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Materialien, Presseerklärungen von Initiativen, Gewerkschaften, Parteien, Kultur usw


Auszug aus dem Protokoll der 10. Fakultätenkonferenz am 20. Mai 2010 an der Ruhr-Uni
Montag 21.06.10, 20:00 Uhr

3. Verteilungsmodus der kapitalisierten Mittel aus freien Stellen

Dekan Narberhaus, der diesen Tagesordnungspunkt angemeldet hatte, führt aus, dass ihn der angekündigte Verteilungsmodus der aus freien Stellen kapitalisierten Mittel überrascht habe, da eine diesbezügliche Einschränkung in der Vergangenheit nicht kommuniziert worden sei. Er hält diese Maßnahme daher sowohl inhaltlich als auch in der Art ihrer Kommunikation für unglücklich.
Im Rahmen einer sehr ausführlichen Erörterung wird zunächst festgehalten, dass der vom Rektorat ab dem 1.10.2010 geltende Verteilungsmodus nur für die aus freien Stellen kapitalisierten Mittel gilt, die 100.000 € im Jahre 2010 überschreiten. Nur von den 100.000 € im Jahre 2010 überschreitenden Mitteln würden 40 % vom Rektorat einbehalten, um mit diesem Geld Berufungszusagen der Fakultäten unterstützen zu können. Ausdrücklich nicht beabsichtigt sei ein Mitteleinzug der bei den Fakultäten bis zum 1.10.2010 aufgelaufenen Rücklagen (gleich welcher Herkunft).
Dies vorausgeschickt hält Rektor Weiler den Verteilungsmodus für erforderlich, um ein weiteres Anwachsen der aus der Kapitalisierung von freien Stellen stetig wachsenden Rücklagen zu verhindern. Dies sei vor dem Hintergrund sinkender Steuereinnahmen des Landes unumgänglich, um einen Zugriff des Finanzministeriums auf bei Hochschulen vorhandene Rücklagen zu verhindern. Er hege ausdrücklich kein Misstrauen gegenüber den Absichten und Kompetenzen der Fakultäten, die ihnen zugewiesenen Mittel zielführenden Verwendungen zuzuführen. Allerdings sei die derzeit fakultätsübergreifend aufgelaufene Summe aller Rücklagen auf ein der Politik gegenüber nicht mehr darstell- oder begründbares Maß angewachsen.
Mehrere Dekane weisen auf die Erforderlichkeit angemessener Rücklagen für eine langfristige Entwicklungsplanung, insbesondere bei anstehenden Berufungsverhandlungen, hin. Abschließend spricht sich die Mehrheit der anwesenden Dekaninnen und Dekane dafür aus, eine Arbeitsgruppe aus mehreren Dekaninnen und Dekanen einzurichten, die sich des Themas weiter annimmt und zu gegebener Zeit einen Vorschlag für einen weiteren Umgang macht. Herr Dekan Naberhaus wird eine entsprechende Kommission einrichten und bis zum 01. Oktober dem Rektorat einen Alternativvorschlag vorlegen.


Vortrag von Dr. Friedrich-Martin Balzer am 11. Mai 2010 in Bochum
Donnerstag 13.05.10, 15:00 Uhr
Die Friedensbewegung auf der Anklagebank des Kalten Krieges

Der Düsseldorfer Prozeß

Friedrich-Martin Balzer, Historiker, ist der Herausgeber der inzwischen zum Standardwerk avancierten Sammelschrift zum Düsseldorfer Prozeß: Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60. Mit einer Einleitung von H. Hannover. Beiträge von W. Ammann, F.-M. Balzer, W. Diehl, H. Hannover, R. Hirsch, F. K. Kaul, D. Posser und D. N. Pritt, Köln 2006. Bestellung über www.friedrich-martin-balzer.de

»Der Düsseldorfer Prozeß1, der vor 50 Jahren endete, war, so der links­protes­tantische Anwalt im Kalten Krieg, Diether Posser, der „bedeutungsvollste politische Strafprozeß seit Bestehen der Bundesrepublik„. „Der Spiegel“ schrieb 1961 von dem „bislang ungewöhnlichsten politischen Straf­prozeß“, der „das Elend der politischen Justiz im liberalen Rechtsstaat“ erhelle. Allein die Tatsache, daß sich unter den sieben Angeklagten des Düsseldorfer Prozesses Nichtkommunisten und vier Christen befanden, beweist, daß die politische Strafjustiz sich nicht nur gegen Kommunisten richtete. Gleichwohl beharrte von Brünneck noch 1998 auf dem Irrglauben, daß sich die politische Strafjustiz „ausschließlich gegen Kommunisten“ gerichtet habe.

Der Düsseldorfer Prozeß gegen das Friedenskomitee der Bundesrepublik ist nur auf dem Hintergrund der Restauration in Westdeutschland zu verstehen, der Wiederherstellung alter Machteliten in Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Justiz (einschließlich der Nazis an führender Stelle), des kalten Krieges mit seiner – auch militärischen – Konfrontation gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten, seiner demokratiewidrigen Berufsverbote seit 1950, dem 1961 als verfassungswidrig aufgehobenen Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 und dem rechtswidrigen KPD-Verbot von 1956. Die Urteile im Düsseldorfer Prozeß sind Teil einer politischen Justiz, die der niedersächsische Justizminister, Professor Pfeiffer, 2003, schlicht als verfassungswidriges „Gesinnungsstrafrecht“ brandmarkte. Der spätere Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP, 1974-1978) sprach bereits 1963 von bis dahin 250.000 durchgeführten Ermittlungsverfahren und 6.000 Verurteilungen, Zahlen, „die einem Polizeistaat alle Ehre machen“.

Das Verfahren zog sich vom Beginn der Ermittlungen im Frühjahr 1952 bis zum Herbst 1965 hin, als das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Verurteilten wegen Fristversäumnis nicht zuließ.

Der Prozeß selbst fand vom 10. November 1959 bis 8. April 1960 vor der Sonderstrafkammer des Düsseldorfer Landgerichts statt.

Vorausgegangen war das staatspolitisch Übliche: Jahrelange Ermittlungen, Vernehmungen und Hausdurchsuchungen durch Staatsanwaltschaft und politische Polizei. Begonnen hatten die Voruntersuchungen mit dem Verfassungsschutz, der das Friedenskomitee 1952 „als kommunistische Tarnorganisation“ einstufte.

Am 29.12.1958 hatte schließlich der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Max Güde (CDU), nach anfänglichem Zögern die Eröffnung des Hauptverfahrens auf Weisung der Bundesregierung beantragt. Am 2. März 1959 wurde das Friedenskomitee der Bundesrepublik im Bundesland Nordrhein-Westfalen verboten.

Das langwierige Revisionsverfahren der Verteidiger vor dem für Strafsachen als Revisions(letzt)instanz zuständigen Bundesgerichtshof (BGH) führte lediglich zur Umwandlung der Gefängnisstrafe für den Nichtkommunisten Walter Diehl von einem Jahr zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung. Im übrigen wurde das Urteil der Sonderstrafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 8. April 1960 am 3. Juli 1962 vom BGH bestätigt.

Wer waren die Angeklagten

Der Vorwurf der „Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung“ gemäß den §§ 88, 90a, 94, 98, 128, 129 des Strafgesetzbuches (StGB alte Fassung) richtete sich gegen sieben Mitglieder des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland: gegen den Pastor Johannes Oberhof, den früheren KPD-Funktionär und ehemaligen Pfarrer Erwin Eckert, den Dolmetscher und Theologen Walter Diehl, den Verlagsleiter Gerhard Wohlrath, den Arbeiter Gustav Tiefes, den Versicherungsangestellten Erich Kompalla und die ehemalige SPD-Stadträtin Edith Hoereth-Menge, die der von Bertha von Suttner gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft angehörte.

In diesem Prozeß saßen also nicht nur Kommunisten, sondern auch parteilose Mitglieder des Friedenskomitees und Christen auf der Anklagebank.

Der ehemalige Pfarrer Erwin Eckert war nach 20jähriger Mitgliedschaft 1931 aus der SPD (wegen Kritik an der Tolerierungs- und Stillhaltepolitik der SPD) ausgeschlossen worden und als erster amtierender Pfarrer in die KPD eingetreten. Dies führte unmittelbar dazu, daß die deutschnational orientierte Kirchenleitung ihn fristlos und unehrenhaft aus dem Dienst entfernte. Eckert war Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung in Baden, von 1947-1956 KPD-Land­tagsabgeordneter zunächst in Baden, ab 1952 in Baden-Würt­temberg und Staatsrat im ersten südbadischen Kabinett nach dem Krieg gewesen. Für alle Angeklagten gilt: Ihr eigenes Erleben hat sie den Krieg hassen gelehrt. Wen wundert es, „daß diese Menschen die Behauptung, ihr Eintreten für den Frieden sei nur ‚Tarnung‘ oder ‚befohlen‘ gewesen als eine ausgesprochen persönliche Beleidigung empfinden?“

In keinem anderen westlichen Land – außer Franco-Spanien – wurde die Weltfriedensbewegung strafrechtlich verfolgt.

Wer verteidigte die Angeklagten und was waren ihre Argumente?

In diesem bis dahin größten und langwierigsten politischen Strafprozeß in der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren traten die Rechtsanwälte Diether Posser, Walther Ammann und Heinrich Hannover, Friedrich Karl Kaul sowie der britische Kronanwalt Denis Noel Pritt auf. Also die Creme de la Creme. Mit vereinten juristischen Kräften sorgten sie dafür, daß ein großer Teil der Anklagepunkte bei der Urteilsfindung nicht mehr berücksichtigt wurde. Aus dem Arsenal der Verteidigung, die Verfahren und Urteil als „verfassungswidrig“ analysierten, seien hier nur wenige Argumente aus der Verfassungsbeschwerde herausgegriffen:

– Der Verteidigung und den Angeklagten wurde das in Art. 103 Abs.1 des Grundgesetzes garantierte rechtliche Gehör in weitem Umfang versagt. Gleichzeitig liegt in der weitgehenden Verweigerung des rechtlichen Gehörs ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Ziff. d) der Menschenrechtskonvention vor, wonach es international zu den Grundrechten eines Angeklagten gehört „Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen zu erwirken.“ Nachdem das Gericht in Serie das Vorbringen von Anträgen und Dokumenten im Düsseldorfer Prozeß ablehnte, platzte dem Essener Strafverteidiger und Sozius von Gustav Heinemann der Kragen: „Wenn Sie alle unsere Beweisanträge zurückweisen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandaten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Anwälte als rechtstaatliche Dekor zu mißbrauchen“.

– Die auf § 90a des Strafgesetzbuches (StGB, alte Fassung) beruhende Verurteilung steht in Widerspruch zu den Art. 1 (Würde des Menschen), 3 (Gleichheitsgrundsatz), 4 (Glaubens- und Gewissensfreiheit), 5 (Meinungsäußerungsfreiheit) und 9 (Vereinigungsfreiheit). Die Strafvorschrift ist verfassungswidrig und damit nichtig. Sie wurde erst nach dem Düsseldorfer Prozeß vom Bundesverfassungsgericht am 21. März 1961 als „verfassungswidrig“ aufgehoben.

– Der „judicial restraint“ (Pflicht zur Beschränkung“) wurde bei der gesetzlichen Androhung von Freiheitsstrafen verletzt. „Wenn über die Bundesrepublik hinaus bekannte und geachtete Persönlichkeiten aus dem christlichen, liberalen wie kommunistischen Bereich, die, wie die Angeklagten, sich ihrem Gewissen verpflichtet, für eine Politik der Koexistenz und die Erhaltung des Friedens untereinander einsetzen, daraus (und dafür) mit Gefängnis bestraft werden, dann ist das ein unvertretbarer und nicht mehr zu verantwortender Eingriff in die Ehre, Freiheit und Menschenwürde.“

– Das vom Bundesverfassungsgericht bejahte Prinzip der Verhältnismäßigkeit wurde miß­achtet. Der Gesetzgeber „kann nicht einfach jedes ihm mißliebige oder auch nur unsympathische Verhalten einzelner Bürger und von deren Zusammenschlüssen oder gar bestimmten Richtlinien seiner Politik zuwider laufende Meinungen und politische Tendenzen pönalisieren, (d.h. unter Strafe stellen), sondern er ist vielmehr selbst gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden.“

– Bei Vereinigungen, die mit nicht zu beanstandenden, d.h. erlaubten Mitteln tätig sind, kann nur die politische Tendenz das eigentliche Motiv der Pönalisierung sein. „Dies reicht für eine Strafbedürftigkeit als unabdingbare Grundlage einer Strafvorschrift nicht aus. § 90a Abs. 1 StGB verstößt somit gegen die Grundrechte der Ver­einigungs- und Meinungsfreiheit und ist daher unzulässig.“

– „Betrachtet man Datum und Inhalt der Anklage, so liegen die darin aufgezählten und somit dem Eröffnungsbeschluß und dem Urteil zu­grundegelegten Umstände und Vorgänge alle zeitlich vor den ersten verwaltungsmäßigen Verbotsverfügungen.“ Das Landgericht selbst konnte nach dem Verbot des Friedenskomitees in NRW keine strafbaren Handlungen im Sinne der politischen Strafjustiz nachweisen.

