Kommentar
Hat Bochums Bürgertum nicht genau diese ekeligen Nazi-Aufmärsche verdient?
"Es zeichnet ein deutliches Bild einer Stadt, die offensichtlich kein Problem damit hat, dass Nazis auf ihren Straßen wieder 'Juden raus' verkleidet in irgendwelchen Parolen rufen", schreibt eine Leserin an bo-alternativ.de. (Siehe aktuellen Leserbrief.) Die Beobachtung stimmt. Dieses Bild war bisher nur deshalb nicht klar sichtbar, weil einige engagierte Linke dieser Stadt Protest und teilweise auch erfolgreichen Widerstand gegen den Nazi-Mob organisiert haben.
Die Polizei paktiert immer wieder offen mit den Nazis, um - wie erst kürzlich passiert - z. B. deren "Heldengedenken" vor antifaschistischen Protesten zu schützen. Zwei Gerichte haben immerhin inzwischen bestätigt, dass die beiden Hauptreden auf der Nazi-Demo gegen den Bau der neuen Bochumer Synagoge den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Polizei und Staatsanwaltschaft sahen sich aber trotz massiver Aufforderung durch engagierte BürgerInnen damals nicht genötigt, die Demonstration abzubrechen. Faschistische Hetze und offener Antisemitismus werden in Bochum offiziell geduldet. Einzig der erfreulich große gesellschaftliche Konsens zur Unterstützung des Neubaus der Synagoge bildet hier eine löbliche Ausnahme. Die Nazi-Zentrale in Wattenscheid, der Nazi Cremer in der Bezirksvertretung Wattenscheid und nicht einmal die erste Nazi-Demo gegen eine Synagoge in Deutschland seit 45 haben zu Konsequenzen im Bochumer Bürgertum geführt. Es herrscht Gleichgültigkeit.
Wahrscheinlich müssen erst überregionale Medien häufiger über diese Bochumer Normalität berichten. Über eine Stadt, in der sich die BürgerInnen und ihre RepräsentantInnen offensichtlich nicht schämen, wenn Nazis ungehindert gegen israelische Gäste hetzen dürfen.
Soll Hannes Bienert sein Urteil annehmen und für zehn Tage ins Gefängnis gehen, weil er unangemeldet einen Kranz zum Gedenken an das Offenkundige des faschistischen Verbrechens niederlegte? Muss wirklich erst in der internationalen Presse stehen, wie treffend
Ralph Giordano im März 2004 in der Jüdischen Allgemeinen feststellte, dass es sich um einen "Testfall Bochum" handelt? Wie lange bleibt das Bürgertum dieser Stadt gleichgültig?
Die Bochumer Linke muss sich gleichzeitig fragen, warum es nicht gelingt, die Gleichgültigen aufzurütteln? Anderswo klappt das besser! Welche antifaschistischen Handlungskonzepte gibt es? Warum haben Ansätze erfolgreicher offensiver Antifa-Arbeit wie "Tanzen im Dreieck" oder das Outen von Nazi-Verantwortlichen nicht zu einer breiten kontinuierlichen Bündnisarbeit geführt? Hat uns die Kriminalisierungsstrategie von Polizei und Justiz eingeschüchtert?
Es kann eine akzeptable Strategie sein, dass die Linke sich verweigert und sich nicht länger für die Drecksarbeit gegen Nazi-Aufmärsche verantwortlich fühlt. Dann aber keine anderen Aktivitäten zu entwickeln ist beschämend; bürgerlich halt.
MB