Rede von Christian Leye, easy-x, auf der Demonstration des Bochumer Friedensplenums: „Stillhalten ist tödlich – Wir widersetzen uns" am Samstag, 20. März 2004 Ein Jahr ist es jetzt her, dass die USA den Irak völkerrechtswidrig und präventiv angegriffen haben. Ein Jahr ist es her, dass wir am Bahnhof standen und durch Bochum gezogen sind, um gegen diesen Krieg zu protestieren. Was lässt sich heute rückblickend über diesen Krieg sagen? Zunächst das Offensichtliche: die Besatzung des Iraks ist für die Besatzungsmächte ein politisches Desaster, während die irakische Bevölkerung leidet. Die Sicherheitslage ist eineinziges Chaos, in dem die Besatzer kaum durchblicken, wer sie eigentlich angreift. Und es scheint auch kein Trend zu einer Besserung vorzuliegen, im Gegenteil: waren es am Anfang noch etwa 30 Angriffe pro Tag, sind es heute etwa 40. Diesen Anschlägen fallen vor allem Iraker zum Opfer, aber auch durchschnittlich 1-2 US-Soldaten am Tag und sie werden immer besser geplant und blutiger. Hinzu kommt der Umgang der Besatzer mit der irakischen Bevölkerung: Amnesty international wirft der US-Armee vor, schwere Menschenrechtsverletzung im Irak zu begehen. Zivilisten sind durch überzogene Gewaltanwendung betroffen oder unter ungeklärten Umständen getötet worden. Sie sprechen von Misshandlungen und Folter und sogar Toten in US-Gefangenschaft. Hinzu kommen mehrere Fälle, in denen US-Soldaten in Demonstrationen geschossen und Demonstranten getötet haben. Keiner dieser Fälle ist straferechtlich verfolgt worden. Die US-geführte Zivilverwaltung hat den irakischen Gerichten verboten, diese Fälle anzunehmen. Unterm Strich operieren die Soldaten im Irak in völliger Immunität. Aber es ist nicht nur die direkte Sicherheitslage, es ist auch die verzwickte politische Situation, die anzuprangern ist. Die Kriegspropaganda will uns bis heute glauben lassen, eine Demokratisierung des Iraks ist zumindest ein erfreulicher Nebeneffekt des Krieges gewesen. Aber so einfach ist es nicht. Wenn die USA das einfachste demokratische Prinzip jedem Bürger eine Stimme dort anwenden und damit der Forderung der schiitischen Mehrheit des Iraks nachgeben, dann wir das Wahlergebnis unter Umständen ein schiitischer Gottesstaat oder etwas vergleichbares sein. Und die USA haben sicherlich nicht diesen Krieg geführt, nur um in Zukunft mit einem zweiten Iran am Golf konfrontiert zu sein. Dies zeigt zweierlei: erstens vertritt der Westen nicht "die Demokratie", in welcher der Wille des Volkes das höchste Gut ist. Es ist vielmehr eine spezifische politische, wirtschaftliche und auch kulturelle Gesellschaftsform mit spezifischen Herrschaftsverhältnissen, und in Bezug auf diese Herrschaftsform ist der Westen keinen Zentimeter pluralistisch. Zweitens zeigt sich im Irak, dass diese Gesellschaftsform nicht ohne weiteres auf andere Gesellschaften, die anders funktionieren, übertragen werden kann, schon gar nicht mit Krieg. All das straft die Reden der US-Administration über Befreiung des irakischen Volkes Lügen - Lügen da war doch was- ach ja, man hat uns angelogen. Die Bush-Administration hat auf offensichtlichste Art die Gründe für diesen Krieg zusammengelogen, europäische Regierungen sind mitgezogen und die restlichen Staaten haben trotz der Offensichtlichkeit dieser Lügen nichts gesagt. Diese Erkenntnisse wurden auch schon bei den Waffeninspektionen durch die UNO klar. Erinnern wir uns, diese waren im Irak, weil die USA sonst gedroht hatten, den Irak anzugreifen. Aber die Inspektoren interessierten die Kriegsallianz nicht mehr, als sie drinnen waren. Und es interessierte auch nicht mehr, dass die eheimdienstinformationen über Massenvernichtungswaffen in den Worten der Inspektoren "Müll" waren, da sie nie etwas fanden. Auch ist inzwischen bekannt, dass die US Regierung Geheindienstinformationen bewusst und systematisch übertrieben und verfälscht haben. Kurz, sie logen die Gründe für den Krieg zusammen, wobei der peinliche Höhepunkt der Geheimdienstbericht war, den Powell im UN-Sicherheitsrat als exklusive Information über Massenvernichtungswaffen vorlegte und der mit Rechtschreibfehlern aus einer 10 Jahre alten