– Die Angeklagten haben sich lediglich gegen bestimmte Maßnahmen der Regierungspolitik auf außen- oder wehrpolitischem Gebiet geäußert, so z. B. Unterschriftensammlung zum Stockholmer Appell (Verbot der Atomwaffen und Massenvernichtungsmittel – heute immer noch so aktuell wie damals!), Mitwirkung bei der Volksbefragungsaktion (gegen Remilitarisierung und Wiederaufrüstung), für den Volkskammerappell vom 15. August 1951 (Aufnahme gesamtdeutscher Beratungen), gegen das erste Straf­rechts­änderungs­gesetz, gegen den Generalvertrag, die Pariser Verträge und die NATO und die Aktion gegen Atomtod und Atomaufrüstung. Ein Verfassungsgrundsatz im Sinne des § 88 StGB (alte Fassung) ist damit weder in Gefahr noch angegriffen oder auch nur tangiert. Außerparlamentarische Aktionen sind eine „legitime Einwirkung auf das Parlament“ und dienen und gehören „geradezu zur politischen Willens­bildung des Volkes“, von dem laut Art. 20, Abs. 2, Satz 1 alle Staatsgewalt auszugehen hat.

Wer stellte sich als Zeuge der Verteidigung zur Verfügung

Zur Widerlegung des den Angeklagten gemachten Schuldvorwurfes oder als sachverständige Zeugen stellten sich u.a. folgende Personen zur Verfügung, die auf Antrag der Verteidigung in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen wurden: Christa Thomas, ehem. Mitbegründerin der CSU; Oberbürgermeister a. D. Wilhelm Elfes, Mitbegründer der CDU, Vorsitzender des Bundes der Deutschen (BdD); Isabelle Blume (Brüssel), ehem. sozialdemokratische Abgeordnete, Professor John Desmond Bernal, Vorsitzender des Präsidiums des Weltfriedensrates; Professor Joshitaro Hirano (Tokio), Präsident der juristischen Sektion der Akademie der Wissenschaften Japans und Generalsekretär des Japanischen Friedensrates.

In dem Verfahren hatte sich neben anderen bekannten kirchlichen Persönlichkeiten wie dem Karl-Barth-Schüler Professor D. Joachim Iwand und Dr. Dr. Gustav Heinemann auch der Kirchenpräsident Martin Niemöller als Zeuge der Verteidigung zur Verfügung gestellt. Er schrieb dem „kommunistischen Christen“ Erwin Eckert: „Ich bin mit Ihnen und den mit Ihnen verurteilten Freunden der Meinung, daß wir in einem Staat des Unrechts leben, in dem kein Mensch mehr vom Staat Wahrheit und Ehrlichkeit erwarten kann. Für Sie und die mit Ihnen verurteilten Freunde wie für unser ganzes Volk warte ich auf den Tag […], an dem unser Volk […] von den Menschen befreit wird, die unter dem Schutz dieser Verfassung ihre alten nazistischen und militaristischen Sonderziele zum Verderben unseres Volkes ungehindert verfolgen können. Darum bin ich froh, daß jetzt vor der ganzen Welt offenbar wird, wie unsere Polizei und auch unsere Justiz nazistisch verseucht und beherrscht werden.“

Wer übte Solidarität mit den Angeklagten

Solidarität erfuhren die Angeklagten im Düsseldorfer Prozeß durch die ca. 50 in- und ausländischen Zeugen der Verteidigung und durch zahlreiche Besucher, die als Prozeßbeobachter, teilweise von weither angereist (u.a. Richard Crossmann von der britischen Labour-Partei), im Gerichtssaal anwesend waren.

Nachdem Eckert Martin Niemöller den Text der Verfassungsbeschwerde beim BVerfG vorgelegt hatte, antwortete dieser: „Es geht […] darum, daß bei uns mit dem Wort ‚Demokratie‘ nicht Schindluder getrieben wird, sondern daß in einer Demokratie tatsächlich der Wille des Volkes irgendwie zum Tragen kommt und nicht nur alle paar Jahre einmal durch die Abgabe eines Stimmzettels, die dadurch beeinflußt wird, daß ganz bestimmte Fragen, und nicht gerade die entscheidenden Fragen, vor der Masse ausgebreitet werden.“2

Ein ganz besonderes Zeugnis anteilnehmender Solidarität ist der Brief eines Zeitgenossen, der zu den wenigen Juristen zählt, die aus dem „Dritten Reich“ unbeschadet hervorgingen und aufrecht in der BRD wirkten: der Frankfurter Rechtanwalt Dr. Paul Haag, der Eckert bereits 1936 vor der Sonderstrafkammer des OLG Kassel wegen „Hochverrat“ verteidigt hatte. In diesem Brief vom 16. Juli 1963 heißt es:

„Sehr geehrter Herr Eckert! Die von Ihnen und Ihren Leidensgenossen verfaßte Beschwerde gegen die Mißachtung Ihrer Grundrechte anläßlich eines gegen Friedensfreunde geführten Strafprozesses greift Mißstände unseres Justizwesens an, die sich von jenen, deren Opfer Sie in Kassel vor fast 30 Jahren geworden sind, nur der milderen Form, nicht aber der Sache nach unterscheiden. Hier wie dort hat man unter dem Schein eines rechtsförmigen Verfahrens und mit Auslegungskünsten, die jeden Freund des Rechts mit Empörung erfüllen, eine Gesinnung verfolgt, die den ewigen Machthabern dieses unglücklichen Landes nicht genehm war: die Stimme des Friedens, der Versöhnung, des Ausgleichs und damit letztlich der menschlichen Vernunft. Es gehört wahrhaftig die ganze Perversion neuwestdeutschen Rechtsdenkens dazu, Menschen als Staatsfeinde einer angeblich rechtsstaatlich fundierten Demokratie zu verfolgen, die sich mit allem Ernst und in lauterster Absicht darum bemühen, durch Arbeit für den Frieden die Erhaltung eben dieses Staatsgebildes und seiner Bürger zu fördern, dieses Staatsgebildes, dessen Richter sich dazu hergeben, die Freunde des Friedens und der Bewahrung des Staats, der diese Richter amtieren läßt, zu verfolgen. Dies alles ist noch trostloser als in jener schauerlichen Epoche, da Sie vor den Heloten des Braunauers standen; eben von jenen wußte man ja, dank der Brutalität ihrer Sprache und ihrer Taten, wessen man sich zu versehen hatte. Aber die verschleiernde Phrase, die den heutigen ‚Demokraten‘ (nach glücklicher Entnazifizierung) routinemäßig von den scheinheiligen Lippen quillt, ist es, die die moralische Atmosphäre dieses Landes so unerträglich macht. Ich wünsche Ihnen und Ihren Freunden allen Mut, den Sie im Kampf mit den Bundesverfassungsrichtern brauchen. Mit freundlicher Begrüßung Ihr Haag“.

Das Urteil im Düsseldorfer Prozeß

Nach 56 Verhandlungstagen verurteilte die IV. Große Sonderstrafkammer beim Landgericht Düsseldorf alle Angeklagten wegen „Staatsgefährdung“. Die Angeklagten wurden des „Vergehens der Rädelsführerschaft einer „verfassungsfeindlichen“ (sic) Vereinigung nach § 90a StGB“ für schuldig befunden und letztlich zu Gefängnisstrafen auf Bewährung verurteilt. Die Urteile wurden vom Bundesgerichtshof abgemildert, aber nicht aufgehoben.

Die „Staatsgefährdung“ sollte nach dem Urteil darin bestanden haben, „die breite Masse des Volkes mit der Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik unzufrieden zu machen.“3 Auf Seite 156 des Urteils wird als strafwürdig angesehen, daß der Zweck des Friedenskomitees darin bestanden habe, sich in „irreführender Weise auf das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte“, berufend, „die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik einseitig und ausschließlich herabzuwürdigen“. (Hervorhebung FMB) Diese abenteuerliche Gleichsetzung von Verfassungswirklichkeit und Verfassungsrecht konnte nur das Produkt einer besonderen „deutschen juristischen Weltanschauung“ (Ridder) sein. Dieses „Rechtsdenken“ kann ggf. schließlich gegen alle mit der Verfassungswirklichkeit unzufriedenen Kräfte zum Zuge kommen.

Der italienische Rechtsanwalt Dr. Lucio Luzzatto, Mitglied des ZK der Sozialistischen Partei Italiens und stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses des italienischen Parlaments, stellte als sachverständiger Prozeßbeobachter und Zeuge der Verteidigung zusammenfassend fest: „Man kann auch nicht sagen, daß es sich (beim Düsseldorfer Prozeß) um einen politischen Prozeß handelt; es handelt sich vielmehr um eine politische Operation, die man unter Inanspruchnahme juristischer Formen durchführt […] Man will einfach Unterdrückungsmaßnahmen im Bereich der Politik ergreifen“4 oder mit den Worten des legendären politischen Strafverteidigers Heinrich Hannover: Die politische Strafjustiz „verdient nicht den Namen Rechtsprechung; sie war Durchsetzung der Adenauerschen Politik mit justiziellen Mitteln„.

Der Düsseldorfer Prozeß – ein Tabu der bundesdeutschen Geschichte

„Es gibt kein Standardwerk zur Geschichte der BRD, in dem […] auf den Düsseldorfer Prozeß eingegangen worden ist.“5 Während die Archive der SED und des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit offengelegt wurden, bleiben die des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) verschlossen.

In der DDR, in der der Düsseldorfer Prozeß politisch und rechtswissenschaftlich in den Medien aufmerksam verfolgt wurde und eigens eine Gerichtsreportage zum Düsseldorfer Prozeß von Rudolf Hirsch als Buch erschien, das jetzt in der Sammelschrift „Justizunrecht“ nach 50 Jahren wieder zugänglich gemacht wird, wurde das Urteil im Düsseldorfer Prozeß als „Ausweitung des Justizterrors auf die gesamte ernsthafte Opposition in Westdeutschland“ kommentiert. In der DDR wurde die Urteilsbegründung als Beleg gewertet, „daß die bundesdeutsche Strafjustiz Gesinnungsverfolgung praktizierte“. 6

Das Düsseldorfer Urteil löste solche Irritation im Ausland aus, daß das Auswärtige Amt allen bundesdeutschen Vertretungen eine „Handreichung“ zur Erläuterung schickte. Die westdeutsche Bevölkerung hat von diesem fünf Monate dauerndem Großverfahren so gut wie nichts erfahren. Das Schweigen der Medien – the most effective tool of the media is silence – funktionierte nach den Worten von Heinrich Hannover auch ohne Anweisung aus einem Propagandaministerium. Der von Werner Blumenthal unter dem Pseudonym Heinz Kraschutzki herausgegebene und im Verlag Fritz Küster erschienene, höchst verdienstvolle dokumentarische Prozessbericht unter dem Titel „Staatsgefährdung“ von 269 Seiten wurde wenige Tage nach seinem Erscheinen 1961 beschlagnahmt und verboten.

Es ist an der Zeit, sich nicht nur der vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges in der bundesdeutschen Geschichte zu erinnern, sondern sie zum Gegenstand auch der Gesetzgebung zu machen, wie das die „Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges“ in den letzten 20 Jahren mehrfach angestoßen hat. Es kommt darauf an, sich an die Schande des Düsseldorfer Prozesses in jenem „Staat des Unrechts“ (Niemöller) zu erinnern, in der die Falschen in Amt und Würden blieben und deswegen die Falschen verurteilt und verfolgt wurden.7

Nach Heinrich Hannover hat „die Angst der Herrschenden vor der Revolutionierung der Köpfe eine spezifisch deutsche Justiztradition hervorgebracht.“ Wir sind verpflichtet, so Heinrich Hannover, „diesen Männern zu danken, daß sie es auf sich genommen haben, gegen die Politik der Bundesrepublik zu kämpfen [und] hier gewissermaßen für uns alle auf der Anklagebank zu sitzen.“

In einer Presseerklärung der Linkspartei, immerhin der einzigen Partei, die sich zum Jahrestag der Kriminalisierung der Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß äußerte, wurde anläßlich des 50. Jahrestages des Urteils in diesem historischen Großverfahren verlautbart, daß die Geschichte des Kalten Krieges in der BRD endlich aufgearbeitet werden müsse.

