Sonntag 08.09.24, 19:20 Uhr

Keine Regelsatzerhöhung bei Hartz IV? 1


Die Bochumer Sozialberatung Ruhr schreibt: »Bundesarbeitsminister Heil sagt: Keine Regelsatzerhöhung bei Hartz IV in 2025. Wir sagen: Der Minister redet Unfug. Allen Medien ist zu entnehmen, dass der Bundesarbeitsminister Heil sich dahingehend geäußert hat, dass 2025 keine Regelsatzerhöhung vorzunehmen sei. Zur Begründung wird vorgetragen, dass sich die Inflation entsprechend abgemildert habe. Der Regelsatz sowohl in der Sozialhilfe als auch bei Hartz IV setzt sich aus mehreren Einzelfaktoren zusammen, die sich in zwei Gruppen zusammenfassen lassen, nämlich zum Einen die nackte Existenzsicherung (Nahrungsmittel, Getränke) und dem soziokulturellen Existenzminimum, d. h. der Besuch von Kulturveranstaltungen oder ähnlichem.

Im folgenden soll lediglich die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise im Vergleich zur Entwicklung des Regelsatzes betrachtet werden.

Für einen Alleinstehenden betrug der Regelsatz

Ausweislich der Daten von destatis, also der Bundesstatistikbehörde, bezogen ausschließlich auf die Nahrungsmittel betrug die Inflation nur bei Nahrungsmitteln

2019: € 424,00
2020: € 432,00
2021: € 446,00
2022: € 449,00
2023: € 502,00
2024: € 563,00

2019: 16,7 %
2020: 24,4 %
2021: 39,3 %
2022: 159,1 %
2023: 154,8 %

Die Regelsatzerhöhung zwischen 2019 und 2024 betrug insofern 32,78 %, um dann in der Zeit von 2020 bis 2024 auf 30,32 % abzusinken. Zwischen 2021 und 2024 waren es 26,23 %, zwischen 2022 und 2024 25,38 % und die Erhöhung zu 2024 betrug 12,15 %.

Insgesamt war also im Zeitraum 2019 bis 2023 eine Verteuerung der Nahrungsmittel um 394,3 %, also de facto eine Vervierfachung der Preise, festzustellen. Lediglich in 2024, zumindest bis Juli, betrug die Nahrungsmittelteuerung 7,7 %. Die Erhöhung des Regelsatzes zwischen 2019 und 2024 betrug allerdings knapp über 20 % oder anders ausgedrückt: Die Regelsatzerhöhung spiegelt die Preisentwicklung, insbesondere bei Nahrungsmitteln, auch nicht annähernd wider.

Ferner sei darauf hingewiesen, dass am 01.01.2017 für Nahrungsmittel und Getränke im Regelsatz € 137,66 angesetzt waren. Nunmehr liegt der Betrag bei € 150,93, also 9,64 % mehr und das bei fast 400 % Preissteigerung.

Weiterhin darf darauf hingewiesen werden, dass die EZB versucht, die Inflation auf 2 % zu begrenzen. Insofern wäre eine Erhöhung um mindestens 1,4 % (70 % von 2 %) sowieso schon einmal zu unterstellen, denn der Erhöhungsbetrag ergibt sich zu 70 % aus der Inflationsentwicklung und zu 30 % aus der Entwicklung der Nettolöhne. Die Nettolöhne scheinen in 2024 angehoben worden zu sein, auch wenn nicht klar ist, um wie viel Prozent insgesamt. In jedem Fall ist es falsch, ausschließlich auf die Inflationsentwicklung abzustellen.

Falls die Regierung versucht, über Taschenspielertricks wie z. B. die Gesamtinflation, die niedriger ist als die Inflationsrate bei den Nahrungsmitteln, hier einen niedrigeren Wert zu errechnen, so sollte dies nicht akzeptiert werden.

Die Regelleistungen müssen in jedem Fall mindestens die physische Existenz sicher stellen. Dies reicht zu einem menschlichen Leben in dieser Gesellschaft natürlich nicht aus, aber wenn schon das nicht mehr gewährleistet ist, wie sollen die Menschen, die in diese Notsituation geraten, denn dann noch klarkommen.

Aus obigen Gründen dürfte klar sein, dass für den Fall, dass tatsächlich 2025 keine Regelsatzerhöhung vorgenommen wird, viele Bedürftige den Weg zu den Gerichten finden müssen.«


Ein Gedanke zu “Keine Regelsatzerhöhung bei Hartz IV?

