"Wir - Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Markstrasse - wollen nicht, dass unser Mitschüler "Babusch" Zejno Elesovski abgeschoben wird!"

Seit dem 8. Juni sammeln SchülerInnen der Hauptschule Markstraße Protest-Unterschriften gegen die drohende Abschiebung ihres Mitschülers aus der 8. Klasse, Zejno Elesovski. Zejno ist gerade 17 Jahre alt geworden und soll - als angeblich "mazedonischer Staatsbürger", weil sein Vater dort her stammt - allein nach Mazedonien abgeschoben werden. Zejno ist aber (laut vorliegenden Dokumenten) in der Nähe von Belgrad (Serbien) geboren und dort aufgewachsen. Im heutigen Mazedonien war er nie. Zu seinen Eltern gibt es seit der Abschiebung seines Vaters, einem Roma, keinen Kontakt.

Der Fall ist jetzt in letzter Minute vor den Petitionsausschuß des Landtages gebracht worden. Dennoch ist die Lage unverändert ernst, weil die Bochumer Ausländerbehörde knallhart bleibt.
Derartige Abschiebungen von "unbegleiteten" Minderjährigen dürfte es eigentlich nicht nur wegen der Schutzbestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) nicht geben, sondern auch, weil der Innenminister von NRW im letzten Jahr sich gegen solche Abschiebungen ausgesprochen hat.
Die Stadt Bochum scheint aber die Vorreiter-Rolle in der harten Welle unter den Ruhrgebietsstädten zu spielen! Hier wird - etwa im Gegensatz zu Essen und Dortmund - noch nicht einmal bekannt, wieviele und welche Minderjährigen abgeschoben werden sollen.


Hintergrundinformation:

Abschiebung von "unbegleiteten" minderjährigen Flüchtlingen - abenteuerliche Rechtskonstruktionen und "legale" Praxis.

* Nach wie vor haben Opfer von Verfolgung und Gewalt in Deutschland keine Aussicht auf einen sicheren Aufenthalt. Durch diese "Schutzlücke" fallen auch Flüchtlingskinder, die ohne Eltern ("unbegleitet") hier Schutz suchen. Sie fliehen insbesondere vor den Folgen politischer Verfolgung und staatlicher Gewalt in ihren Herkunftsländern.

* "Unbegleitete Minderjährige" werden dabei nur eingeschränkt als Kinder oder Jugendliche behandelt. Obwohl nach dem Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz (KJHG) ausländische Jugendliche den gleichen Schutz erhalten müßten wie inländische, werden nach ausländer- bzw. asylrechtlichen Normen hier andere Maßstäbe angelegt: es fehlt jegliche kindspezifische Regelung im Aufenthaltsrecht.

* Nach "Inaugenscheinnahme" wird eine Alterseinschätzung vorgenommen, derzufolge junge Flüchtlinge häufig als ein bis zwei Jahre älter eingestuft werden - indem behördlicherseits ein neues fiktives Geburtsdatum festgelegt wird. Das mit der Folge, daß die Zahl der Kinder unter 16, die vom Jugendamt in Obhut genommen werden müssen, deutlich abnimmt.

* Den über 16 Jährigen wird sodann eine "eigene Handlungsfähigkeit" zugemessen, auf Grund derer ihnen der Jugendschutz des KJHG und des BGB entzogen wird: Die Jugendlichen erhalten keinen Vormund und keine Jugendhilfe, werden wie Erwachsene behandelt und untergebracht.

* Inzwischen nehmen zahlreiche Kommunen schon Jugendliche im Alter von 16 Jahren aus der Jugendhilfe heraus und bringen sie in Gemeinschaftsunterkünften unter - das ohne gesetzliche Grundlage des KJHG. "Erziehungsbedarf" wird bei Jugendlichen mit 16 Jahren alsdann nicht mehr gesehen und niedrigschwellige Angebote gelten als ausreichend.

* Sodann werden ausländische Flüchtlingskinder oder Jugendliche wie Erwachsene behandelt - mit der Begründung, daß ein "Sonderflüchtlingsrecht" für Kinder mit der deutschen Asylpolitik nicht zu vereinbaren sei:
"denn für alleinreisende asylsuchende Minderjährige unter 16 Jahren gelten grundsätzlich die gleichen Regelungen über die Einreise und Durchführung eines Asylverfahrens wie für Erwachsene"! So die damalige Bundesregierung im August 1998.

