranz an der Gedenktafel in Wattenscheid niederlegen. Das Bochumer Friedensplenum ruft auch alle anderen engagierten BürgerInnen, Gruppen und Organisationen dazu auf, an diesem Tag ein aktives Gedenken in Wattenscheid zu demonstrieren.
Treffpunkt ist um 12.00 Uhr, in der Fußgängerzone in Wattenscheid, Oststr. 40, vor dem Lebensmittelgeschäft, das ehemals das Kaufhaus von Sally Schmidt war.
Um 17.00 Uhr veranstaltet die Bezirksvertretung Wattenscheid eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht.
Um 17.30 Uhr findet dann auf dem Dr. Ruer Platz in der Bochumer Innenstadt die
Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht 1938 statt.
03.11.05, 21.00 Uhr
VVN-BdA: Skandalöses Urteil
Die VVN-BdA bezeichnet das heutige Urteil gegen Hannes Bienert als skandalös: "Der Rechtskultur in Bochum wurde mit diesem Urteil ein schwerer Schaden zugefügt. Die Anerkennung des Gedenkens an die Reichspogromnacht als einen Tatbestand zu bezeichnen, den man "durchaus billigend" zu werten habe, ist ein Skandal. Für Hannes Bienert ist das Gedenken an die Zeit des Grauens Herzensangelegenheit. Die VVN - BdA fordert dazu auf, die am kommenden 9. November stattfindende Kranzniederlegung durch eine entsprechende Beteiligung auch als ein Zeichen der Solidarität mit Hannes Bienert und des Protestes gegen das Skandalurteil zu begehen." Im Wortlaut.
Auch die Soziale Liste kristisiert das Urteil als "skandalös". Weiter heißt es: "Das Gericht war offensichtlich nicht in der Lage, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden und nahm eine unterbliebene Demonstrationsanmeldung zum Anlass, das Gedenken von Bürgern an die Reichspogromnacht zu kriminalisieren. Die Soziale Liste Bochum ist erschrocken, wie mit dem Bochumer Urteil eine Kontinuität der Tätigkeit von 'furchtbaren Juristen' dokumentiert wird."
Im Wortlaut.
Das Schlusswort von Hannes Bienert im heutigen Prozess liegt mittlerweile auch
im Wortlaut vor.

03.11.05, 13.00 Uhr

Kranzniederlegung am 9. November 2004 führt zur Verurteilung
Lehrstück: Furchtbare Juristen

Mehrere Hundert Einträge findet die Internet-Suchmaschine "google", wenn nach dem Begriff "furchtbare Juristen" gesucht wird. Fündig, was dieser Begriff wohl meinen könnte, wurden heute nach Ansicht vieler Anwesender auch die ZuhörerInnen in einem überfüllten Bochumer Amtsgerichtssaal. Ein anwesender Hochschullehrer meinte in Anspielung auf Hochhuths "Juristen" über Richter und Staatsanwalt: "Das ist das Holz aus dem furchtbare Juristen geschnitzt sind." Angeklagt war Hannes Bienert, weil er mit vier anderen Bürgern am 9. November (Jahrestag der Reichspogromnacht) 2004 an der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge in Wattenscheid einen Kranz niederlegte. Staatsanwalt Petlalski warf ihm vor, dies versammlungsrechtlich nicht korrekt angemeldet zu haben. Die Kranzniederlegung selbst nannte Amtsrichter Pattard "billigenswert" und "honorig". Dass Hannes Bienert eine Kranzniederlegung von fünf Personen nicht als Versammlung gewertet hat, die bei der Polizei angemeldet werden muss, ließ der Richter nicht als Verbotsirrtum gelten. Ab drei Personen gelte die Anmeldungspflicht des Versammlungsgesetzes. Das Urteil: 10 Tagessätze á 15 Euro. Im Gerichtssaal brach Tumult aus. Nicht nur den jüdischen ZuhörerInnen war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
Vor dem Gerichtssaal feierten währenddessen stadtbekannte Nazis den Urteilsspruch.

Das Schlusswort von Hannes Bienert im heutigen Prozess wird im Laufe des Tages auf dieser Seite veröffentlicht.
Gegen das Urteil wird Hannes Bienert Revision einlegen. Das Bochumer Friedensplenum wird weiterhin Rechtsschutz übernehmen und für die Kosten des Verfahrens und eine evtl. Strafe aufkommen.