Wie sagte Ernst Bloch: Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich erinnert, was noch zu tun ist. In Max Güde (CDU) haben wir nach dessen Selbstkritik an seiner eigenen Beteiligung am Justizunrecht einen späten, argumentativen Bundesgenossen gefunden. Nach Güde steckt in der deutschen „Linksfürchtigkeit“ das „Contra gegen rund drei Jahrhunderte europäischer Geschichte: gegen Aufklärung, gegen den ‚Fortschritt‘, gegen Liberalismus und im Grunde auch gegen Demokratie, zumindest in ihrer westlichen Form“8. Güde schloß sich damit, spät aber nicht zu spät, der Erkenntnis von Helmut Ridder, dem schon seit den 50er Jahren konsequenten Kritiker des bundesdeutschen politischen Strafrechts und des KPD-Verbots, an, wonach man in Deutschland nie bereit gewesen sei, „den geschichtlichen Preis“ für die Emanzipation der kontinentaleuropäischen Revolution „zu zahlen“, „d.h. die seit 1789 notwendig mit dem Begriff von Demokratie verbundene Freiheit der Manifestation von Regime-Kritik und ‚Fundamentalopposition‘ […] oder das Gebrauchmachen von einer solchen Freiheit sanktionslos hinzunehmen“9

Die Geschichte der Ostermarschbewegung, die trotz des massiven Einschüchterungsversuchs im Düsseldorfer Prozess im gleichen Jahr 1960 in Westdeutschland begann, ist ein klares Indiz: Wir lassen uns nicht einschüchtern und unterkriegen.

Im Essener Arbeitszimmer von Karl Stiffel (DKP), der für die „Initiative für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges“ verantwortlich ist, fand ich gestern die folgende Losung: „Verträumen wir nicht unser Leben. Leben wir unseren Traum“. Kämpfen wir weiter für die beste Sache der Welt: für Frieden, Demokratie und sozialen und rechtlichen Fortschritt.«

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Der Vortrag fand am 11. Mai um 19.30 Uhr auf Einladung des Bochumer Friedensplenums und der DFG-VK  im Bahnhof Langendreer statt. Der vollständige Text ist nachzulesen in der im Herbst erscheinenden Sammelschrift des Verfassers „Auf Spurensuche. Ausgewählte Schriften seit 1998″, der beim Pahl-Rugenstein Verlag in Bonn erscheint.

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1 s. Heinz Kraschutzki [Pseudonym für Werner Blumenthal] (Hrsg.), Staatsgefährdung. Ein dokumentarischer Prozessbericht, Hannover 1961;

2 Brief von M. Niemöller an Eckert vom 31.1.1963.

3 Urteil im Düsseldorfer Prozeß, AZ. IV-1044/59, (KLs 10/59, S. 149f.

4 Zit. nach: J. Henker/J. Noack: Der Frieden stand vor Gericht. Zum Düsseldorfer Urteil gegen die Friedensbewegung in Westdeutschland. In: Neue Justiz. Zeitschrift für Recht und Rechtswissenschaft, Berlin/DDR, 14. Jg., Nr. 11, 5. Juni 1960, S. 453. siehe auch G. Kühlig/H. Müller: Freiheit für die Kräfte des Friedens in Westdeutschland. In: Neue Justiz, 1959, S. 808-811.

5 M. Weißbecker: Auf der Anklagebank des Kalten Krieges, In: F.-M. Balzer (Hrsg.) Ärgernis und Zeichen. Erwin Eckert. Sozialistischer Revolutionär aus christlichem Glauben, Bonn 1993, S. 311.

6 A. Rosskopf: Friedrich Karl Kaul. Anwalt im Kalten Krieg, Berlin 2002, S. 128-138. s. H. H. Holz, Der frühe Tod des Grundgesetzes. Das KPD-Verbot – der Präzedenzfall für die Aushöhlung der Demokratie in der BRD, Teil 1. In: Junge Welt vom 5.12.2009, S. 10-11. Teil 2. In: Junge Welt vom 7.12.2009, S. 10-11.

7 Siehe das Begleitheft zur Ausstellung „Die vergessenen Opfer des Kalten Krieges“. Hrsg. von ver.di, Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, Berlin-Brandenburg, Berlin 2005 und die von der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges (IROKK) herausgegebene „Nachdenkschrift“: Die verdrängte Schuld der Bundesrepublik, 2. erweiterte Auflage, Juni 2009.

8 Max Güde u.a., Zur Verfassung unserer Demokratie. Vier republikanische Reden, Reinbek 1978, S. 7-46, hier S. 22.

9 Helmut Ridder, Land der unbegrenzten Widersprüche, Auszüge aus einer Rede bei einem Pressegespräch aus Anlaß des 30. Jahrestages des KPD-Verbotsurteils. In: Deutsche Volkszeitung/die tat, Nr. 34 vom 22. August 1986, S. 10.


Mittwoch 05.05.10, 22:00 Uhr
Rede von Norbert Kozicki auf der Kundgebung von AGOT und des Kinder- und Jugendringes Bochum am 5. Mai

Schluss mit dem Kaputtsparen

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wieder einmal stehen wir auf der Strasse und demonstrieren für den Erhalt der Kinder- und Jugendarbeit.
Es ist jetzt das dritte Mal in diesem Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, dass wir gegen Mittelkürzungen und Sozialabbau protestieren.
Ich erinnere an die beiden erfolgreichen Volksinitiativen aus den Jahren 2004 und 2006, als wir alle gemeinsam das überfällige Kinder- und Jugendfördergesetz in Nordrhein-Westfalen erstritten haben, das uns ein erhebliches Mehr an Planungssicherheit in der Kinder- und Jugendförderung brachte.
In diesem Gesetz wurde der Landesjugendplan auf 96 Millionen Euro festgeschrieben. Nach der letzten Landtagswahl als Schwarzgelb in Düsseldorf ans Ruder kam, wurde im laufenden Haushaltsjahr trotz eines gültigen Gesetzes der Landesjugendplan um 20 Millionen Euro gekürzt.
Das sollten wir am Sonntag nicht vergessen, wenn wir zur Wahl gehen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir sind alarmiert durch die Haushalts- und Finanzkrise unserer Städte.
Wenn die Finanzausstattung der Gemeinden durch die schwarz-gelben Regierungen in Bund und Land nicht grundlegend geändert und verbessert wird, droht der kommunale Ruin und Absturz.
Dank des neuen kommunalen Finanzmanagements können wir jetzt präzise berechnen, wann die einzelne Stadt praktisch Pleite ist. In meiner Heimatstadt Herne werden in fünf Jahren alle Rücklagen aufgebraucht sein.
Die verfassungsmäßig garantierte kommunale Selbstverwaltung gibt es in vielen Städten praktisch nicht mehr.
Bereits seit Jahren haben die Städte mit riesigen Haushaltslöchern zu kämpfen, insbesondere die Städte hier im Ruhrgebiet. Anfang 2009 waren Kassenkredite von annähernd 15 Mrd. Euro aufgelaufen. Kassenkredite meint hier Kontoüberziehung. Das kostet richtig Geld in Form von Zinsen.
Der aktuelle Gemeindefinanzbericht des Städtetages NRW kommt in seiner Analyse zu folgenden Feststellungen:
Nur 4 Städte in NRW erreichten 2009 einen echten Haushaltsausgleich.
Mehr als ein Drittel waren 2009 Haushaltssicherungskommunen, 2010 werden es 60 % sein.
Jede zweite Kommune sieht eine Gefahr der Überschuldung.
Die Städte und Gemeinden sind in die Verschuldungsfalle geraten, weil sie ihre gesetzlich vorgegebenen Aufgaben nicht mehr durch Einnahmen decken können.
Eine Hauptursache für die dramatische Finanzkrise der Städte ist die seit Jahren anhaltende, gigantische Umverteilungspolitik von Bundes- und Landesregierungen.
Bund und Länder übertragen den Kommunen immer mehr Aufgaben – ohne für die wachsenden Kosten aufzukommen. In Bochum macht das die gigantische Summe von 60 Millionen Euro aus.
Das widerspricht der Verfassung. Dort ist geregelt: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch.
Jetzt sollen aber Kinder und Jugendliche die Zeche bezahlen.
In den meisten Kürzungsplänen in den Städten sind Erhöhungen der Beiträge für Kindertagesstätten, Offene Ganztagsschulen und Familienzentren vorgesehen. Zudem wird gekürzt beim Ausbau der U-3-Betreuung, bei Schwimmbädern, Freizeit- und Kultureinrichtungen, der Jugendhilfe und an den Zuschüssen für die Jugend- und Wohlfahrtsverbände.
Diese Kürzungslisten konterkarieren im Ergebnis die Ankündigung der noch amtierenden Landesregierung, NRW zum kinderfreundlichsten Bundesland machen zu wollen.
Aus diesem Grund fordern wir hier und heute den neuen nordrhein-westfälischen Landtag auf, in Zukunft dafür zu sorgen, dass die Städte ihre verfassungsmäßig garantierte Selbstverwaltung wieder wahrnehmen können.
Wir fordern weiterhin den neuen Landtag auf, dass das Land die kurzfristigen Kassenkredite und den daraus wachsenden Schuldendienst der Städte zeitnah übernimmt. Der Ruin unserer Städte muss jetzt verhindert werden.
Wir brauchen finanzielle Rettungsschirme für unsere Städte, weil unsere Städte systemrelevant sind.
Und liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es soll uns keiner daherkommen und behaupten, das sei nicht finanzierbar:
480 Milliarden Euro für den Bankenrettungsschirm,
100 Milliarden Euro für den Schutzschirm der Unternehmen,
Über 100 Milliarden Euro Stützung für die Katastrophenbank Hypo Real Estate,
Über 18 Milliarden Euro für die Commerzbank.
Gleichzeitig zahlen nach wie vor die Banken riesige Boni an ihre Manager, die im wesentlichen die Finanzkrise verschuldet haben:
Allein im Jahre 2009 überwies die Deutsche Bank an ihre Londoner Investmentbanker 450 Millionen Euro.
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Vorschläge für staatliche Mehreinnahmen liegen schon lange auf dem Tisch:
Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Bekämpfung der Korruption, vermehrte Betriebsprüfungen bei Konzernen und Millionären, usw. usw.
Das alles hätte zur Folge, dass sich auch die kommunale Finanzsituation erheblich verbessern würde.
Allein die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer von 0,1% würde jährlich 1.000 Milliarden Euro in die Kassen der europäischen Mitgliedsländer spülen, so die Berechnung der Europäischen Kommission.
Damit hätten Griechenland, Portugal und Spanien erheblich weniger finanzielle Probleme.
Dazu muss es aber einen Richtungswechsel in der Politik in Bund und Land geben. Die Umverteilung des vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums muss von oben nach unten erfolgen.
Es muss endlich Schluss sein, mit dieser Politik nach dem Motto „Wenn es für alle nicht mehr reicht, springen die Armen ein“.
In Zukunft muss es heißen: „Da es nicht mehr reicht, springen die Reichen ein.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor ein paar Tagen demonstrierten unsere Jugendfreunde in Duisburg, am vergangenen Freitag in Köln, gestern in Remscheid und heute hier in Bochum. In den Debatten der vergangenen Wochen taucht immer wieder der Begriff der freiwilligen Leistungen auf, wenn es um die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit geht.
Um es ein für allemal klarzustellen: Die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit in unserem Land ist eine kommunale Pflichtaufgabe und gehört nicht in die Haushaltskonsolidierung.
Wir erfahren immer noch, dass Beamte in den Regierungspräsidien den Kommunen im Rahmen der Haushaltssicherung Kürzungslisten vorgeben, in denen die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit zur freiwilligen Leistung erklärt wird.
Dem widerspricht das bundesweite Kinder- und Jugendhilfegesetz und das Kinder- und Jugendfördergesetz des Landes NRW.
In den Städten, wo das jugendpolitisch akzeptiert ist, kommt dann das Argument „Pflichtaufgabe, ja aber der Höhe nach unbestimmt“. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz sagt etwas anderes.
Die kommunale Pflichtaufgabe der Förderung von Kinder- und Jugendarbeit ist am Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen zu orientieren. Und das ist eine fachliche Auseinandersetzung, die dann zu finanziellen Folgen führen muss, so das deutsche Jugendhilferecht.
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
auf der Landesebene haben wir als AGOT-NRW ein Forschungsprojekt angeschoben zum Thema „Das Wissen zur Kinder- und Jugendarbeit“. In diesem Zusammenhang ist jetzt die entsprechende Veröffentlichung auf dem Markt.
Dort werden alle verfügbaren wissenschaftlichen Studien zu den Wirkungen der Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt.
Ich bitte Euch, diese sehr interessanten Ergebnisse wahrzunehmen und in die kommunale jugendpolitische Diskussion einfließen zu lassen.
Denn dann wird es nochmals deutlich, dass Kinder- und Jugendarbeit eine enorm wichtige Bildungseinrichtung für Kinder und Jugendliche ist, und auch eine enorm wichtige Einrichtung für die Demokratie.
Kinder- und Jugendarbeit wirkt als Bildungsort der Demokratie, wirkt als freiwilliger Lernort, wirkt durch Anerkennung und Wertschätzung, wirkt durch Förderung der Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit, wirkt durch Vielfalt und wirkt durch ehrenamtliches Engagement.
Im Zusammenhang mit dem ehrenamtlichen Engagement in allen Bereichen der Jugendarbeit möchte ich auf eine Studie hinweisen. Dort wird wissenschaftlich nachgewiesen, dass im ehrenamtlichen Engagement in der Jugendarbeit bis zu 60 einzelne Kompetenzen erworben werden. Und wer in der Jugend sich ehrenamtlich engagiert, macht das in der Regel auch im Erwachsenenalter.
In diesem Sinne ist Kinder- und Jugendarbeit eine Werkstatt der Demokratie. Deshalb muss Kinder- und Jugendarbeit ausgebaut und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
Deshalb „Schluss mit dem Kaputtsparen“.


