Donnerstag 21.09.23, 17:21 Uhr
Filmvorführung: »Brucia ancora dentro«

»Es brennt immer noch in mir.« 1


Am Mittwoch, den 27.09. um 19:00 Uhr wird im Sozialen Zentrum der Film gezeigt: „Es brennt immer noch in mir.“ Die Antifaschistische Linke Bochum & Offenes Antifa Café Bochum laden ein: »Zwanzig Jahre nach der Schwarzen Nacht in Mailand, mit Dax in meinem Herzen. Am 16. März 2003 wurde Mailand wieder einmal Schauplatz eines politischen Mordes:

Dax, ein junger antifaschistischer Genosse, der in den Mailänder Vorstädten aufgewachsen war und sich in der Hausbesetzerinnenszene des Viertels Ticinese engagierte, wurde von drei Neonazis erstochen. Einige Stunden später wurden die Genossinnen, die in der Notaufnahme eintrafen, in die Dax gebracht worden war, von der Polizei brutal zusammengeschlagen. Diese Nacht bleibt als »Schwarze Nacht von Mailand« in Erinnerung.

Sie hat ein Zeichen im Leben einer ganzen Generation junger Genoss*innen , welches die Dringlichkeit des Gedenkens in ihre persönlichen und politischen Geschichten eingraviert hat. Seitdem ist die Dax-Affäre in Italien und Europa zu einem kollektiven Erbe geworden: eine lebendige Erinnerung, die Jahr für Jahr die Straßen von Mailand mit Menschen füllt, die diese Erinnerung wachhalten wollen. Und all dies wirkt sich auch auf die jüngsten Kämpfe aus.

Mit den Stimmen von Freund:innen, Genossinnen und der unermüdlichen Mutter von Dax erinnern wir uns gemeinsam an die Geschehnisse jener Nacht und an die politischen Vorläufer: Wir bewegen uns zwischen den juristischen Angelegenheiten und jenen persönlichen Erfahrungen, die zwanzig Jahre später noch immer in der Lage sind, neue Generationen kraftvoll zu inspirieren.
Eigenproduktion von Associazione Dax 16 marzo 2003 & FOA Boccaccio 003
Dauer: 70′ | Produktion: Italien | Jahr: 2023«

27.09.2023 | 19:00 Uhr, Einlass ab 18:30 Uhr
Soziales Zentrum Bochum
Josephstr. 2, 44791 Bochum

anschließend Tresen und Küfa gegen Spende


Ein Gedanke zu “»Es brennt immer noch in mir.«

  • Azzoncao, ein Polit-Café

    Zum 15ten Todestag veröffentlicht wir diesen Text auf bo-alternativ:
    https://www.bo-alternativ.de/2018/03/16/davide-cesare

    Interview mit Paul zur Erinnerungspolitik und die Kontakte Bochum – Mailand.

    Azzoncao: Hallo Paul. Wir wollen Dich als unseren Mailandkenner und Italienexperten zu dem Mord an Davide Cesare und die antifaschistische Erinnerungspolitik, die Du schon lange vor der Gründung Azzoncaos im Jahr 2006 gemacht hast, befragen.
    Aber erzähl erst einmal wie Du dazu gekommen bist Dich mit linker Politik in Italien zu beschäftigen.