13.10.05, 22.00 Uhr
Grundsteinlegung für eine neue Synagoge in Bochum
Am Montag, dem 14. November, wird der Grundstein für die neue Synagoge an der Castroper Straße gelegt. Zur Grundsteinlegung werden u.a. der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, Ilan Mor, Gesandter der Botschaft Israels und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kommen. Im Anschluss wird zu einem Empfang im benachbarten Planetarium geladen. Dort wird es drei Vorträge über die Geschichte des jüdischen Lebens in dieser Region geben. Im Umgang des Planetariums wird das Projekt der neuen Synagoge für Bochum vorgestellt. Erinnert wird gleichzeitig an die 1938 zerstörten Synagogen in Bochum, Wattenscheid, Herne, Wanne-Eickel und Hattingen.
Elf Tage zuvor, am 3. November, findet um 9.00 Uhr vor dem Amtsgericht in Bochum der Prozess gegen Hannes Bienert statt. Er hatte mit vier weiteren Personen am 9. November 2004 einen Kranz vor der Gedenktafel für die Wattenscheider Synagoge niedergelegt und soll dabei gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben.
28.10.05, 20.00 Uhr

DGB und GEW appelieren an die Staatsanwaltschaft:
"Zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden"

Am Donnerstag, dem 3.11., steht Hannes Bienert (Foto) um 9.00 Uhr vor dem Amtsgericht Bochum. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn an, am 9. November 2004 gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben, als er am Jahrestag der Reichspogromnacht einen Kranz an der Gedenktafel für die zerstörte Wattenscheider Synagoge niederlegte. (Siehe Meldung vom 29.06.05). Ein erster Prozesstermin wurde aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft sollte prüfen, ob sie wirklich ihre Anklage aufrecht erhalten will. Sie will.
Karin Schiele und Gert Schäfer für die GEW in Bochum und Wattenscheid und Ludger Hinse als DGB-Vorsitzender haben nun an den Leitenden Staatsanwalt u a.geschrieben: "Wie will ein Lehrer seinen Schülerinnen und Schülern diese dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte vermitteln, wenn jemand, der an einem solchen Gedenktag als Geste gegen das Vergessen als Zeichen der Trauer einen Kranz niederlegt und dann für sein Tun bestraft wird. Ein wesentlicher Grundsatz pädagogischer Arbeit ist es, den jungen Menschen Orientierung und Leitlinien zu vermitteln. Dazu gehört im politisch-gesellschaftlichen Bereich zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu lernen. Eine Bestrafung von Johannes Bienert dafür, dass er die Veranstaltung nicht den Polizei- und Ordnungsbehörden gemeldet hat, macht das Unwesentliche wichtig und das entscheidend Wesentliche unwichtig. Jeder Mensch, ob allein oder in einer Gruppe, der sich auf den Weg macht, am 9.November an einer jüdischen Gedenktafel einen Kranz zum Gedenken an die Opfer niederzulegen, muss geschützt sein, sowohl vor den Anfeindungen und Übergriffen unbelehrbarer Rechtsradikaler als auch vor staatlichen Sanktionen. Unser Appell von DGB und GEW geht an alle am Verfahren Beteiligten ein Zeichen dafür zu setzen, dass im heutigen Deutschland für eine solche "Tat" niemand bestraft wird."
Der Brief im Wortlaut.
Auch die VVN protestierte in einer Erklärung gegen die Kriminalisierung von Hannes Bienert. Für sie ist "es unverständlich, dass das Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht als kriminelle Handlung betrachtet wird." Nuray Boyraz von der Ratsgruppe der Sozialen Liste.erklärte: "Mit dem skandalösen Prozess fällt ein tiefer Schatten auf das Gedenken an die Verbrechen der Nazis in der Reichspogromnacht vor 67 Jahren".
17.9.05.12.00 Uhr