  • Norbert Hermann

    Alles Banane

    „Der gesetzliche festgelegte Fortschreibemechanismus führt in Zeiten, in denen die Preisentwicklung gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgeht, zu einer Dämpfung der Fortschreibung, bis hin zu Nullrunden. Die tatsächlichen aktuellen Kostensteigerungen werden nicht abgebildet.“ (Quelle: Dokument ganz unten)

    IT.NRW (das statistische Landesamt) schreibt heute:

    „Fast jede sechste Person ist nicht in der Lage, sich jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit zu leisten“

    https://www.it.nrw/nrw-fast-jede-sechste-person-ist-nicht-der-lage-sich-jeden-zweiten-tag-eine-vollwertige-mahlzeit-zu

    Mehr dort im „Schwerpunkt Armut“:

    https://statistik.nrw/service/veroeffentlichungen/themenschwerpunkte/armut

    Ebenfalls heute hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. den Jahresbericht zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen veröffentlicht (Berichtsjahr: 2022!). Zunehmend jüngere Leute und Familien mit Kindern sind betroffen.

    https://www.bagw.de/de/neues/s?tx_netnews_newsview%5Bnews%5D=320&cHash=2eb79035aadeb0afd8fe9d6cb149771f

    Macht doch mal einen „Betriebsausflug“ der linken Blase z.B. nach BO-Werne und schaut euch an wie beengt die Menschen dort leben, und zudem noch wohnungslose Menschen bei sich aufnehmen. Kein Platz zum Spielen für die Kinder hinterm Haus. Die Bochumer wohnungspolitisch und stadtplanerisch aktiven Initiativen sind mehr darum bemüht, ihre eigene Wohnqualität dagegen abzusichern und sich um die „Aufenthaltsqualität in der Innenstand“ zu kümmern. Sie fürchten, von den Verwerfungen des neoklassischen Kapitalismus selbst betroffen zu werden. Bei der bundesweit gleichzeitigen „Uraufführung“ des tollen Filmes „Sold City“ glänzten sie durch Abwesenheit. Allein das Sozialforum Dortmund stellte zu beiden Terminen einen Infotisch.

    Hingegen ist die untere Hälfte der Bevölkerung längst abgehängt von allem möglichen Nutzen des neoklassischen Kapitalismus (denn auch die Ausbeutung anderer Länder wird zunehmend schwierig). Die untere Hälfte der Bevölkerung trägt die Last der ungeheuren Flüchtlingswellen seit 2015 (die ich nach Kräften unterstützt habe und immer unterstützen werden – aber macht uns doch nichts vor – es waren Wellen mit einer ungeheuren Belastung für Infrastruktur und Wohnungsmarkt im unteren Bereich).

    Die betroffenen Menschen versuchen natürlich sich zu wehren. Aus Erfahrung wissen sie, dass „links“ zum Thema „sozial“ keine Unterstützung zu erwarten ist. Rechts wählen und rechtes Bewusstsein zu entwickeln scheint für sie die adäquate Form des Widerstandes. „Links“ ist keine praktische Option.

    „Links“ geht auf die Strasse um sich selbst zu motivieren zum „Kampf gegen rechts“ (s. Bericht hier zum 07.09.). Das wird so wenig nützen wie die (trotzdem erfreulichen) Demos Anfang des Jahres gegen AFD + Co., solange letztlich für die Aufrechterhaltung, gar Verschärfung, der herrschenden Zustände demonstriert wird.

    Allerdings: „Remigration“ ist keine Erfindung der AFD. Der frühere Kanzler Kohl wollte schon 1983 wegen steigender Arbeitslosenquote mit dem „Rückkehrhilfegesetz“ die Häfte der in D’schland lebenden türkischstämmigen Menschen loswerden. Beklatscht von dieser und jener Gewerkschaft und vielen doitschen Beschäftigten. „Deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeiter“ hiess es. Rechter als diese standortorientierten Gewerkschaften ist das BSW auch nicht. Sie vertreten Positionen, die gut durchdacht und begründet sind. Muss (darf) mensch nicht (alle) teilen, aber so ein moralinsaures „Unter-die-Gürtellinie-Treten“ wie hier am 01.09. geschehen nutzt bestenfalls auch nur der Selbstmotivation des Schreibers.

    Mehr in diesem Sinne bei bochum-prekaer@posteo.de .

    **************************

    Dokument: Drohende Nullrunde bei den Regelsätzen abwehren – Kaufkraft erhalten

    Unterzeichnende Organisationen:

    AWO Bundesverband e.V.
    Deutscher Gewerkschaftsbund DGB
    Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V.
    Diakonie Deutschland
    Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS)
    Sozialverband Deutschland e.V.
    Sozialverband VdK Deutschland e.V.
    Zukunftsforum Familie e.V.

    https://awo.org/wp-content/uploads/Positions/Positionspapier-Drohende-Nullrunde-bei-den-Regelsaetzen-abwehren_1.pdf

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