    Paul: Zunächst muss ich noch mal sagen, dass es mehr als schade ist, das es Indymedia.Linksunten nicht mehr gibt. Dies nicht nur im Allgemeinen. Auf Linksunten haben wir die letzten neun Jahre ein Großteil unserer Artikel veröffentlicht.
    Von 2006 bis 2009 hatten wir unsere Internet-Site auf Nadir bestückt (https://nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao). Dann stiegen diejenigen bei uns aus, die mehr Ahnung von der Technik hatten und unsere Site bedienten. So wechselten wir zu Linksunten und veröffentlichten dort all unsere Artikel. Darüber verwaiste unsere Nadir-Site, die jetzt noch als Archiv für die Jahre 2006 – 2008 online steht. So kam es, dass in den letzten neun Jahren alle unsere Artikel auf Linksunten standen. Auch alle Artikel zu Italien. Zu Davide Cesare und Renato Biagetti, den Besetzungen in Mailand, den G8-Protesten in Genova, die Partisanen-Interviews, zu den Antifa-Aktionen in Italien, und vieles mehr. Es gibt bundesweit vermutlich keine linke Gruppe, die in der Dichte und über eine solch langen Zeitraum über radikale linke Politik in Italien berichtete. Bzw. selber daran beteiligt war. Alle diese Berichte sind nun weg. Wer sich jetzt über die Szene der Sozialzentren in Mailand belesen will, der muss es anderswo machen. Und dieses anderswo gibt es – meines Wissens nach – nicht. Ähnlich steht es um die anderen Themen, über die wir berichteten. Es fehlen die antifaschistischen Reiseberichte aus Frankreich, der Slovakei, dem Baskenland, aus Irland, Russland und die Antifa-Interviews aus Paris, Bilbao, Dublin, Belfast, Amsterdam, Madrid, usw.. Die Interviews mit einem der Organisatoren des G8-Gegengipfels in Genova, einem der Verhafteten und den Eltern von Carlo Giuliani zum 10ten Jahrestag von den Protesten in Genova 2001. Die Berichte der letzten neun Jahre über die Bochumer und Dortmunder Nazi-Szene, über deren Akteure, die Prozess-, Kundgebungs- und Demonstrationsberichte, etc.p.p.
    Letzteres ist sehr ärgerlich für die lokalen Antifa-Szenen. Namen, Daten, Fakten, Abläufe, Entwicklungen aus Berichten und Analysen stehen jetzt nicht mehr als öffentliches Archiv zur Verfügung. Und da es zu Bochum außer einem kurzfristigen und recht schwachen Versuch eines Monitorings in den letzten Jahren nichts anderes gab, klafft da eine riesige Lücke.
    Naja, und zu Davide Cesare waren diverse Berichte von Kundgebungen und Demonstrationen und das Interview mit seiner Mutter auf Linksunten. Wenn ich mich recht erinnere, stammen, mit Ausnahme eines Berichts im AIB und im AK, alle auf Deutsch verfassten Berichte über Dax von mir. Also das die Umstände von Davide Cesares Ermordungen bekannt wurden, bzw. sind, lag an den jahrelangen Berichten auf Linksunten und diese sind wie die Interviews zu Renato Biagetti, Carlos Palomino, Clement Meric, Feodor Filatov und Timur Kacharava im off des Internets verschwunden.

    Azzoncao: Komm mal zur Frage zurück. Wir wollten wissen, wie es dazu gekommen ist, dass Du Dich mit linker Politik in Italien beschäftigst.

    Paul: Ok. Ja, sicher. Ich bin seit 1994, seit der Besetzung des Leoncavallo in Mailand jedes Jahr in Italien. Also gut 25 Jahren. Und Ende der 90er habe ich einige Zeit in Mailand gelebt.

    Azzoncao: Das war knapp. Geht es etwas detailreicher?

    Paul: Italien hat mich seit meiner frühesten Jugend interessiert. Keine Ahnung, ob das an den „Don Camillo und Peppone“ Büchern gelegen hat. Auf jeden Fall habe ich mir in der 80er Jahren schon die linksradikalen Theaterstücke von Dario Fo reingezogen. „Bezahlt wird nicht“, „Zufälliger Tod eines Anarchisten“, „Offene Zweierbeziehung“, „Oper vom großen Hohngelächter“, usw. . Und die ersten Artikel und Bücher über die Autonomia Operaia, die auf Deutsch erschienen. Die Bücher von Nanni Ballestrini natürlich – „Wir wollen Alles“, „Der Verleger“, „Die Unsichtbaren“. Und Sergio Bolognas und Primo Moronis „Die goldene Horde“. Und natürlich Literatur über den italienischen Partisanenkampf – „Bitterer Frühling“, „Die unsichtbaren Dörfer“, usw.. Im Ossola-Tal, am Lago Maggiore, wo die italienischen PartisanInnen 1944 über eine befreite Republik verfügten, und worüber „Die unsichtbaren Dörfer“ handeln, war ich dann Anfang der 90er. Man könnte sagen, da habe ich Blut geleckt. Zehn Jahre später habe ich am Lago und in Mailand Partisanenseminare organisiert.