Arbeit eines Studenten abgeschrieben war. Schließlich gab sogar der ehemalige Finanzminister, Paul O`Neill in seinem Buch an, der Krieg war schon im Januar 2001 geplant gewesen, als Bush gerade Präsident geworden war. Und das aus dem Mund eines ehemaligen Regierungsmitglieds, wie offiziell braucht es die Welt eigentlich? Vergessen wir es nicht: die Gründe für den Krieg waren erlogen und die Meinung der Bevölkerung der kriegsführenden Länder wie England sowie die Demonstrationen einer globalen Zivilgesellschaft wurden von der "freien Welt" einfach ignoriert. Und wenn dieses nicht die Gründe gewesen sind, dann müssen es andere gewesen sein. Und dass diese Gründe mit dem Ölreichtum des Irak und seiner Lage in einer geostrategisch wichtigen Region zusammen hängen ist eine bessere Erklärung als Demokratie für den Irak. Und nur dass die USA einen hohen Preis für ihre Besatzung zahlen, entkräftet diese Argumente nicht: erstens hatte es die Bushadministration anders geplant und zweitens war der Imperialismus des 19. Jahrhunderts durchaus eine irrationale Sache und zahlte sich nicht für alle imperialistischen Mächte aus. Und genau hier liegt meiner Meinung nach eine Aufgabe für die Friedensbewegung: wir müssen laut und deutlich darauf hinweisen, dass der Anti-Terror-Krieg eben nicht der Terrorbekämpfung dient sondern als Vorwand genutzt wird, um Machtpolitik zu betreiben. Und selbst wenn man an den Zweck der Anti-Terror-Bekämpfung glauben möchte: diese Strategie der Terrorismusbekämpfung ist sinnlos und führt zu neuen Terrorismus, und das ist nicht nur die Meinung der Friedensbewegung sondern deckt sich mit militärischen Einschätzungen der Lage. Aber es ist auch offensichtlich: Mehr als 10.000 Zivilisten verloren durch Krieg und Besatzung das Leben, etwa 41% der irakischen Bevölkerung empfinden den Einmarsch der USA in den Irak als Demütigung und durch das Jahrelange Embargo, von den USA angeregt, verloren etwa 1,5 Millionen Menschen ihr Leben. Dass all dieses Hass in Teilen der irakischen Bevölkerung erzeugt und dass in diesem Klima der Widerstand gegen die US-Besatzung gut gedeihen kann, ist doch so schwer nicht zu verstehen. Und das waren nicht die einzigen Verbrechen des Westens und allen voran der USA in der arabischen Welt. Und auch hier entsteht Hass, der durch den "Krieg gegen den Terror" angefacht wird. Und tatsächlich: Waren im Irak vor dem Krieg die Al Quadia kaum vertreten gewesen, so ist der Irak nach dem Krieg ein Tummelplatz für Al Quaida und Sympathisanten geworden. Die Gewaltspirale, die wir noch vor einem Jahr durchbrechen wollten, scheint uns nun über den Kopf zu wachsen: Als ich die Bilder von Madrid gesehen habe und die Kaltblütigkeit des Anschlages, da habe ich Trauer gespürt und Wut. Ich habe Wut empfunden über die feigen Täter, die Bomben in vollbesetzten Zügen hochgehen lassen und dabei auf mehrere hundert Tote abzielen. Und ich denke, diese Anschläge werden Europa ändern, und sei es auch zunächst langsam. Und es ändert sich bereits: schon gelangt in die gesellschaftliche Diskussion von US-amerikanischer Seite aus der Vorwurf des Appeasements, jene Blindheit und auch Harmoniesucht gegenüber Unrecht, welche europäische Mächte gegenüber Hitler-Deutschland an den Tag legten. Dieses Appeasement werfen Teile der US-amerikanischen Konservativen der spanischen Regierung vor, da sie ihre Truppen ohne UN-Mandat aus dem Irak abziehen wollen. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit und weiterer Anschläge in Europa, bis auch europäische Konservative Appeasement jenen vorwerfen, die nicht ins Kriegsgeheul mit einstimmen wollen. Und genau hier droht die Friedensbewegung an der Gewaltspirale zerrieben zu werden. Genau deswegen müssen wir gerade in diesen Tagen aufpassen, nicht in die Logik des Kriegs zu verfallen und in eine bipolare Weltsicht: Hier Agrokapitalismus, dort islamistischer Fundamentalismus, hier imperialistische Präventivkriege, dort Terrorattacken gegen Zivilbevölkerung. Das sind nicht unsere Positionen, und wenn wir auch noch in das Kriegsgeheul mit einstimmen, wird keine vernünftige Stimme übrigbleiben, die andere Wege anmahnt. |