Ostermarsch Ruhr, Bochum-Wattenscheid 04.04.2010
Sonntag 04.04.10, 20:00 Uhr

Rede von Sevim Dagdelen, MdB Die Linke

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens, Liebe Anwesende,
in den letzten zwei Tagen haben wir es wieder bitter vor Augen geführt bekommen. In Afghanistan wird Krieg geführt und Deutschland ist mittendrinnen. Vorgestern kamen drei Bundeswehrsoldaten „im Gefecht“ -wie es heisst- um. Gestern töteten Bundeswehrsoldaten „aus Versehen“ -wie es heisst- fünf afghanische Soldaten. Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird und dass das Töten und getötet werden endlich aufhört. Deshalb fordern wir den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Beendigung aller deutschen Unterstützungsleistungen! Damit dieser Krieg ein rasches Ende findet! Kundus ist überall.
Liebe Freundinnen und Freunde, wofür wird dieser Krieg geführt?
Wir haben viele Begründungen gehört, die allesamt infame Lügen waren. Es hieß, man wolle mittels Krieg die Frauen befreien und Demokratie bringen. -Als wenn das Töten von Menschen das Retten von Menschen sei. Als wäre das Bomben von Menschen das Befreien von Menschen. Mittlerweile ist klar, dass man in Afghanistan dabei ist, eine Diktatur zu errichten, in der Kriegsverbrecher, Drogenbarone und Warlords das Sagen haben. Dass die ungebrochene Unterdrückung der Frauen mittlerweile verschärft wird durch die Vergewaltigungen und die allgemeine Unsicherheit, die Kriege und internationale Besatzungen mit sich bringen. Dass viele afghanischen Frauen immer noch die Burka tragen, nun aber ihre Männer und Söhne verloren haben und in den Trümmern ihrer Häuser sitzen. Jetzt heißt es, man müsse in Afghanistan bleiben und die Truppen sogar noch aufstocken, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Dabei herrscht in Afghanistan schon Bürgerkrieg und wird durch Deutschland und die NATO immer weiter angeheizt.
Die NATO und Deutschland bilden hunderttausende junger Männer in Afghanistan an der Waffe aus und erklären sie zu Soldaten und Polizisten. Sie schicken diese Menschen ins Gefecht, die nicht einmal Lesen oder Schreiben können. Selbst die Gewerkschaft der Polizei will keine Polizei mehr in den Krieg und für den Krieg in Afghanistan ausbilden. Die Desertionsquote bei dieser Ausbildung in Afghanistan liegt bei 40%. Oft nehmen die ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte noch ihre Waffen und Uniformen mit. Das heißt die NATO und Deutschland bilden auch noch ihre eigenen Gegner aus. Finanziert aus deutschen Entwicklungshilfegeldern. Das nennt man dann „zivilen Wiederaufbau“. Es gibt keinen zivilen Aufbau! Wer davon spricht der lügt doch einfach nur! Deutschland und die NATO bauen Milizen auf und paktieren mit diesen. Sie bezahlen Warlords für den Schutz ihrer Feldlager und den sicheren Transport ihrer Ausrüstung.
Sagen wir NEIN zur Legende vom zivilen Wiederaufbau. Die Polizeiausbildung gehört schlicht zur Kriegsführung. Das ist die Realität, die aus gutem Grund Merkel, Westerwelle aber auch SPD und GRÜNE einfach verschweigen. Und wer nun noch immer von „Abzugsperspektive“ schwafelt -will doch nur Sand in unsere Augen streuen. Im afghanischen Bürgerkrieg sollen mehr Afghanen Afghanen töten. Nichts anderes ist unter der „Afghanisierung des Krieges“ und unter der neuen NATO-Strategie zu verstehen. Sagen wir NEIN zu diesen zynischen und mörderischen Kriegsspielen.
Statt einer Afghanisierung des Krieges brauchen wir eine Afghanisierung des Friedens!
Liebe Freundinnen und Freunde, wofür wird dieser Krieg nun wirklich geführt, von dem mittlerweile alle wissen, dass er nicht gewonnen werden kann?
Er wird geführt für den Fortbestand der NATO. Er wird darum geführt, dass die NATO auch weiterhin „glaubwürdig“ ist. Dass die NATO auch weiterhin „glaubwürdig“ drohen kann, die Vorherrschaft des Westens notfalls auch mit der Waffe aufrecht zu erhalten und durchzusetzen. Liebe Freundinnen und Freunde, wir können nicht akzeptieren, dass für solch abscheuliche Ziele afghanische Männer, Frauen und Kinder sterben müssen. Wir können auch nicht akzeptieren, dass für solche Ziele deutsche, amerikanische und nepalesische Soldaten sterben müssen. Wir werden nicht akzeptieren, dass für solche Ziele Krieg geführt wird. Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan! Die NATO muss aufgelöst werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, wie wird dieser Krieg geführt?
Letzte Woche wurden einige Zahlen veröffentlicht. Auch nach den geschönten Rechnungen der Bundesregierung hat der Afghanistankrieg über eine Milliarde Euro gekostet. Die USA haben in Irak und Afghanistan mittlerweile über 5.000 Soldaten verloren. Doch die Hauptlast des Krieges trägt natürlich die Bevölkerung in Afghanistan. Die UN-Mission in Afghanistan hat allein 2009 2.500 zivile Opfer registriert; doch diese Zahl ist viel zu niedrig. Durch den Krieg leiden die Menschen an Unterernährung und sterben Kinder an vermeidbaren Krankheiten. Auch die zahlreichen Söldner der NATO sind in diesen Zahlen nicht enthalten. Und alleine von den sogenannten afghanischen Polizisten sollen im vergangenen Jahr 1.500 ums Leben gekommen sein.
Neben dieser „Afghanisierung des Krieges“ besteht die NATO-Strategie vor allem in gezielten Tötungen. Gezielte Tötungen durch unbemannte Flugzeuge werden von den USA in Afghanistan und am angrenzenden Pakistan mit zahlreichen zivilen Opfern angewandt. Auch das von Oberst Klein formulierte Ziel des Bombenangriffs vom 4. September 2009 bei Kundus bestand darin, möglichst viele der Aufständischen zu „vernichten“. Dass ein deutscher Soldat wieder die „Vernichtung“ von Menschen anordnet, sollte allein schon Grund für Deutschland sein, seine Truppen sofort abzuziehen und in sich zu gehen, wie es so weit kommen konnte!
Ihr seht, dieser Krieg – obwohl er von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird – hat Deutschland verändert. In Deutschland wurde der Quasi-Verteidigungsfall ausgerufen, der Bundeswehreinsatz im Inneren vorbereitet. Im Schatten von selbstverursachtem Krieg und Terror arbeiten deutsche Geheimdienste, deutsche Polizei und die Bundeswehr im In- und Ausland wieder eng zusammen. Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges hatten dies in ihrem alliierten Polizeibrief als Bedingung für einen neuen deutschen Staat für immer untersagt, damit es nie wieder zu einer Machtkonzentration wie im Reichssicherheitshauptamt kommen könne. Heute haben wir das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, Nacktscanner und – nach wie vor – die Vorratsdatenspeicherung. Wir wissen, dass diese Totalüberwachung mit dem Krieg in Afghanistan zusammenhängt und wir lehnen diese Totalüberwachung ab! Wir sagen NEIN zur Aggression nach außen sowie nach innen! Die Lehre aus dem Deutschen Faschismus war Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Doch auch in anderer Hinsicht hat sich Deutschland durch den Afghanistankrieg verändert. Denn die Bundesregierung und die Bundeswehr müssen sich immer stärker um die Akzeptanz und die RekrutInnen für diesen und andere Kriege bemühen. Unterstützung erhält sie dabei von der deutschen Wirtschaft, die versucht, dieses Ansinnen im Rahmen des Celler Trialogs – initiiert von Commerzbank und der ersten Panzerdivision des Heeres – zu unterstützen. Dass die Bundeswehr Stiftungsproffessuren an Universitäten unterhält, angehende Lehrer in „politischer Bildung“ schult und selbst Jugendoffiziere auf Ausbildungsmessen und in die Klassenzimmer schickt ist unerträglich. Die Bundeswehr hat an Universitäten und Schulen nicht zu suchen. Nehmt Eure blutverschmierten Hände von unseren Kindern!
Und liebe Freundinnen und Freunde, in diesen Tagen hat die Kriegspropaganda nicht nur in Afghanistan Konjunktur. Gegenwärtig drohen die USA und Israel unverhohlen mit einem Militärschlag gegen den Iran. Hunderttausende Tote drohen bei einem Angriff auf den Iran. Der nächste Schritt für einen solchen Angriff sind die aktuell von Deutschland, der EU, USA und Israel geforderten härteren Sanktionen. Die Abgeordneten der Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU im Bundestag signalisieren bei jeder Gelegenheit ihre Unterstützung für die Sanktionen und einen Angriff. Sie beteiligen sich an den Lügen und der Dämonisierung des Iran. Wer sich anschaut wie im bezug auf den Iran gelogen wird, dass sich die Balken biegen, der kann sich nur an die Vorzeit des Irakkriegs erinnern. Wir erinnern uns an Collin Powells tolldreiste Show im UN-Sicherheitsrat mit den „weapons of mass destruction“ – immer schärfere Sanktionen bis zum völkerrechtswidrigen Krieg. Saddam Huessein, der neue Hitler. Und jetzt der Iran.
Die Gefahr eines weiteren Krieges im Nahen Osten und eines Flächenbrandes ist akut und wir müssen bei jeder Gelegenheit klar stellen, dass es einen solchen Krieg mit uns nicht geben wird. Wir müssen NEIN sagen zu dieser Kriegspropaganda. Wir sagen NEIN zu ihren Kriegslügen Frau Merkel und Herr Westerwelle! Wir haben genug von ihren Fabriken der Wirklichkeit! Sie haben uns nicht mehr als Krieg und Elend zu bieten.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Alle Umfragen -nicht nur in Deutschland- zeigen, die Bevölkerung lässt sich nicht beirren. Die Ablehnung gegen Krieg steht. Die Skepsis wächst bei vielen. Sie glauben nicht mehr, dass wir Demokratie und Frauenrechte am Hindukusch verteidigen, während die Bundesregierung eine monarchistische Diktatur in Saudi-Arabien hochrüstet und beste Handelsbeziehungen mit diesen pflegt, wo Frauen noch nicht einmal Autofahren dürfen. Viele glauben ihnen nicht mehr. Der Undemokrat Niebel sollte statt mehr Rückhalt für den Krieg einzufordern, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung respektieren und endlich die Konsequenzen ziehen!
Also, Stehen wir auf! So wie heute.
Sorgen wir dafür, dass es mehr werden, die ihnen und ihren Kriegslügen nicht glauben.
Krieg bedeutet Zerstörung und Tod. Krieg bedeutet Angst und Gewalt. Krieg bedeutet Elend und Flucht. Er bedeutet Vernichtung von Umwelt, Natur und menschlichen Lebensgrundlagen. So darf es nicht mehr weitergehen. Wir müssen statt in immer mehr Krieg, endlich anfangen in den Frieden zu investieren liebe Freundinnen und Freunde.
Der Krieg in Afghanistan muss sofort beendet werden.
Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan!
Ich danke für eure Aufmerksamkeit.


