Mittwoch 11.09.24, 10:15 Uhr

„Fortschritt für Radfahrende“ oder doch eher „Imagekampagne“?


Die Stadt Bochum lobt sich in einer Pressemitteilung für die Fortschritte, die für den Radverkehr im letzten Jahr erreicht worden seien. Dazu gibt es eine Stellungnahme der Radwende, die das Selbstlob relativiert und den Finger in einige Wunden legt. Wir dokumentieren im Folgenden beide Erklärungen.

Pressemiteilung der Stadt Bochum: Fortschritt für Radfahrende – Stadt zieht positive Zwölf-Monats-Bilanz

Es tut sich was für Radfahrende in der Stadt: Die Stadtverwaltung zieht in ihrem jährlichen Sachstandsbericht zum Radverkehr für den Zeitraum zwischen dem 1. August 2023 und dem 31. Juli 2024 eine positive Bilanz. Rund 13 Kilometer neue Radwege sind in dieser Zeit entstanden, unter anderem auf der Essener Straße und dem Wattenscheider Hellweg mit einer Gesamtlänge von insgesamt rund 8,2 Kilometern oder auf der Markstraße zwischen Semperstraße und Hanielstraße auf einer Gesamtlänge von rund zwei Kilometern.

Besonderes Augenmerk bei der Verbesserung der Situation für Radfahrende gilt der Behebung von Unfallhäufungs- und Gefahrenstellen. Bei der Querung der Stadtbahngleise an der Hans-Böckler-Straße vor dem Technischen Rathaus zum Beispiel kam es gehäuft zu Unfällen. Durch die Anlage eines benutzungspflichtigen, rot eingefärbten Radweges können die Gleise fortan in einem steileren Winkel gequert werden, was mehr Sicherheit gewährt. Auch von der Roteinfärbung eines unfallträchtigen Abschnitts der Dorstener Straße zwischen dem Nordring und der Reichsstraße verspricht sich die Stadtverwaltung erhöhte Aufmerksamkeit für den Radverkehr.

Neben dem fließenden Radverkehr werden auch Investitionen für den ruhenden Radverkehr getätigt. Im Zuge von Umbaumaßnahmen im Bereich der Grummer Teiche sind dort insgesamt 26 neue Abstellmöglichkeiten entstanden. Am Nordufer des Ümminger See sind es 28. Im eng verdichteten Wohnbereich an der Weiherstraße/Joachimstraße ließen sich 18 Abstellmöglichkeiten realisieren.

Sich im Betrieb befindliche Infrastrukturen gilt es zu überwachen und instand zu halten. Die im Juni 2023 ins Leben gerufene Fahrradstaffel der städtischen Verkehrsüberwachung war abhängig der Wetterlage im Berichtszeitraum an insgesamt 123 Tagen im Einsatz. In dieser Zeit wurden über 3.000 Anzeigen gefertigt, überwiegend aufgrund zugeparkter Geh- und Radwege. Und damit die Radwege sorgenfrei befahren werden können, hat die Stadt den Teil des Streckennetzes, der in einem engeren Takt als üblich gereinigt wird, um 15,2 Kilometer auf nun 22,6 Kilometer ausgedehnt. 

Diese Fortschritte sind nicht zuletzt auf die Ausweitung an Vollzeitstellen mit Radverkehrsbezug innerhalb verschiedenster Ämter der Stadtverwaltung zurückzuführen. Im Zuge des Ratsbeschlusses „Radverkehr in Bochum“ aus dem Jahr 2022 wurden der Stadtverwaltung 20 Vollzeitstellen bewilligt. Von diesen 20 Stellen konnten trotz angespanntem Fachmarkt zum Stichtag bereits 16,5 Stellen besetzt werden. Dies umfasst überwiegend Planungsstellen, vorrangig im Tiefbauamt.

Natürlich sind weitere Radverkehrsmaßnahmen auf dem Weg, zum Beispiel auf der Castroper Straße zwischen Schwanenmarkt und Klinikstraße, der Hauptstraße zwischen Kreisverkehr Baumarkt und der Stadtgrenze Dortmund oder der Lothringentrasse II zwischen Dieselstraße und der Stadtgrenze Castrop-Rauxel. Insbesondere bei der Prüfung zur Freigabe von Einbahnstraßen und der Erstellung sowie Umsetzung von Radschulwegplänen sollen die Arbeiten intensiviert werden.

Stellungnahme der Radwende: Radwende wartet weiter auf effektive Maßnahmen zur Mobilitätswende

Die Stadt Bochum hat ein Bilanz der Radverkehrsmaßnahmen des letzten Jahres gezogen und sich selbst gelobt. Radwende hingegen zieht eine kritische Bilanz. Begrüßt wird die Einrichtung breiter Radwege auf der Markstraße und vor allem auf dem Wattenscheider Hellweg / Essener Straße. Die Umwandlung von Parkstreifen oder ungenutzten Fahrstreifen ist eine gute Möglichkeit des schnellen und ressourcenarmen Ausbaus. Bisher aber bleibt die Bochumer Radinfrastruktur oft ein Stückwerk schnell endender Radwege.