    Azzoncao: Etwas kürzer.

    Paul: Was denn jetzt? Kürzer – länger? Entscheidet Euch mal.
    Unsere Gruppe „die kleinen Strolche“, die es seit 1990 gab, machte damals Recherchen, Reportagen, Öffentlichkeitsarbeit, arbeitete bei der „Antifa NRW-Zeitung“ mit, organisierte Nachtwachen, Aktionen, Kundgebungen, arbeitete in den antirassistischen Kampagnen gegen die Lager und Abschiebeknäste mit, usw.. Von 1992 bis 1995 hat unsere Gruppe im Kino Endstation des Bahnhof Langendreer ein Antifa-Cafe gemacht. Wir nahmen immer wieder die europäische Rechtsentwicklung mit in das Programm auf. So waren öfters ausländische GenossInnen bei uns zu Gast. Aus Holland, England, Italien, Österreich, den USA, usw. . Und da lag es nicht fern, dass wir auch immer wieder ins benachbarte Ausland fuhren und Kontakt suchten. Also Holland, Frankreich, Belgien. Oder auf Internationale Konferenzen fuhren – nach Berlin, London und Nancy.
    Im Jahr 1994 fuhren wir vom Antifa-Cafè in das französische Nancy auf ein internationales Treffen europäischer Antifas. Dort waren auch mein späterer Freund Francesco vom Centro Sociale Leoncavallo aus Mailand und Guido Caldiron, ein antifaschistischer Journalist aus Rom. Ich lud die Beiden ein bei uns im Ruhrpott zu der ersten Mitte-Rechts-Regierung unter Silvio Berlusconi Forza Italia, der Lega Nord und den Faschisten von der MSI zu referieren und organisierte eine Tour durch mehrere Info-Läden im Ruhrpott für die Beiden. Sie sagten aber kurzfristig ab. Bei Guido weiss ich nicht mehr warum. Francesco weil die Lega Nord unter dem damals neuen Bürgermeister Formentini das Leoncavallo räumen ließ. Zwei Wochen später, also Anfang September 1994, nahm ich mir ein paar Tage frei und fuhr spontan nach Mailand. Ich wollte mal die Autonome Szene Mailands kennenlernen. Und da rutschte ich dann in mein „avventura italiana“ hinein. Einen Tag nach meiner Ankunft besetzte ich mit über 100 Leuten das neue Leoncavallo in der via Watteau, das größte Sozialzentrum in Nord-Italien. Da stand ich dann bei Nieselregen auf der ehemaligen Großdruckerei und sah auf hunderte schwerbewaffnete Carabinieri mit Panzerwagen und allem Schnick und Schnack hinab. Die Polizei räumte nicht. Das lag wohl daran, dass zwei Tage später eine italienweite Demonstration der Centri Sociali in Mailand angekündigt worden war. Na, und auf der ging es dann ordentlich zur Sache – die Polizei musste Kniegas geben, um nicht allzuviel Prügel einzustecken.
    Sich etwas zu holen, stehen zu bleiben, es zu verteidigen und schließlich noch die Polizei in die Flucht zu schlagen. Das waren ganz andere Töne, als die, die in der BRD seit der Wiedervereinigung angeschlagen wurden. Das hat mich interessiert. Nicht dieses Kuschen, Kleinbeigeben und Sich Arrangieren. Das was die bundesdeutschen Linken und Alternativen jeder Couleur seit dreißig Jahren machen – und dann ihre integrierten und staatlich finanzierten Projekte als emanzipatorisch und kritisch verkaufen. Nee.