* Die Fluchtgründe von unbegleiteten Flüchtlingskindern, die sich zumeist aus den Folgen von politischer Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg in den Herkunftsländern ergeben, werden nicht als politische Verfolgung gewertet. Anerkennung nach Art 16 a GG gibt es praktisch nicht. Bei Abschiebehindernissen, die in wenigen Fällen zuerkannt wurden, gibt es maximal eine befristete Duldung (d.h. eine befristete Aussetzung der Abschiebung).

* Fazit: gerade die Gruppe der besonders schutzbedürftigen unbegleiteten Flüchtlingskinder erhält keinen aufenthaltsrechtlichen Schutz, der ihnen mittelfristig eine gewisse Sicherheit und Perspektive eröffnen würde. Das veranlaßt Vormünder zunehmend, keinen Asylantrag zu stellen, sondern gleich eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG. zu beantragen

* Nachdem das Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen ist, erläßt das Bundesamt unverzüglich eine Abschiebeandrohung, die Ausreisefrist beträgt einen Monat. Dies gilt auch für unbegleitete Flüchtlingskinder und für die 16 -18jährigen mit "eigener Handlungsfähigkeit" (§68 Abs. 1 AuslG).

* Bei der Rückführung von unter 16jährigen ergeben sich jedoch praktische Schwierigkeiten: sie können nicht einfach zu einem Zielflughafen transportiert werden. Laut Richtlinien von UNHCR und des Europäischen Flüchtlingsrates (ECRE) muß vom Grundsatz des "Kindeswohls" ausgegangen werden: im Herkunftsland muß der Rückführung ein geeigneter Betreuer, Elternteil, oder Verwandter, eine staatliche Stelle oder eine Kinderbetreuungseinrichtung zugestimmt haben und tatsächlich in der Lage sein, Betreuung und Schutz für das Kind angemessen zu garantieren.

* Die entsprechende Entschließung des Rates der EU von Juni 1997 bezieht sich auf alle Minderjährigen unter 18 Jahren. Jedoch ist diese Richtlinie keine Rechtsgrundlage und insofern für die Ausländerbehörden nicht bindend.
Allerdings ist in Art. 6 Abs. 1 festgelegt, daß die Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedsstaaten mit diesen Richtlinien in Einklang zu bringen sind. Das ist bisher in keinem EU-Land geschehen. Schily erklärte im August 99: "Eine Änderung des Ausländergesetzes zur Umsetzung der Entschließung des EU-Rates von Juni 97 ist nicht beabsichtigt, da die deutsche Rechtslage und Rechtspraxis im Einklang mit den Leitlinien der Entschließung stehen".
Diese Begründung steht eindeutig im Widerspruch zu den Tatsachen.

* Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 1997 den Beschluß gefaßt, daß Voraussetzung für eine Abschiebung die verläßliche Feststellung sei, daß der Betroffene dort nicht "in eine aussichtslose Lage gerät" (im Fall der Abschiebung eines minderjährigen Kurden in die Türkei). Der unbegleitete Minderjährige muß in dem Gebiet nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein, sondern auch vor existenziellen Gefährdungen, wenn er das wirtschaftliche Existenzminimum weder aus eigener Kraft noch mit Hilfe Dritter erreichen kann.
Nur auf das dortige Jugendhilfesystem zur weiteren Versorgung hinzuweisen, ist laut VG Gelsenkirchen eine „unzureichende Tatsachenfeststellung" (Abschiebung eines Jugendlichen nach Marokko).

* Angeblich gehen die Innenminister aller Bundesländer davon aus, daß Rückführungen/Abschiebungen von unbegleiteten Flüchtlingskindern unter 16 Jahren vorher insoweit abgeklärt wären, als Betreuung oder zumindest Inempfangnahme gesichert sind.
Der Innenminister NRW erklärte, daß die mangelnde Betreuung für Minderjährige nach Rückkehr Anlaß dafür sei, "die Aufenthaltsbeendigung erst nach Erreichen der Volljährigkeit durchzuführen und dabei auch die Beendigung einer begonnenen Ausbildung zuzulassen".
Insofern dürfte es in NRW eigentlich überhaupt keine derartigen Abschiebungen geben.


Alle Angaben nach "Informationsbrief Ausländerrecht", Heft 11/12 1999
Reinhard Wegener, Juni 00