Am 3. November, 9.00 Uhr, steht Hannes Bienert vor Gericht
Sechs Tage vor dem 67. Jahrestag der Reichspogromnacht steht Hannes Bienert vor Gericht, weil er im Jahr zuvor einen Kranz an der Stelle niederlegte, wo früher die Synagoge in Wattenscheid stand. Er tat dies nicht allein. Insgesamt gedachten fünf Bürger an die Verbrechen der Nazis. Mittäter waren u.a. ein jüdischer Kantor und ein Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. Hannes Bienert hatte dies nicht als Versammlung angemeldet. Mehrere Staatsschutzbeamte haben den Vorgang beobachtet, als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz protokolliert und zur Anzeige gebracht. Die in solchen Angelegenheiten vor nichts zurückschreckende Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Ein Amtsrichter hatte - evtl. ohne die Akte zu lesen - das Verfahren eröffnet und zum Termin geladen. Nachdem es einen sehr heftigen Protest in der Öffentlichkeit gegen diesen Kriminalisierungsversuch von antifaschstischer Arbeit gegeben hatte (
siehe Meldung vom 29. 6. 2005), gab der Amtsrichter den Vorgang an die Staatsanwaltschaft zurück. Sie sollte noch einmal vernünftig ermitteln. Die Staatsanwaltschaft hat sich allerdings stur gestellt und Hannes Bienert als Serienstraftäter geoutet: Er legt schon seit Jahrzehnten am 9. November einen Kranz an der selben Stelle nieder, ohne das ganze versammlungsrechtlich korrekt anzumelden.
Bei einem solchen Prozess vor dem Amtsgericht steht der Angeklagte vor einem Einzelrichter. Schöffen, die ihren "gesunden Menschenverstand" in Gerichtsverfahren einbringen sollen, sind hier nicht vorgesehen.
Der offene Brief an die Staatsanwaltschaft zu diesem Fall.
29.6.05.14.00 Uhr
Richterliche Korrektur
Die nachfolgende Meldung ist erfreulicher Weise nicht mehr ganz aktuell. Der zuständige Richter hat den Termin am 7.7. gegen Hannes Bienert aufgehoben und die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen aufgefordert. Allen, die in den letzten Stunden an bo-alternativ und das Friedensplenum geschrieben haben, dass sie den offenen Brief an den Oberstaatsanwalt unterstützen, sei auf diesem Wege - auch im Namen des Friedensplenums - gedankt.
Die Justiz muss jetzt einen Weg suchen, wie die Peinlichkeit beendet wird.

29.6.05.10.00 Uhr

Hannes Bienert steht am 7. Juli, 9.00 Uhr vor Gericht:

Angeklagt wegen unangemeldetem Gedenkens an die Reichspogromnacht
"Herr Bienert (Foto) hat mir vor einigen Monaten über den Vorfall berichtet. Ich dachte, das sei ein Witz. Natürlich unterschreibe ich den Brief", war die Reaktion eines der Unterzeichnenden eines offenen Briefes an den leitenden Oberstaatsanwalt in Bochum. In dem Brief heisst es:"Sehr geehrter Herr Schulte, an jedem 9. November der letzten 15 Jahre organisierte Hannes Bienert, Sprecher der Antifa WAT, in Wattenscheid eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht 1938, die er damals als 10-jähriger Junge miterlebte. Der 9. November 2004 soll ihm nun nach dem Willen der Staatsanwaltschaft Bochum zum strafrechtlichen Verhängnis werden. Sie klagt ihn an, an diesem Tag mittags in Wattenscheid eine Gruppe von 5 ehrbaren Bürgern - unter ihnen ein jüdischer Kantor und ein Studienrat des Märkischen Gymnasiums - durch die Oststraße geführt zu haben mit einem Transparent, das die Aufschrift trug: " 9. November, damit die Nacht nicht wiederkehre - Antifa Wattenscheid". [...] Die Staatsanwaltschaft sieht in dieser nicht angemeldeten Veranstaltung ein strafbares Vergehen nach dem Versammlungsgesetz. Das Amtsgericht hat die Strafverhandlung auf den 7.Juli anberaumt.
Hannes Bienert verdient für seine jahrelange Erinnerungsarbeit öffentlichen Respekt, Dank und Anerkennung, nie und nimmer aber Strafe. [...] Diese Anklage ist ein Tiefpunkt der Rechtskultur in Bochum. Eine Staatsanwaltschaft, die dafür verantwortlich ist, hat aus unserer Geschichte nichts gelernt. Hochachtungsvoll, Ralf Feldmann". Dr. Ralf Feldmann ist Richter am Bochumer Amtsgericht. Er hat den Brief im Namen des Bochumer Friedensplenums geschrieben. Mit ihrer Unterschrift unterstützen diesen Brief: Ludger Hinse, DGB-Vorsitzender Bochum; Annemarie Grajetzky, Frauen für den Frieden in der Evangelischen Landeskirche Westfalen, Gruppe Bochum; Karin Schiele, GEW-Vorstand Bochum; Gert Schäfer, GEW-Vorsitzender Wattenscheid; Serdat Yüksel, SPD-Unterbezirksvorstand Bochum; Klaus Kunold, Vorsitzender der VVN/BdA Bochum; Ernst Lange, Vorsitzender der PDS-Ratsfraktion Bochum; Gabriele Riedl, ehemalige Bürgermeisterin, Bochum; Dr. Hubert Schneider, Historiker, Vorsitzender des Vereins Erinnern für die Zukunft; Prof. Dr. Reinhart Kößler, Friedensplenum Bochum.
Der Brief im Wortlaut.