‚Das Kapital’ lesen! Lektürekurs für AnfängerInnen ‚Das Kapital’ sei eine zu harte Nuss, meinte Ignacy Daszynski, einer der bekanntesten sozialistischen ‚Volkstribune’ um die Jahrhundertwende, er habe es deshalb nicht gelesen. Aber Karl Kautsky habe es gelesen und vom ersten Band eine populäre Zusammenfassung geschrieben. Diese habe er zwar ebenfalls nicht rezipiert, aber Kelles-Krausz, der Partei-Theoretiker, habe Kautskys Buch gelesen und es zusammengefasst. Kelles-Krausz Schrift habe er zwar auch nicht gelesen, aber der Finanzexperte der Partei, Hermann Diamand, habe sie gelesen und ihm, Daszynski, alles darüber erzählt. Diese von Isaac Deutscher überlieferte Anekdote steht exemplarisch für die ‚Rezeption’ des Marxschen ‚Kapital’ in der Arbeiterbewegung und den sozialistischen/ kommunistischen Parteien des 19. und 20. Jahrhunderts – von der ‚bürgerlichen’ Wissenschaft ganz zu schweigen Wurde es dagegen überhaupt rezipiert, so wurde ‚Das Kapital’ – sowohl von seinen (falschen) Freunden als auch von seinen erklärten Gegnern – als Theorie des ‚naturnotwendigen Untergangs des Kapitalismus und Sieges des Sozialismus’ verstanden. Neben dieser geschichtsphilosophischen Lesart wurde die Kritik der politischen Ökonomie, so der selten beachtete und noch seltener begriffene Untertitel des ‚Kapital’ – bloß als clevere Variante der klassischen bürgerlichen Ökonomie, insbesondere ihrer substantialistischen Arbeitswerttheorie, gedeutet. Beide Lesarten wurden wesentlich von Friedrich Engels inspiriert: Dessen Schriften liefern in der Tat ganzen Generationen von Lesern, Marxisten wie Anti-Marxisten, die Interpretationsmuster, durch die hindurch das Marxsche Werk wahrgenommen wird. Aufgabe einer kritischen Lektüre muss es unzweifelhaft sein, diesen Rezeptionsschutt abzutragen, um gerade die Elemente einer wissenschaftlichen Revolution im Marxschen Werk, die unter der Ägide des Traditionsmarxismus zum Status einer unerschlossenen ‚Geheimlehre’ verdammt waren, zu rekonstruieren und die systematischen Intentionen der Marxschen Bemühungen freizulegen. Erkennbar wird dann Marx’ kategorialer Bruch mit den Formen
kapitalistischer Vergesellschaftung (Ware, Geld, Kapital, Recht, Staat usw.). Nicht ein paradoxer Automatismus
der Befreiung, der sich zudem als bloß „adjektivischer Sozialismus“ (R. Kurz) artikuliert (‚sozialistische
Warenproduktion’, ‚proletarischer Staat’ usw.), vielmehr die Befreiung von den Zwangsmechanismen und Automatismen
einer irrationalen Vergesellschaftungsweise wird als revolutionäre Intention einer an Marx anknüpfenden
Theoriebildung deutlich. Marx’ Analysen lassen sich dabei verstehen als einzige konsequente Dechiffrierung und
Kritik der Strukturen kapitalistischer Sozialformationen sowie als Reflexion auf die objektiv–realen Möglichkeiten
umfassender gesellschaftlicher Emanzipation, ohne jegliche geschichtsmetaphysische Garantie ihrer Verwirklichung.
Allerdings zeigt gerade die ‚neue Marx-Lektüre’ von Autoren wie Hans-Georg Backhaus oder Michael Heinrich, dass die kritische Lektüre der Marxschen Texte keineswegs ein unzweideutiges, stets in sich geschlossenes und kohärent argumentierendes Werk zu Tage fördert. Ihr zufolge gilt es, sich der Ambivalenzen und Widersprüche zwischen „klassischer Tradition und wissenschaftlicher Revolution“ (M. Heinrich) im Marxschen Werk selbst zu stellen. Der vom AStA-Referat für kritische Wissenschaften organisierte Kurs richtet sich vornehmlich an ‚AnfängerInnen’ und soll zunächst anhand der ersten Kapitel des ‚Kapital’ einen Zugang zu dem klassischen Text radikaler Gesellschaftstheorie eröffnen. Das Nachbeten des ‚Hare Krishna’ einschlägiger linker Politsekten müsst Ihr dabei ebenso wenig befürchten, wie eine Aufbereitung der üblichen VWL-Dummheiten. Das Vorbereitungstreffen findet am 25.7. um 16 Uhr in Raum GC 04/ Süd/ 159 statt. Ein Reader zum Thema ist ab Mitte Juli – auch für Nicht-TeilnehmerInnen – im Service-Referat des AStA oder direkt im Referat für kritische Wissenschaften (AStA-Raum 13) erhältlich. |