Um den Radweg auf der Essener Straße zu erreichen, müssen Radfahrer:innen das inzwischen noch gefährlichere Teilstück zwischen Bessemer Straße und Goldhammer Straße überwinden. Dort wurde eine Rechtsabbiegerspur vor der Wattenscheider Straße eingerichtet, der Radfahrende zwingt in den laufenden Verkehr der rechten Spur einzufädeln.

Das Radkreuz mag als Imagekampagne nett sei. Der Radklimatest sieht Bochum in der Kategorie „Erreichbarkeit der Innenstadt“ seit Jahren bundesweit auf den letzten Plätzen. Das Durchfahrtverbot für Privatautos vor dem Rathaus wird täglich tausendfach ignoriert, ohne dass die Politik darauf reagiert.

Die Radinfrastruktur der Innenstadt wird sich leider noch weiter verschlechtern. Der zentrale Radweg auf der Viktoriastraße soll zugunsten einer Fußgängerzone abgebaut werden. Stattdessen sollen Radfahrer:innen in Schrittgeschwindigkeit dort durchfahren dürfen. Dies wird für Konflikte sorgen, wenn nicht gar für Unfälle. Es widerspricht allen beschlossenen Planungen im Radverkehrskonzept einer einheitlichen und durchgehenden Infrastruktur. Der Beschluss scheint wenig wert gewesen zu sein.

Die immer noch fast 400 von Radwende gesammelten Mängel werden weiterhin kaum abgearbeitet. Im letzten Jahr wurde lediglich die Schienenüberquerung auf der Hans-Böckler-Straße sicherer gemacht.

Die Rotmarkierung auf der Dorstener Straße hingegen empfindet Radwende als Geldverschwendung. Einige Radfahrer:innen sehen dadurch sogar eine Verschlechterung. Die Aufbringung der Rotmarkierungen ist so unprofessionell geschehen, dass Anwohner:innen von einer neuen Mountain Bike Strecke sprechen. Das zentrale Problem des extrem schmalen Radwegs ohne einen seit 2010 vorgesehenen Sicherheitsabstand von 50 cm bleibt unverändert. Absurderweise sind Radfahrende eigentlich angehalten einen Meter Abstand zum Straßenrand zu halten, was sie zwingt den gleichzeitig vorgeschriebenen Radweg zu verlassen. Auf der Dorstener Straße kommt es daher täglich zu gefährlichen Situationen beim Radfahren. Diverse Radfahrer:innen mussten bereits nach Unfällen stationär ins Krankenhaus. Vor dem Hintergrund ist dies auch der am wenigsten benutzte Radweg der Stadt, also kein Beitrag zur Mobilitätswende.

Wie gefährlich solche Radwege ohne Sicherheitsstreifen sind, musste Radwende am Montag dieser Woche erleben. Ein Radfahrer wurde bei einem Dooring Unfall schwer verletzt, weil dem Radweg ein Sicherheitsstreifen fehlt. Diesmal passierte es auf der Herner Straße. Die Gefahren auf der Dorstener sind noch höher, denn dort ist der Radweg noch schmaler (https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11530/5861297).

Die erhöhte Anzahl besetzter Vollzeitstellen mit Radverkehrsbezug begrüßt Radwende. Zu hoffen ist ein beschleunigter Ausbau in Zukunft.

Auch die Radstaffel ist ein Fortschritt. Nur 3.000 Anzeigen erscheinen allerdings sehr wenige. Kaum eine Radfahrt auf der Dorstener oder der Herner Straße ist durchgehend auf dem Radweg möglich, weil dort zu jeder Tageszeit Autos verkehrswidrig parken. Radwende hätte allein auf diesen beiden Straßen je 3.000 Anzeigen erwartet. Eine kleine Umfrage unter täglich fahrenden Radler:innen hatte zuletzt ergeben, dass viele die Radstaffel noch nie im Einsatz gesehen haben. Eine personelle Aufstockung der Staffel würde daher begrüßt werden.

Zusammenfassend sieht Radwende weiterhin kein praktikables Konzept, dass dazu führt, den Radanteil am Gesamtverkehr zu erhöhen. Dazu bräuchte es vor allem sichere durchgehende Radwege an den Hauptstraßen. Erst dies machte für viele Bochumer:innen einen Umstieg aufs Rad möglich. Dass bisher Radfahren als unattraktiv und gefährlich wahrgenommen wird, ist den Rad Zählstellen der Stadt zu entnehmen. Seit der letzten statistischen Erhebung 2021 mit 7 % Radverkehrsanteil, sind die Zahlen praktisch unverändert. Bis 2030 sollten es 25 % sein, versprach die Stadt Bochum beim Eintritt in die AGFS 2016. Inzwischen spricht die rot-grüne Ratsmehrheit von 15 % bis 2030. Wie wenigstens dieses Ziel angesichts der sich kaum verändernden Radinfrastruktur möglich sein soll, ist für Radwende ein Rätsel.