Rede von Uli Borchers, Bündnis gegen Rechts, zum 90. Jahrestag der Niederschlagung des Kapp-Putsches
Dienstag 30.03.10, 15:00 Uhr

Ein Generalstreik hat die Republik gerettet 1

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,
90 Jahre ist es her, dass der Kapp-Putsch stattgefunden hat.
90 Jahre: ein Zeitraum, der Erinnerung immer schwerer, aber trotzdem notwendig macht.
Ich habe die Anfrage der VVN für diese Rede übernommen, weil es auch meinem Verständnis von Geschichte entspricht, sowohl über die Vorgänge von 1920 zu sprechen als auch darüber nachzudenken, welche Konsequenzen aus den Ereignissen vor 90 Jahren zu ziehen sind.
Deshalb habe ich für meine Rede 3 Abschnitte vorgesehen:
1. wie kam es zum Kapp-Putsch
2. wer waren die Gewinner, wer die Verlierer
3. warum Gedenktage dieser Art
Die geschichtliche Ausgangssituation ist weitgehend erforscht, die wichtigsten Details sind bekannt: deshalb kann der historische Rückblick sich auf wenige Fakten beschränken.
Nach der Niederlage des Kaiserreichs im 1. Weltkrieg wurde im Versailler Vertrag festgelegt, dass das Berufsheer auf 100.000 Soldaten verkleinert werden soll.
Freikorps, die nach dem 1. Weltkrieg gebildet worden waren, sollten durch Regierungsverfügung ebenfalls aufgelöst werden.
Die Auflösungsorder von Teilen des Militärs beantworteten Dr. Kapp und General von Lüttwitz mit einem Ultimatum an die damalige Reichsregierung.
Inhalt des Ultimatums waren die Forderungen nach:
– sofortiger Auflösung des Reichstags
– Neuwahlen
– Verzicht auf die weitere Auflösung von Truppenteilen.
Die Reichsregierung lehnte dieses Ultimatum ab, General Lüttwitz wurde entlassen.
Am 13. März fand der erwartete und schon längst vorbereitete Kapp-Putsch statt.
„Die Marinebrigade Ehrhardt marschierte in Berlin ein, nachdem die Reichsregierung versucht hatte, durch Verhandlungen den Aufmarsch zu verhindern“(nach Emil Julius Gumbel: Verschwörer, 1924, Neuauflage Fischer TB 1984, S. 59.
Kapp ließ die Regierungsgebäude besetzen, ernannte sich selber zum Reichskanzler, Lüttwitz zum Reichswehrminister. Die Nationalversammlung wurde aufgelöst, der Reichspräsident abgesetzt.
Die nach Stuttgart geflohene Reichsregierung rief die Arbeiterschaft zum Streik auf:
Sie hatte keine andere Wahl!!!
Die auf die Verfassung verpflichtete Reichswehr weigerte sich, gegen die Putschisten vorzugehen (von Seekt: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“.
Erst der gemeinsame Aufruf von ADGB und AfA (Legien und Aufhäuser führte zum Generalstreik.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Generalstreik die Republik damals gerettet hat.
Nach nur 4 Tagen war der Putsch vorbei.
Kapp floh nach Schweden.
Zur Situationsbeschreibung zitiere ich noch einmal E.J. Gumbel (s.o. S. 59:
„Die öffentliche Meinung verlangte die strengste Bestrafung der Kapp-Anhänger, die Auflösung der ungetreuen Truppen und Geheimbünde. Als Reaktion auf den Kapp-Putsch entstand in dem republikanisch gesinnten Rheinland und Westfalen eine Arbeiterbewegung mit dem Ziel der Räterepublik. Jetzt wiederholte sich das Spiel von 1918. Plötzlich gab es keinen Kappisten, der nicht ausschließlich für den Schutz von Ruhe und Ordnung eingetreten wäre. Die Generäle, die Offiziere, die Truppen, die eben noch gemeutert hatten, verwandelten sich sofort wieder in Regierungstruppen. Sie hatten nicht die Zeit, ihre Hakenkreuze (! abzulegen, und schon marschierten sie im Namen der gesetzmäßigen Regierung gegen die Arbeiter, gegen die sie im Namen der Kapp-Regierung Krieg geführt hatten. Die Regierung Bauers gab ihren eigenen Feinden wieder die Macht und ließ es zu, dass die Republikaner verfolgt wurden“ (Ende des Zitats.
Was Gumbel hier sehr allgemein beschreibt, war allerdings doch ganz anders und in einigen Punkten ist seine Beschreibung auch falsch.
Schon vor dem Generalstreik hatte es erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den Parteien gegeben, wie gegen die Putschisten vorgegangen werden soll.
Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches gab es erneut erhebliche Differenzen darüber, wie zukünftig Attacken auf die Republik verhindert werden können:
– die SPD-Führung erklärte den Generalstreik für beendet und strebte die Normalisierung der Verhältnisse an.
– USPD und KPD forderten die Entwaffnung aller Freikorps und Putschisten.
Unter ihrer Führung bildete sich im Ruhrgebiet die „Rote Ruhrarmee“.
Ca. 100.00 Mann setzten sich zur Wehr, errangen militärische Erfolge und vertrieben Reichswehreinheiten aus Dortmund, Essen, Mühlheim, Duisburg, Hamborn.
Carl Severing, der sozialdemokratische Reichskommissar für Rheinland-Westfalen, forderte die „Rote Ruhrarmee“ auf, sich aufzulösen und die Waffen abzugeben.
Im Gegenzug wurde zugesichert, die Reichswehr nicht ins Ruhrgebiet einmarschieren zu lassen.
Unter einem Vorwand, zumindest mit einer fragwürdigen Begründung, wurde dieses Versprechen gebrochen und die Reichswehr marschierte ins Ruhrgebiet ein.
Unter Führung der KPD wurde erneut zu Generalstreik und bewaffnetem Widerstand aufgerufen.
Die militärische Überlegenheit der Reichswehr einerseits und die Isoliertheit der „Ruhrarmee“ andererseits führte in die Niederlage, die „Ruhrarmee“ wurde zerschlagen.
Reichswehr und Freikorps nahmen fürchterliche Rache: neben den Toten aus den Kämpfen gab es zahlreiche „standrechtliche“ Erschiessungen.
Die neuesten Zahlen belegen, dass an die 1000 Männer, Frauen und Jugendliche in den Kämpfen und danach ihr Leben verloren haben.
Wer war Gewinner, wer waren die Verlierer?
Die Entscheidungen der SPD-Reichsregierung hatten fatale Konsequenzen .
Es wurden genau diejenigen militärischen Kräfte gegen die kämpfenden Arbeiter im Ruhrgebiet eingesetzt, die nur wenige Tage zuvor am Kapp-Putsch direkt beteiligt waren oder mit dem Putsch symphatisiert hatten.
Warum konnte dies so geschehen?
Es waren die politischen Forderungen der „Roten Ruhrarmee“, die der Reichsregierung nicht passten.
Es waren die SPD-eigenen politischen Vorstellungen von Ruhe und Ordnung, vom Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, die unvereinbar waren mit der Existenz von bewaffneten Arbeitern und einer starken KPD.
Die Reichsregierung sicherte sich zwar ihre Macht durch den Einsatz der Reichswehr, eine Bestrafung der am Kapp-Putsch Beteiligten war unter diesen Bedingungen völlig undenkbar.
Gumbel (s.o. S. 61 schreibt dazu:
„ Die folgende Tabelle zeigt, wie das Verfahren gegen 540 Offiziere, die am Kapp-Putsch beteiligt waren, eingestellt wurde….Dies konnte von den Kapp nahestehenden Kreisen mit Recht als Ermunterung angesehen werden. Sie hatten nur zu einem noch nicht ganz zeitgemäßen Mittel gegriffen. Es galt ihr Werk zunächst mit legalen Mitteln fortzusetzen, den durch die Niederschlagung des Kapp-Putsches zerstörten Apparat wieder instand zu setzen. Um dann mit anders gearteten Mitteln das selbe Ziel, die Zerstörung der Republik, fortzusetzen“ (Ende des Zitats.
Zu den Gewinnern gehörte das Militär. Die Reichswehr festigte mit den Aktionen gegen die kämpfenden Arbeiter ihren Status in der Weimarer Republik und blieb dennoch durch und durch monarchistisch, nationalistisch und antidemokratisch.
In Verbindung mit den Freikorps blieb die Reichswehr bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten ein Unsicherheitsfaktor.
Verlierer in dieser Auseinandersetzung waren die kämpfenden Arbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet.
Sie waren zur Verteidigung der Republik im März in den Generalstreik getreten und wurden im April von denen verfolgt, gejagt, getötet, gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte.
Ihr Verdienst ist es, mit letzter Konsequenz bis zur Aufgabe des eigenen Lebens gekämpft zu haben.
Ihr Verdienst ist es, den größten bewaffneten Aufstand der deutschen Arbeiterbewegung gewagt zu haben für die demokratische und sozialistische Erneuerung Deutschlands.
Sie wollten mit ihrem bewaffneten Widerstand auch die Ergebnisse der Novemberrevolution von 1918/19 verteidigen.
Der größte Verdienst der Arbeiterbewegung besteht allerdings darin, dass ihr bewaffneter Kampf 1920 eine Militärdiktatur verhindert hat.
Gedenktage wie heute sind richtig und notwendig
Menschen dafür zu mobilisieren wird immer schwieriger.
Diejenigen – so wie wir – die gegen das Vergessen, das Verdrängen und Ignorieren aktiv sind, wir selber sollen nicht leugnen, dass wir wenige sind und wahrscheinlich auf absehbare Zeit auch in der Minderheit bleiben werden.
Auch aus dieser Position heraus hat das „Bündnis gegen Rechts“ durch eigene Mobilisierung und in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen – u.a. mit der VVN – in Bochum Zeichen gesetzt.
2008 haben wir den Aufmarsch der NPD zwar nicht verhindern können. Wir konnten aber mehrere 1000 Menschen gegen die NPD zum Protest und Widerstand aufrufen.
2009 haben wir in Wattenscheid die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt“ gezeigt.
Diese Ausstellung dokumentierte eindrucksvoll, dass seit 1990 mehr als 140 Menschen in Deutschland durch Skinheads und andere zutiefst rassistisch und ausländerfeindlich handelnde Personen und Organisationen ermordet worden sind.
Rassismus („Abendland in Christenhand“ und Ausländerfeindlichkeit ist auch das Kennzeichen von „pro-NRW“.
Vor 2 Tagen, am 26.3.2010, konnten wir zeigen, dass mehr Menschen gegen „pro-NRW“ auf die Strasse gehen, ein Vielfaches mehr, als sie selber aufbringen können.
Aber durch Zahlen allein werden die Hetzereien nicht gebannt:
– wenn die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise noch deutlicher werden
– wenn immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren
– wenn Existenzangst weitere Bevölkerungsschichten ergreift
– wenn die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich immer groteskere Züge annimmt
dann beeinflussen und verstärken die Neonazis und Rassisten von „pro-NRW“ und NPD die Stimmung und das Denken, dass die Schuldigen für diese Lebensbedingungen die Menschen
– anderen Glaubens
– anderer Herkunft
– anderer Hautfarbe
sind.
Was also ist zu tun?
Im Aufruf vom „Bündnis“ gegen die (jetzt abgesagte Kundgebung der NPD vom 10.4.2010 steht , was für die Zukunft gilt:
1. Die Lügen der NPD sind längst durchschaut
2. Über die Gefahr rechter Gewalt muss verstärkt aufgeklärt werden.
3. Nie wieder Faschismus, es gilt den Neonazis entgegenzutreten.
Ich danke Euch/Ihnen fürs Kommen.
Ich danke Euch/Ihnen fürs Zuhören.


