Warum haben Wirtschaft und Regierung noch immer nicht mit der Auszahlung der Entschädigungsgelder an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter begonnen Die Antwort scheint auf den ersten Blick sehr einfach zu sein: Weil in den USA die dritte und letzte Sammelklage von NS-Opfern gegen die deutsche Wirtschaft von dem zuständigen Bundesgericht nicht zurückgewiesen wurde und damit die „Rechtssicherheit“, die in den internationalen Vereinbarungen angestrebt wird, noch nicht hergestellt ist. Doch dabei wird allzu leicht darüber hinweg getäuscht, daß die entscheidenden Versäumnisse bei den deutschen Industriefirmen, Banken und Versicherungen liegen, die ihre zugesagten Vorleistungen nicht hinreichend erbracht haben, sich dafür aber umso fester an ihrem Fetisch „Rechtssicherheit“ festhalten. Denn hatte nicht die deutsche Industrie Anfang März 2001, als die New Yorker Bundesrichterin Kram die besagte dritte Sammelklage nicht zurückwies, ihren Anteil von 5 Milliarden DM immer noch nicht aufgebracht? Hatte sie durch diese Säumigkeit nicht den Verdacht geweckt, sie sei - entgegen ihren Zusagen - doch nicht zahlungswillig? Und es fehlten in der Tat noch ganze 1,4 Milliarden DM. Dadurch verzögerten sich die Auszahlungen an die Opfer auf schier unerträgliche Weise. So kommt es einer zynischen Heuchelei gleich, wenn jetzt der „Schwarze Peter“ an die US-Gerichte weiter geschoben werden soll. Nebenbei bemerkt: Die dritte Sammelklage bezieht sich gar nicht auf Entschädigungszahlungen, sondern auf die sogenannte Arisierung von jüdischem Vermögen durch deutsche Banken. In dem bundesdeutschen Stiftungsgesetz sind von insgesamt 10 Milliarden DM für die direkte Abfindung von Vermögensschäden dieser Art 350 Millionen DM vorgesehen, für soziale und humanitäre Zwecke in Bezug auf die Auswirkungen von Vermögensschäden weitere 650 Millionen. Daß im Stiftungsgesetz die Regelungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen - die letzte große Gruppe von NS-Opfern, denen noch keine „Wiedergutmachung“ zugekommen ist - mit den Regelungen von Vermögensschäden zusammengebracht wurden, ist nur aufgrund des politischen Drucks von Industrie, Banken und Versicherungen zustande gekommen, die vehement auf diesem Junktim beharrten. Inzwischen wurden auch die 5 Milliarden der deutschen Wirtschaft angeblich aufgebracht. Freilich sind bis jetzt weder alte noch neue Zahlungen auf das Konto der Stiftungsinitiative eingegangen. Die Wirtschaft parkt die Gelder lieber auf Sonderkonten, die pro Tag ca. 400 000 DM Zinserträge abwerfen. Die noch
lebenden Opfer der NS-Sklavenarbeit scheinen einen guten Teil ihrer letzten Lebensjahre mit einem unzumutbaren Warten auf ihre Anerkennung und eine kleine
finanzielle „Entschädigung“ (ca. 5000 - 15000 DM für einen Menschen) verbringen zu müssen. Zu befürchten
ist, daß viele dies gar nicht mehr erleben werden. Graf Lambsdorff (und mit ihm Kanzler Schröder) wollen „Rechtssicherheit“ nur feststellen, wenn alle Verfahren in den USA eingestellt seien – auch jene Einzelklagen, die zuvor nicht in Anschlag gebracht wurden!Also eine endlose Geschichte, die das Ende der Hoffnungen für die noch lebenden Opfer bedeuten könnte? Im Gleichklang mit Graf Lambsdorff hat auch Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnenderweise das Ersuchen des polnischen Ministerpräsidenten, mit Teilauszahlungen für osteuropäische ehemalige ZwangsarbeiterInnen jetzt schon zu beginnen, strikt zurückgewiesen. Von den USA „mehr Garantie“, d. h. eine direkte „Einwirkung“ der US-Regierung auf die Gerichte,
zu verlangen, widerspräche dem gängigen bürgerlich-demokratischen Konsens. Und doch scheinen etliche
deutsche Unternehmen auf „mehr“ gehofft zu haben. Die Taktik, die sie nun eingeschlagen haben, auf dem Rücken
von NS-Opfern gegebenenfalls 23 weitere Verfahren „aussitzen“ zu wollen, muß als noch weitaus zynischer angesehen
werden als die bekannte Heuchelei über Schuld der amerikanischen Gerichte für die Verzögerung bei
den Entschädigungsregelungen. Zwischen den öffentlichen Absichtsbekundungen und der tatsächlichen Umsetzung von humanitären Hilfen für die überlebenden Opfer und ihre Angehörigen tut sich ein abgrundtiefer Riß auf. Die Unternehmen, die sich während des Hitlerfaschismus an unmenschlicher Sklavenarbeit bereicherten, aber auch ihre Rechtsnachfolger offenbaren durch ihr Verhalten eine ökonomische „Schlußstrichmentalität“. Der Verdacht liegt ganz augenscheinlich auf der Hand, daß man sich mit dem Stiftungsfonds ein für alle Mal „freizukaufen“ beabsichtigt - gleich welche Verbrechen und Ungeheuerlichkeiten historische Forschungen vielleicht noch aufdecken werden, gleich welche rechtlichen Ansprüche sich eventuell daraus geltend machen ließen. Anders läßt sich das hartnäckige Beharren auf nahezu vollkommene „Rechtssicherheit“ schwerlich interpretieren. Zu befürchten ist, daß auch nach der Sommerpause der Bundestag noch nicht die „Rechtssicherheit“ beschließen wird. Wie die dritte Sammelklage gegen die deutsche Bankengruppe in den USA beschieden wird, ist sehr ungewiß - das „Parken“ der Stiftungsgelder gibt kein gutes Signal in diese Richtung. Sollte sie dennoch zugunsten der deutschen Industrie ausgehen, so dürfte mutmaßlich weiterhin - siehe die bislang 23 Einzelklagen - die Keule der „Rechtssicherheit“ geschwungen werden. Treffen kann sie letztlich nur die überlebenden Anspruchsberechtigten. Und deshalb ist zu befürchten, daß niemand von ihnen in diesem Jahr auch nur einen Pfennig aus dem Stiftungsfonds sehen wird, wenn nicht ein starker politischer Druck aus der Bevölkerung auf die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik ausgeübt wird! Die Industriegelder müssen unverzüglich an den Stiftungsfonds überwiesen werden! Die Auszahlungen an die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen müssen schnellstmöglich beginnen!
Die Deutsche Bank besuchen wir als einen derjenigen Konzerne, die in jeder Hinsicht – sozusagen in historischer Kontinuität - im Zentrum dieser Machenschaften standen und stehen!
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