Auftaktrede von Prof. Dr. Reinhart Kößler auf der Demonstration des Bochumer Friedensplenums: „Stillhalten ist tödlich – Wir widersetzen uns" am Samstag, 20. März 2004 Vor einem Jahr begann die „Koalition der Willigen" ihren Krieg gegen den Irak. Dieses Vorgehen widersprach offen dem geltenden Völkerrecht. Bereits im Vorfeld konnten aufmerksame Fernsehzuschauer und Zeitungsleserinnen wenigstens in Deutschland ernsthafte Zweifel an der Existenz der Massenvernichtungswaffen im Irak haben, die angeblich eine unmittelbare Bedrohung darstellten und herhalten mussten, um den Präventivkrieg ohne Autorisierung durch die Vereinten Nationen zu rechtfertigen. Ein Jahr später wissen wir, dass Bush, Blair und Aznar bestenfalls eine selektive Wahrnehmung ihrer Geheimdienstberichte der Weltöffentlichkeit als unumstößliche Erkenntnis präsentiert haben. Der ehemalige UN-Beauftragte für die Abrüstung des Irak, Blix, hat berichtet, wie er und seine Mitarbeiter zur Seite gedrängt wurden, damit sie den Vorwand zum Krieg nicht etwa in letzter Minute als das entlarven konnten, was er war: arglistige Täuschung. Diejenigen, die davor warnten, dass der Krieg und die Besetzung des Irak nicht nur eine Diktatur beseitigen würden, der kaum jemand eine Träne nachweinen dürfte, sondern weiter unabsehbare Folgen haben würde, sehen dagegen einige ihrer schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Zu den Folgen des Zweiten Irakkrieges gehört mit an erster Stelle die weitere Untergrabung des zuvor bereits wackligen Regimes internationaler Regeln unter dem UN-System, das formal alle Kriege ächtet und strikt unter die Kontrolle des UN-Sicherheitsrates stellt. Die Bundesregierung hat sich zwar lautstark von diesem speziellen Krieg distanziert. Sie hat es aber peinlich vermieden, seinen völkerrechtswidrigen Charakter klar auszusprechen und die Konsequenzen zu ziehen, etwa den deutschen Luftraum für kriegsbezogene Operationen zu sperren. Das verweist nicht allein auf diplomatische Zurückhaltung. Wir sollten hier daran erinnern, dass in diese Tage nicht nur der erste Jahrestag des Zweiten Irakkrieges fällt, sondern auch der fünfte Jahrestag des Kosovokrieges. Hier hat die neu ins Amt gekommene rot-grüne Bundesregierung in einem Krieg mitgemacht, der aufgrund einer Selbst-Mandatierung – weniger höflich: Selbst-Ermächtigung – der NATO genauso unter Verstoß gegen Völkerrecht und UN-Charta geführt wurde wie der Zweite Irakkrieg. Dass mittlerweile das Miloševic-Regime gestürzt wurde, wird auch hier wenige von uns mit Trauer erfüllen. Doch auch in diesem Fall wurde der Anlass zum Krieg durch falsche Darstellungen herbeigeredet, die sich diesmal auf Vorgänge im Kosovo bezogen. Die weitere Parallele flimmert uns dieser Tage bei den Fernsehnachrichten ins Haus: Die lokalen Konflikte im Kosovo wurden nicht gelöst, sondern durch die gegenseitigen Vertreibungen wurden die Grenzen zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen verhärtet. Wie sich dieser Tage zeigt, kann der Konflikt jederzeit wieder ausbrechen, und es bestehen begründete Zweifel, ob es genügt, weitere Truppen in diese Region zu schicken. Das folgt der alten irrigen Annahme, das Militär mit seiner Feuerkraft sei ein besonders effektives Instrument. Das Gegenteil ist der Fall, es ist ungenau, produziert Kolateralschäden und nicht beabsichtigte Nebenfolgen en masse. Auf derselben Linie liegt das Auftreten des Besatzungsregimes im Irak: Sehr bald zeigte sich, dass außer der militärischen Besetzung und eventuell der Bedienung der Anliegen der verbündeten Kurdengruppen kein Plan existierte, um die komplexen Probleme des Landes anzugehen. Die jüngsten Attentatsserien geben allen Anlass zu der Befürchtung, dass dieser unter dem Vorwand des „Krieges gegen den Terrorismus" geführte Krieg erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass das Netzwerk Al Quaeda sich im Irak verankern konnte. Es ist erschreckend, für was der Verweis auf den „Krieg gegen den Terrorismus" alles herhalten muß. Auch wenn man mit gutem Grund skeptisch sein mag, was die weiteren Perspektiven angeht, so werden doch viele mit Genugtuung beobachtet haben, wie in Spanien eine Regierung abgewählt wurde, die nicht zögerte, die entsetzlichen Attentate der letzten Woche in Madrid zu einem schamlosen Propaganda- und Lügenfeldzug zu nutzen. Von Seiten der US-Regierung wird das Ergebnis einer demokratischen Wahl, die sicher weit weniger fragwürdig ist als die US-Präsidentenwahl von 2000, lediglich als Triumph von Al Quaeda bezeichnet. Es ist zu hoffen, dass die neue spanische Regierung an ihrem Wort festhalten und ein Verbleiben ihrer Truppen im Irak zumindest davon abhängig machen wird, dass dies durch die UN kontrolliert wird. Eine weitere besonders besorgniserregende Entwicklung im „Krieg gegen den Terrorismus" ist auch der Schulterschluß mit dem Regime des Generals Musharaff in Pakistan. Dieses Land und dieses Regime würden sich, wenn ie Opportunitätsgründe es denn so fügen würden, bestens als Schurkenstaat und als Komponente von Bushs „Achse des Bösen" eignen – vom Bau eigener Atomwaffen über die Weitergabe von Nukleartechnologie bis hin zur langjährigen Unterstützung der Taliban, von allen Vorstellungen von Demokratie Hohn sprechenden Zuständen gar nicht zu reden. Seine geopolitische Lage aber macht Pakistan zum bevorzugten Verbündeten der Bush-Administration, gar nicht viel anders als zuvor zu unterschiedlichen Zeitpunkten Saddam Hussein, die Taliban oder Osama bin Laden. Der Zauberlehrling war nach seiner schlimmen Erfahrung wenigstens so vernünftig, den Besen in der Ecke stehen zu lassen – die militaristische US-Strategie scheint wie eine Droge zu wirken und unter Wiederholungszwang zu stehen. Gerade vor solch einem deprimierenden Hintergrund ist es dennoch ermutigend, dass wir heute einen weltweiten Aktionstag für den Frieden begehen, der auf dem Weltsozialforum in Mumbai beschlossen wurden. Es ist von besonderer Bedeutung, dass dieser Tag auch an über 250 Orten in den USA mit Demonstrationen, Mahnwachen und anderen Aktionen begangen wird. Unsere Solidarität gilt daher neben den Menschen in Irak, in Kosovo und in Spanien ganz besonders auch den vielen Tausenden, die heute in den USA hoffentlich einen Beitrag dazu leisten können, dass auch dort die Wahnidee, Gewalt ließe sich ehestens mit Gewalt, Terror mit Terror bekämpfen, immer weiter an Boden verliert. |