Dienstag 23.02.10, 21:30 Uhr

Rede von ver.di-Sekretärin Gudrun Müller zum Jahresauftakt 2010 am 23. Februar

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
Im Namen des Bezirksvorstands des ver.di Bezirks Bochum-Herne begrüße ich Sie und Euch ganz herzlich zu unserem ersten politischen Jahresauftakt.
Wir bedanken uns dafür, dass Ihr unserer Einladung zu diesem Neujahrsempfang gefolgt seid.
Manche von Euch werden sicher in den letzten Wochen schon einige solcher Veranstaltungen absolviert haben.
Jetzt ist bereits Mitte Februar und wir sind mit unserem Neujahrsempfang tatsächlich reichlich spät dran.
Das ist uns bewusst, aber dafür gibt es Gründe.
Zum Einen hat unsere Bezirksdelegiertenkonferenz erst am
1. Dezember des letzten Jahres beschlossen, künftig solche Empfänge durchzuführen, und zum Anderen ist unsere Organisation an vielen Stellen und zu vielen Themen gefordert.
Ganz besonders sticht hier die aktuelle, sehr komplizierte Tarifrunde des Öfeentlichen Dienstes heraus, die uns seit Anfang Januar in Aktion hält. Am 04. Februar hatten wir in unserem Bezirk mit weit über 4.000 Streikenden in Bochum und Herne eindrucksvoll gezeigt, dass wir in der Lage und auch willens sind, für unsere Interessen zu kämpfen.
Ich will auch hier in diesem Kreis noch einmal betonen, dass gerade in der Wirtschaftskrise es notwendig ist, durch Tariferhöhungen die Kaufkraft zu stärken – in diesem Sinn wirken Tariferhöhungen besser als jedes Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Aktuell befinden wir uns in der Schlichtung. Schlichtungszeit ist warnstreikfreie Zeit. Insofern ist im Moment – vordergründig zumindest – Ruhe eingekehrt – was aber nicht bedeutet, dass wir uns nicht auf den Fall des Scheiterns des Schlichtungsverfahrens vorbereiten würden. Das Gegenteil ist der Fall. Auch wenn wir alle hoffen, dass die Schlichtung zu einem akzeptablen Ergebnis führt, werden wir für den Fall, dass unsere Hoffnung nicht realisiert wird, vorbereitet und gerüstet sein, um weiter für unsere berechtigten Interessen zu streiten.
Diese Tarifauseinandersetzung, aber auch andere Themen binden selbstverständlich bei uns viel Personal, Kräfte und Energie.
Und dennoch sind wir fest entschlossen, künftig derartige Veranstaltungen wie die heutige durchzuführen – ab nächstem Jahr dann sicher auch bereits im Januar.
Derartige Veranstaltungen sind für uns von besonderer Wichtigkeit.
Schließlich sind wir mit unseren über 31.000 Mitgliedern eine der stärksten Gewerkschaftsverbände in unseren beiden Städten Bochum und Herne – ja sogar – und darauf können wir Stolz sein – im mittleren Ruhrgebiet.
Wir sind uns dieser Organisationsstärke und damit verbundenen politischen Kraft sehr bewusst, wollen diese aber zukünftig noch stärker in die Waagschale der örtlichen Auseinandersetzungen und Debatten legen.
Darüber hinaus sehen wir Bedarf, uns in Bochum und Herne, noch stärker zur Gesellschaft hin zu öffnen. Wir wollen sozusagen unsere Fenster und Türen aufmachen und frische Luft hereinlassen.
Wir wollen offensiver den Dialog suchen, mit politischen Entscheidungsträgern, aber auch mit Schwestergewerkschaften, mit den Parteien und Verbänden, mit den Kirchen und den sozialen Bewegungen in unseren beiden Städten.
So hat es unsere Bezirksdelegiertenkonferenz am 1. Dezember beschlossen und so wollen wir unserer politischen Verantwortung – auch hier vor Ort in Bochum und Herne – wirksamer und deutlicher vernehmbar gerecht werden.
Wir sind überzeugt – dies ist heute wichtiger denn je!
Ich denke, niemandem ist entgangen, dass in diesen Tagen eine Welle durch unser Land rollt – eine Westerwelle. Eine Welle, die zunächst vordergründig betrachtet auf den 9. Mai, also die Landtagswahlen in NRW zielt, die aber tatsächlich grundsätzliche Fragen aufwirft.
Insofern wäre es töricht und leichtfertig, das Geschwätz von „anstrengungslosem Wohlstand“, von „spätrömischer Dekadenz “ oder von „geistigem Sozialismus “ als bloßes Wahlkampfgetöse abzutun.
Um Wahlkampfgetöse geht es Westerwelle selbstverständlich auch – aber mit Sicherheit nicht nur!
Dem FDP-Kapitän auf der ins Schlingern geratenen FDP-TITANIC geht es um mehr, als nur um die Lufthoheit über den Stammtischen.
Westerwelle stellt vielmehr mal eben die Systemfrage. Er will die neoliberalen Veränderungen, die bereits in den letzten Jahren stattgefunden haben, unumkehrbar machen und weitere Pflöcke einschlagen, um die Reste des Sozialstaats, der kommunalen Selbstverwaltung und der sozialen Daseinsvorsorge ein für alle mal einzudampfen.
Mit seinen provokativen Äußerungen zur HARTZ IV-Debatte attackiert er unverhohlen den Sozialstaat. Wenn Westerwelle für die „geistig-moralische Wende“ plädiert und „Die Mitte unserer Gesellschaft wieder in die Mitte der Politik rücken“ will, dann sind wir gemeinsam gefordert, diese neoliberale Propaganda als parteitaktisches Ablenkungsmanöver, das auf Kosten der Arbeitslosen betrieben wird, zu entlarven.
Dabei spricht er nur das aus, was sich die wirklich dekadente, neoliberale Gemeinde aus wahltaktischen Gründen und angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise, momentan nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen traut.
Und das – liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren – ruft uns, die Gewerkschaften, auf den Plan.
Vor diesen Absichten der Westerwelles und Co. müssen – ja da wollen wir vor sein.
Aber nicht nur wir, denn – so stark wir auch sind – unsere Kraft – und so realistisch sind wir – unsere Kraft allein reicht dafür nicht aus!
Wenn in der aktuellen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise auch das Scheitern des Neoliberalismus und der Sozialstaatsfeinde mehr als offenkundig geworden ist, so haben wir es doch mit einem einflussreichen, parteiübergreifenden Machtblock von Gegnern zu tun.
Insofern ist mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen am 9. Mai, aber ganz sicher auch darüber hinaus der Bedarf an politischer und sozialer Gegenmacht groß.
Diese Gegenmacht muss sich in Bochum und Herne in Form von breiten Bündnissen um die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Lebensfähigkeit der Städte und Gemeinden manifestieren.
Dafür wollen wir heute den Anstoß geben und Sie/ Euch herzlich bitten mitzuhelfen, damit wir uns in einem solchen Bündnis zusammenfinden können.
Wir mögen vielleicht in einer ganzen Reihe politischer oder auch tarifpolitischer Fragen unterschiedlicher Meinung sein. Ich denke aber, dass wir alle – oder doch viele von uns – einen gemeinsamen Nenner finden können, wenn es um die Verteidigung des Sozialstaatsgebots des Grundgesetzes oder um die kommunale Daseinsvorsorge in Bochum und Herne geht.
Der ver.di Bezirk Bochum-Herne will seinen aktiven Teil dazu beitragen.
Deshalb werden wir schon sehr bald die Initiative zur Bildung eines solchen Bündnisses ergreifen, das hoffentlich noch vor der Landtagswahl mit nicht zu ignorierenden Aktionen in die Auseinandersetzungen eingreift.
Zum Mitmachen möchte ich Sie/ Euch ermuntern – auch das ist ein Ziel des heutigen Abends.
In diesem Sinne, danke ich nochmals für die Wertschätzung und freundliche Aufmerksamkeit, die in Ihrem/ Eurem Besuch in unserem schönen ver.di-Haus hier zum Ausdruck kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Begrüßt mit mir besonders, die Oberbürgermeisterin
der Stadt Bochum, unsere Kollegin Frau Dr. Ottilie Scholz und den Oberbürgermeister der Stadt Herne, unseren Kollegen Horst Schiereck.
Beide haben nunmehr die Gelegenheit, ihre Grußworte an uns zu richten.
An dieser Stelle hätten wir uns eigentlich auf die Ausführungen eines kritischen Weggefährten freuen sollen, der in unserem Bezirk inzwischen kein Unbekannter mehr ist.
Die Rede ist von unserem Kollegen, Prof. Dr. Heinz Bontrup.
Kollege Bontrup kann leider wegen einer akuten Erkrankung heute nicht unter uns sein. Wir wünschen ihm von hier aus aber gute Besserung.
So darf ich Sie / Euch bereits jetzt zu einem kleinen herzhaften Imbiss einladen. Ich wünsche uns allen gemeinsam einen schönen Abend mit netten und anregenden Gesprächen und richte noch ein herzliches Dankeschön an den Musiker, der mit seiner Musik an diesem Abend eine angenehme Atmosphäre geschaffen hat.


Offener Brief an die WAZ vom 8.2.2010
Donnerstag 11.02.10, 19:00 Uhr

Marie-Luise Bartz zu: Kirchen üben scharfe Kritik an Politikerin der Linken

Bochum, den 8.2.10

Marie-Luise Bartz

WAZ
Essen

Leserbrief zu : Kirchen üben scharfe Kritik an Politikerin der Linken

Die 3 Pfarrer der Stadtkirchen fanden es also „widerlich“, dass Frau Dagdelen zu Ehren von Herrn Peres sitzen geblieben ist und drohen ihr, dass sie ab sofort „unerwünscht“ sei. ( Man beachte die Sprache.)
Wie hätte sie denn sonst reagieren sollen? Der Familie von Herrn Peres und damit auch ihm ist durch uns Deutsche großes Unrecht und Leid geschehen. Zu Ehren der Opfer beim Auschwitz-Gedenktag hat sie sich erhoben.
Wie aber sollen Gegner der Apartheidpolitik Israels gegen Palästina ihren Unmut kundtun? Herr Peres ist seit Jahrzehnten ein hoher Repräsentant dieser Apartheid-Regierung.
Es wäre gerecht und sehr notwendig gewesen, wenn sich die 3 Pfarrer über die Politik der Israelis so aufgeregt hätten.
Wie schwer es ist, große Teile der Kirchen gegen Apartheid zu mobilisieren, weiß ich aus 25 Jahren Arbeit gegen die Apartheid in Südafrika.

Marie-Luise Bartz

Trägerin der Ehrenplakette gegen Rassismus der Stadt Bochum


Freitag 05.02.10, 22:00 Uhr

Antwort von Sevim Dagdelen auf einen offenen Brief von drei PfarrerInnen 3

Sehr geehrte Pfarrerin von Bremen,
sehr geehrter Pfarrer Schöps,
sehr geehrter Pfarrer Wessel,

Sie wissen, dass es nicht stimmt. Dass ich niemals den Opfern des Holocaust meinen Respekt verweigern würde und dies auch nicht getan habe im Bundestag. Dass ich mich selbstverständlich erhoben habe zu Ehren der Opfer, die dem deutschen Rassenwahn zum Opfer gefallen sind, als der Bundestag am 27. Januar im Beisein von Shimon Peres der Opfer des Nationalsozialismus gedachte. Mich des Antisemitismus zu bezichtigten, ist infam. Mir Bösartigkeit und Gefühllosigkeit zu unterstellen, nicht minder. Sie beschuldigen mich der Ignoranz, ohne auch nur mit mir ein Gespräch zu suchen. Sie reden von Kultur und predigen Hass. Das hätte ich nicht erwartet. Erst recht nicht von Ihnen.

Ja, ich habe Shimon Peres nach seiner Rede stehende Ovationen verweigert. Ich habe nicht stehend applaudiert, als er von Atomraketen sprach, die der Iran angeblich besitze und die die Welt bedrohen. Ich habe nicht geklatscht, als er den Kriegstreibern Nahrung gab, die dabei sind, den nächsten Feldzug gegen den Iran zu planen, der den Mittleren Osten in die nächste Katastrophe steuern wird. Ich habe keine Zustimmung geäußert zu einer Fortsetzung der Vorgehensweise, die wir aus dem Irak kennen, wo gleichfalls mithilfe von Bedrohungsszenarien ein furchtbarer Krieg vom Zaun gebrochen wurde.

Wenn Sie mir dafür die Tür der Kirche weisen, dann soll es so sein. Vertreter der Kirche, die wider besseren Wissens diffamieren, sind nicht meine Ansprechpartner. Ob Sie jedoch die vielen Christinnen und Christen repräsentieren, denen Wahrhaftigkeit etwas bedeutet und die sich gegen Krieg und für Dialog und Verständigung einsetzen, wage ich zu bezweifeln. Sie sagen, es widert Sie an, dass ich sitzengeblieben bin. Was mich anwidert, sind hasserfüllte Stellungnahmen der Selbstgerechtigkeit, die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, was ich mir von der Kirche erhoffe und von ihr erwarte. Ich bin sicher, damit stehe ich nicht allein.

Ich erlaube mir, den Brief den zuständigen Superintendenten der evangelischen Kirche zukommen zu lassen und ihn wie Sie dies mit Ihrem Brief getan haben, unmittelbar zu veröffentlichen.

Sevim Dagdelen, 05.02.2010

Der Brief, auf den Sevim Dagdelen antwortet.


Donnerstag 04.02.10, 18:00 Uhr

Rede von Gudrun Müller, ver.di-Bezirk Bochum Herne, am 4. Februar auf dem Bochumer Rathausplatz

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin beeindruckt. So sieht Gegenwehr aus! Dass so viele aus den Bochumer öffentlichen Verwaltungen und Betrieben heute in den Streik getreten sind, ist ein klares Zeichen an die Adresse der öffentlichen Arbeitgeber:

Wir sagen klipp und klar:

  • Wir – die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst lassen uns nicht zu Sparschweinen der Nation machen!

  • Wir – die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst leisten tagtäglich gute Arbeit – 5 Tage die Woche, viele von uns auch nachts und am Wochenende.

  • Wir – die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sind wichtig für unsere Stadt! Wie sähe es denn in Bochum aus …

    • Ohne die Kollegen vom USB z.B., ohne die vielen Müllwerker oder den Winterdienst?

    • Ohne die Kollegen der Bogestra, ohne die vielen Bus- und Straßenbahnfahrer, die uns sicher rund um die Uhr transportieren?

    • Ohne die motivierten Erzieherinnen in den Kita´s, die sich um unsere Kinder kümmern?

    • Ohne die Kollegen von den Stadtwerken, die zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Störungen ´rausfahren?

    • Ohne die vielen Kolleginnen und Kollegen in der Stadtverwaltung und der anderen Behörden?

Ihr wisst es genau und ich weiß es auch: Ohne diesen Öffentlichen Dienst sähe es düster aus in Bochum! Liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich begrüße jetzt ganz herzlich die Kolleginnen und Kollegen

  • Umweltservice Bochum, USB

  • Bogestra (auch Gelsenkirchener)

  • Stadtwerke Bochum (ewmr, evu zählwerk)

  • Sparkasse Bochum

  • Landesbetrieb Straßen NRW

  • Akafö, Studentenwerk

  • Agentur für Arbeit und ARGE

  • Knappschaft-Bahn-See und BG RCI (ehem. Bergbau-BG)

  • Schauspielhaus

  • die vielen Kolleginnen und Kollegen der Bochumer Stadtverwaltung.

Ich begrüße aber auch diejenigen, die hinter uns an den Fenstern stehen und sich vielleicht noch nicht trauen, herauszukommen und möchte sie gerne ermuntern, beim nächsten Mal dabei zu sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

gestern hat uns eine Solidaritätserklärung der Ratsfraktion „DIE LINKE“ erreicht. Sie wünschen uns Kraft und Erfolg in diesem schwierigen Tarifkonflikt.

Heute morgen erreichte mich noch eine Solidaritätsadresse von unseren Freunden der Gewerkschaft der Polizei.

Danke für die solidarische Unterstützung; die können wir gebrauchen.

Solidarität zeigen aber auch unsere örtlichen SPD-Abgeordneten. Unter uns habe ich entdeckt

  • Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer

  • Landtagsabgeordnete Carina Gödecke, Thomas Eiskirch.

  • Ratsmitglieder der SPD-Fraktion sehe ich hier unter uns.

Danke, dass ihr an unserer Seite steht.

Kolleginnen und Kollegen,

worum geht es in dieser Tarifauseinandersetzung?

Ihr wisst: ver.di fordert für ihre Mitglieder ein Tarifpaket von 5 %.

Darin enthalten ist:

  • eine spürbare Lohnerhöhung

  • eine tarifliche Regelung zur Altersteilzeit

  • verbindliche Regelungen zur Übernahme der Auszubildenden.

Über diese Forderungen hat sich Wolfgang Schäuble fürchterlich erschrocken. Und der Verhandlungsführer der AG – Bundesinnenminister de Maisiere meint sogar: „Diese Forderung der Gewerkschaften ist maßlos.“

Jetzt frage ich euch: Das soll maßlos sein? Unsere Forderungen sind doch mehr als gerecht – schließlich hinkt der Öffentlichen Dienst doch seit Jahren der allg. Einkommensentwicklung hinterher.

Maßlos finde ich etwas ganz anderes:

  • maßlos und völlig inakzeptabel ist, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung gerade eben Steuergeschenke an die Hoteliers und an die reichen Erben verteilt hat.

  • Dass dieses dann auch noch als ein Gesetz zur Wachstumsbeschleunigung bezeichnet wird, grenzt an Volksverdummung.

Ich sage:

Das Wachstum könnte besser durch spürbare Lohnerhöhungen beschleunigt werden.

Mehr Geld in den Taschen von rd. 4 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst

  • das bringt Kaufkraft

  • das bringt Wachstum

  • das bringt die richtigen Impulse gerade jetzt in der Wirtschaftskrise.

Und das alles bringt letztendlich auch Geld wieder in die öffentlichen Kassen.

  • So wird ein Schuh d´raus!! Liebe Kolleginnen und Kollegen.

Jetzt weiß ich natürlich auch, dass wir im Bochumer städtischen Haushalt eine ganz besonders angespannte finanzielle Situation haben.

Unser Stadtkämmerer hat deswegen auch bereits fleißig gerechnet. Aber bei allem Verständnis für die prekäre Lage des städtischen Haushalts. Es kann doch nicht angehen, dass die Sparpolitik auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird und die Politik uns im ÖD wieder Sonderopfer abverlangt.

Nicht wir sind schuld an den knappen Kassen!

Es ist doch absurd, uns bluten zu lassen, während gleichzeitig Milliardenrettungs-schirme für diejenigen aufgespannt werden, die die Wirtschaftskrise verursacht haben.

Ich sage:

Wir zahlen nicht für eure Krise!

Genauso absurd ist es, milliardenschwere Steuergeschenke an Reiche und Hoteliers zu machen und gleichzeitig im Öffentlichen Dienst zu sparen.

Ich sage:

Das machen wir nicht mit und wir lassen es uns auch nicht gefallen!

Was jetzt nötig ist, ist, dass die Finanzierung der Kommunen auf solide Füße gestellt wird. Wir brauchen eine vernünftige Steuerpolitik, die wieder mehr Geld in die öffentlichen Kassen bringt. Was wir ganz und gar nicht brauchen, ist dreiste Klientelpolitik à la FDP.

Diese Forderung sollten wir im übrigen bei der anstehenden Landtagswahl am 09. Mai im Auge behalten und uns fragen: Vertritt schwarz-gelb wirklich unsere Arbeitnehmer-interessen?

Ich für mich beantworte diese Frage ganz klar mit NEIN!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ihr seht, ich stehe hier nicht alleine auf der Bühne.

Mit an meiner Seite ist

  • Karina Lange, Jugendvertreterin der Stadtverwaltung. Sie wird gleich unsere Tarifforderungen bezogen auf die Jugend kurz erläutern.
  • Markus Jatsch, Personalrat bei der BG RCI (ehem. Bergbau-BG). Er wird gleich erklären, wieso auch die Beamten und Do-Angestellten in der Sozialversicherung Interesse haben sollten an einem guten Tarifabschluss.
  • Jürgen Becker, BR-Vorsitzender USB. Er wird uns gleich sagen, warum Regelungen zur Altersteilzeit für uns so wichtig sind.
  • Michael Wiese, unser ver.di-Tarifexperte in NRW. Er ist Mitglied der Verhandlungskommission und kann uns gleich über den aktuellen Tarifkonflikt aus 1. Hand informieren.

Michael, wir freuen uns, dass du nach Bochum gekommen bist.

Zunächst hat aber die Jüngste im Bunde das Wort. Liebe Karina – bitte schön.


Pressemitteilung der Sozialberatung Ruhr
Mittwoch 27.01.10, 09:00 Uhr

Muss überzahltes Kindergeld von Hartz IV-Eltern erstattet werden?

Zum 1. Januar 2010 sind die Beträge für das Kindergeld angehoben worden. Diese Anhebung soll in vielen Fällen von den ARGEn nicht berücksichtigt worden sein. Wie den verschiedenen Medienberichten zu entnehmen war, planen die Bundesagentur bzw. die ARGEn diese Beträge zurückzufordern. Fraglich ist, ob ein entsprechender Rückzahlungsanspruch tatsächlich besteht. Gem. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X können Verwaltungsakte mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, geändert haben. Im vorliegenden Fall hätten sich nicht die tatsächlichen, sondern die rechtlichen Verhältnisse geändert. Zum Zeitpunkt des Zugangs des Verwaltungsaktes bei den Leistungsempfängern muss dieser Verwaltungsakt noch rechtmäßig, d. h. richtig gewesen sein (Geiger in info also 2009, 147). Im Dezember 2009, als die entsprechenden Leistungsbescheide bei den Hilfeempfängern eintrafen, war jedoch bekannt, dass das Kindergeld zum 01.01.2010 angehoben wird. Der Bescheid war also zum Zeitpunkt des Eintreffens beim Leistungsempfänger bereits falsch, d. h. rechtswidrig. Ein rechtswidriger Leistungsbescheid kann nicht gem. § 48 SGB X aufgehoben werden (Geiger, a. a. O.). Aufgehoben werden kann dieser rechtswidrige Verwaltungsakt also nur unter den Bedingungen des § 45 SGB X. Gem. § 45 Abs. 2 SGB X kann der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt nur aufgehoben werden, wenn er entweder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde oder der Verwaltungsakt auf Angaben beruhte, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig, in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder aber er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Begünstigte, also die Hartz IV-Eltern, die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt haben. Die Eltern von Hartz IV-Kindern haben weder arglistig über das Vorhandensein der Kinder getäuscht noch den Leistungssachbearbeiter bedroht oder bestochen. Sie haben auch keine fehlerhaften Angaben gemacht und deshalb liegt auch der Fall des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X nicht vor. Hartz- IV-Bescheide sind für die meisten Menschen völlig unverständlich und insofern konnte der Leistungsempfänger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auch nicht erkennen. Eine Aufhebung dürfte deshalb in den allermeisten Fällen ausscheiden. Die betroffenen Eltern sind aufgefordert, Widerspruch gegen eventuelle Rückforderungsbescheide zu erheben. Lediglich rein vorsorglich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass ausnahmsweise eine Aufhebung zulässig und richtig ist, dies nicht bedeutet, dass die Leistungsempfänger den überzahlten Betrag unverzüglich zurückzahlen müssen. Rechtstechnisch liegt – 2 – eine Aufrechnung vor. Eine Aufrechnung im SGB II ist nur unter den Bedingungen des § 43 SGB II möglich. Dieser setzt voraus, dass der Hilfebedürftige vorsätzlich oder grob fahrlässig fehlerhafte Angaben gemacht hat. Dies liegt nicht vor und insofern ist eine Aufrechnung nicht möglich. Der wirkliche Skandal an dieser Angelegenheit ist nicht die angebliche Überzahlung, sondern der Umstand, dass Millionäre ein erhöhtes Kindergeld bekommen, wohingegen arme Kinder, d. h. Kinder von armen Menschen, dieses erhöhte Kindergeld nicht bekommen, obwohl sie es viel nötiger haben. Dies ist und bleibt der Hauptskandal an dieser politischen Weichenstellung.


Sonntag 24.01.10, 15:00 Uhr

Ausstellung der VVN -BdA Bochum

Sinti und Roma in Bochum
Verachtet, vertrieben, verfolgt


Erweiterter Forderungskatalog der Bochumer Studierenden (in dieser Version fehlen noch kleine Änderung, die während der Vollversammlung eingearbeitet wurden)
Mittwoch 09.12.09, 16:53 Uhr

Forderungskatalog

Studierende, SchülerInnen und viele andere Menschen haben eines gemeinsam: Sie wollen sich bilden. Dies ist jedoch nicht nur ein persönliches Bestreben jener Personen, sondern gleichermaßen im Interesse des Gemeinwohls: Ohne Bildung kann es weder ein demokratisches Miteinander noch eine sich weiter entwickelnde Gesellschaft geben. Nicht ohne Grund wurde Bildung daher zu einem Menschenrecht erhoben.

Es ist offensichtlich, dass das deutsche Bildungssystem dem Anspruch, dieses Recht allen Menschen unabhängig von Geschlecht, Einkommen, Alter, Nationalität, Sexualität, Religion, Migrationsgeschichte und Aussehen zu gewährleisten, nicht nachkommt. Doch selbst wer die hohen Bildungshürden gemeistert hat, sieht sich mit einer katastrophalen Situation in den Bildungseinrichtungen konfrontiert: Die Lern- und Lehrbedingungen sind miserabel, die Schul- und Hochschulbildung verkommt zu einer Elitenbildung der wirtschaftlichen Verwertbarkeit, die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen gleichen feudalen Herrschaftsstrukturen und die Möglichkeiten zur demokratischen Beteiligung sind eher ein Feigenblatt, als echte Partizipation. Die Unzufriedenheit mit dieser Situation spiegelt sich im immer stärker werdenden Widerstand der letzten Jahre wider und hat während des Bildungsstreiks im Juni einen seiner bisherigen Höhepunkte gefunden. Die erfolgreichen Aktionen dieses Sommers haben sich im Herbst zu einer internationalen Welle des Protests weiterentwickelt. Alleine in Deutschland wurden bisher knapp 60 Universitäten und Schulen besetzt und mehr als 90.000 Menschen haben auf der Straße ihrem Unmut Ausdruck verliehen.

Daher fordern wir, auch in Solidarität mit den anderen besetzten Standorten:

An der Ruhr-Universität:

  • Hin zu einer Lehr- und Lernkultur, die persönliche Interessen berücksichtigt und fördert, eigenständiges Lernen ermöglicht und zum kritischen Denken ermutigt. Dies insbesondere durch die Flexibilisierung der Veranstaltungswahl, Abschaffung der Anwesenheitskontrollen sowie die Etablierung vielfältiger und innovativer Lehr- und Diskussionsmethoden.
  • Weg von der Verwertbarkeit, hin zu einer höheren Fächervielfalt. Die gesellschaftliche Bedeutung eines Studiengangs kann nicht an dem unmittelbaren ökonomischen Nutzen eines Faches gemessen werden. Forschung und Lehre sind mehr als die Ausbildung Studierender zu einem „marktfähigen Produkt“ und müssen daher unabhängig von der Wirtschaft organisiert und finanziert werden.
  • Studiengebühren sind ein Instrument sozialer Selektion: Wir fordern die Senatorinnen und Senatoren der RUB daher auf, mit gutem Beispiel voran zu gehen und von der Erhebung von Studiengebühren ab dem nächsten Semester abzusehen.
  • Die Lehrkapazitäten sind soweit zu erhöhen, dass alle Lehrveranstaltungen in angemessenen Gruppengrößen stattfinden können. Die ortsabhängigen, fachspezifischen und studiengangbezogenen Zulassungsbeschränkungen sind nicht weiter akzeptabel. Wir fordern daher die Abschaffung sämtlicher NCs.
  • Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung sind demokratische Grundrechte, welche auch in den Bildungseinrichtungen gewahrt werden müssen. Die Möglichkeiten der Personenüberwachung durch Kameras wie in der Mensa der RUB, Funk-Chips in den Studierendenausweisen, sowie eine lückenlose und unsichere Speicherung aller studienrelevanten Daten im VSPL sind einzustellen.
  • Die Hochschulleitung der Ruhr-Universität wird aufgefordert, weitere Anbiederungen an die nordrhein-westfälische Landesregierung zu unterlassen und stattdessen die von der Vollversammlung der RUB erhobenen Forderungen gegenüber der Landesregierung und in der Hochschulrektorenkonferenz glaubhaft zu vertreten.

Auf Landesebene:

  • Rücknahme des sogenannten Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetzes (HFGG) sowie ein generelles Verbot von Bildungsgebühren vom Kindergarten bis zum Seniorenstudium. Bildung muss jedem Menschen gleich welchen Alters zur Verfügung stehen können.
  • Das Mitspracherecht bei sämtlichen (bildungs-)politischen Beschlüssen ist ein zentraler Bestandteil einer umfassenden Bildung. Dieses ist durch Viertelparität (Gleichberechtigung von Studierenden, ProfessorInnen sowie wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal) in den Hochschulgremien bzw. Drittelparität (Gleichberechtigung von SchülerInnen, Eltern und Lehrkräften) in Schulgremien zu gewährleisten. Darüber hinaus muss die Partizipation von Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern in sämtlichen bildungspolitischen Gremien aktiv gefördert werden.
  • Die Entscheidungsgremien an den Hochschulen wurden auf höchster Ebene um einen Hochschulrat erweitert. Dieser setzt sich jedoch nicht aus den jeweiligen Statusgruppen der Hochschulen zusammen, sondern wird größtenteils oder komplett von externen Personen besetzt. Diese Maßnahme beschneidet die universitäre Selbstverwaltung erheblich. Daher fordern wir die Abschaffung der durch das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) installierten Hochschulräte.
  • Durch die Beteiligung von wirtschaftlichen Unternehmen bei der Finanzierung des Bildungssystems entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis der Bildungseinrichtungen zur Wirtschaft. Dieses wird nicht nur in organisatorischen sondern auch inhaltlichen Bereichen deutlich. Die Finanzierung des Bildungssystems muss ausschließlich aus öffentlichen Mitteln erfolgen.

Auf Bundesebene / Auf Ebene der Kultusministerkonferenz:

  • Die Einführung eines zumindest existenzsichernden bundesweiten Tarifvertrags für alle studentischen Beschäftigten nach dem Vorbild Berlins; inklusive einer personalrechtlichen Vertretung.
  • Der Bologna-Prozess und die damit einhergehende Einführung der neuen Studienabschlüsse führen zu steigendem Leistungsdruck und einer ökonomisierten Organisation des Studiums (Kreditpunkte-System). Darüber hinaus wird der B.A.-Abschluss weder auf wirtschaftlicher noch auf wissenschaftlicher Ebene als vollwertiger Abschluss anerkannt. Wir fordern die Abschaffung der Bachelor- und Masterstudiengänge in ihrer jetzigen Form.
  • Da das von der BRD festgelegte finanzielle pfändungsfreie Existenzminimum für Einzelpersonen bei 930 Euro monatlich liegt, sollte diesem Satz auch das Bafög angeglichen werden. Darüber hinaus sollten sämtliche sozialen Grundförderungen dieser Höhe entsprechen.
  • Eine umfassende Chancengleichheit unabhängig von sozialer Herkunft kann nur auf Basis einer eigenständigen Existenz jeder/jedes Einzelnen verwirklicht werden. Deshalb fordern wir elternunabhängiges BAföG, sowohl für SchülerInnen als auch für Studierende.
  • Entgegen der Versprechungen im Rahmen der B.A./M.A.-Reform ist es immer schwieriger geworden den Studienstandort zu wechseln. Unterschiedliche Anforderungen auf Bundes- und internationaler Ebene machen es neben der knapp bemessenen Zeit innerhalb des Studiums nahezu unmöglich den eigenen Bildungsweg flexibel zu wählen. Um die uneingeschränkte Wahlfreiheit des Studienfaches und Studienortes zu ermöglichen, fordern wir die Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen der Studiengänge im gesamten Bundesgebiet, sowie die zuverlässige Anerkennung sämtlicher Studienleistungen bei Standortwechseln.

Rede von Ayla Wessel bei der Einweihung des Denkmals für die Wattenscheider Opfer der Shoa am 9. 11. 2009
Montag 09.11.09, 22:00 Uhr

Faschismus beginnt damit, keine Namen zu kennen

Ayla Wessel

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zunächst möchte ich Ihnen danken dafür, dass wir heute hier zusammen sind. Ich möchte Ihnen meinen Respekt aussprechen, dass so viele zusammen es geschafft haben, eine Erinnerung zu stiften. Erinnerung ist das, was es nur gibt – und nur geben wird – wenn viele zusammen sie tragen. Und darum möchte ich Sie – im Angesicht der 87 Namen, die diese Stelen tragen – an etwas erinnern. Etwas, das sich „Namensänderungsverordnung“ nennt.
Diese „Namensänderungsverordnung“ trat vor genau 70 Jahren in Kraft. Sie zwang alle Jüdinnen und alle Juden dazu, einen zweiten Vornamen zu tragen: Alle jüdischen Männer hießen von da an Israel, alle jüdischen Frauen Sara.
Diese Verordnung trat am 1. Januar 1939 in Kraft. Ihr Zweck war es, Juden und Jüdinnen zu kennzeichnen, ihnen eine Kennmarke aufzukleben. Zwei Jahre später folgte eine zweite Verordnung, deren Titel war unmissverständlich, sie hieß „Verordnung über die Kennzeichnung der Juden“. Sie bedeutete: Alle mussten sie den Gelben Stern tragen.
So wurde aus den Namen das Gegenteil des Namens. Eigentlich steht der Name – zwar gerade in der jüdischen Tradition – als Inbegriff der Person. Er steht für die unverwechselbare Persönlichkeit, für Individualität, für Integrität.
Die Nazis aber haben aus Namen Kennmarken gemacht, etwas, das man wie Preisschilder aufkleben kann. Sie haben die einzelne Person zum puren Exemplar gemacht, am Ende zur nackten Nummer. Eine sechsstellige Nummer, den Deportierten in die Körper gebrannt. Die Häftlingsnummer in den KZ, sie sollte Kennmarke sein, totale Entpersönlichung.
Es ist eine simple Wahrheit: Faschismus ist das Gegenteil von Individualität. Es beginnt damit, keine Gesichter mehr zu sehen, keinen Eigensinn zu akzeptieren. Faschismus beginnt damit, keine Namen mehr zu kennen, sondern Kennmarken zu brüllen.
Diese „Namensänderungsverordnung“ also trat vor 70 Jahren in Kraft, als alle jüdischen Frauen mit der Kennmarke Sara belegt wurden und alle jüdischen Männer mit der Kennmarke Israel. Genau 70 Jahre später zogen große Demonstrationen durch bundesdeutsche Städte – auch durch Bochum – und riefen: „Tod! Tod Israel!“
Es ist eine simple Wahrheit: Faschismus beginnt damit, keine Namen zu kennen, sondern Kennmarken zu brüllen.
Darum müssen wir immer wieder neu beginnen, Namen zu erinnern. Dafür danke ich Ihnen – und besonders Hannes Bienert – von Herzen.


Rede von Ralf Feldmann, Bündnis gegen Rechts, am 06. November 2009
Freitag 06.11.09, 22:00 Uhr

Die NPD gehört nicht in den Rat und die Parlamente, sondern verboten!

Liebe Bochumer Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Zum ersten Mal nach der Katastrophe des Nationalsozialismus ist ein Vertreter der Nazi-Partei NPD in den Rat unserer Stadt gewählt worden. Mit 1417 Stimmen, 0,98 Prozent – nur einer. Aber der NPD-Landesvorsitzende Cremer ist einer der besonders hässlichen Hetzer in unserem Land. Von der Landeszentrale der NPD in Wattenscheid kümmert er sich seit Jahren besonders um die Vernetzung seiner Partei zu den Schlägertruppen rechter Kameradschaften. Immer wieder tritt er als Organisator und Redner auf widerlichen Nazi-Demonstrationen in Erscheinung. Er war der Initiator des rechten Aufmarsches gegen den Bau der neuen Bochumer Synagoge. Seine antisemitischen Tiraden gipfelten damals in der volksverhetzenden Verleumdung, jüdischer Glaube billige sexuellen Missbrauch von Kindern. mehr…