    Mitte-Ende der 90er Jahre war das Klima in Mailand noch ein ganz Anderes als heute. Eher so wie Mitte der 80er Jahre hier in Deutschland. Die Centri Sociali boten darüber hinaus allen Sparten von Musik und Alternativ-Kulturen einen großen Raum. Die Szene dort war nicht so eine Nur-Politik-Szene wie in Deutschland, sondern vielschichtiger, sozialer, lebendiger. Und das war was ich leben wollte. Wenn schon sich engagieren, dann nicht in autoritär-verkrusteten arrogante auftretenden Minigrüppchen einer retardierenden Autonomen Szenerie, deren großer Teil sich zudem begann zu etablieren. Sondern in einer Bewegung, die noch um etwas kämpfte. Darum bin ich 1998 auch nach Mailand gegangen. Also komplett gegenläufig: sie haben sich arrangiert und integriert – ich habe riskiert und mich de-integriert.
    Aber mal chronologisch:
    Im Dezember 1994 kamen die Mailänder zu uns auf den Kongress und die Demonstration gegen den EU-Gipfel in Essen, wo bei der Demo über 1.000 Menschen von der Polizei verhaftet wurden.
    1995 fuhr ich mit einem italienisch-stämmigen Freund nach Norditalien. Wir machten in Parma, Padua, Brescia und Mailand Veranstaltung über die antifaschistische und antirassistische Szene in Deutschland.
    Dann war ich auf dem „Acqua Caliente“ – Treffen in Venedig, als dort eine erste Delegation der EZLN aus Chiapas auftrat.
    Im Jahr 1998 lebte ich, wie ja schon gesagt, eine Zeit lang in Mailand, engagierte mich im Leoncavallo und im BULK, war antifaschistisch unterwegs. Recherchierte gegen die Nazis, besuchte das Istoreco in der Reggio Emilia oder das Ultra-Projekt in Bologna, das damals gerade das 2. mal die Mondiale Antirassista gemacht hatte. Suchte die Partisanenorganisation ANPI und die Deportiertenorganisation ANED auf, ging ins Partisanen-Institut, usw..
    Und versuchte einen Job zu bekommen. Das war schwerer als ich dachte. Ich musste dann leider zurückkommen, da ich keine Arbeit fand.
    1998 hatte ich Luigi Borgomaneri, einen Historiker des Partisanen- und Zeitgeschichtlichen Archivs ISEC – Istituto per la storia della contemporanea – in Sesto San Giovanni kennengelernt. Er hatte gerade sein Buch über den GeStaPo-Chef Theodor Saevecke herausgegeben und arbeitete als historischer Beirat für das Militärtribunal gegen Saevecke in Turin. Da lag es nahe, dass ich das Thema in Deutschland verlängerte. Ich organisierte Veranstaltungen und publizierte zu dem Thema, war mehrmals auf dem Prozess gegen Saevecke in Turin. Darüber hinaus organisierte ich über mehrere Jahre Fahrten zur Partisanengeschichte nach Mailand und den Lago Maggiore. Am Lago besuchten wir das Casa della Resistenza und alte PartisanInnen erzählten uns von der befreiten Republik. In Mailand machte Luigi Borgomaneri Stadtrundgänge für uns und organisierte Treffen mit sehr bekannten PartisanInnen wie Giovanni Pesce und Onorina Brambilla, und weiteren KämpferInnen. Aber auch unbekanntere wie Enzo Galasi, der als Mitglied der 3. GAP der totale Hammer war. Die Kontakte und die Seminare waren erster Güte. Das hatten wir Luigi Borgomaneri zu verdanken, der selbst Sohn, Neffe und Enkel von PartisanInnen war und in der ganzen Partisanen-Community der Nachkriegszeit in Mailand aufgewachsen war. Darüber hinaus zählt er zu einem der profundesten Historikern, die zur Partisanengeschichte arbeiten. Naja, und über die zahlreichen netten privaten Abendessen dort lernte ich dann auch Vertreter der linken Szene der 70er kennen – Leute von der Lotta Continua, Stadtguerillas der Tupamaros, etc.p.p.. Zeitgleich zu den Fahrten nach Nord-Italien habe ich auch begonnen Veranstaltungen zur Partisanengeschichte in Deutschland organisieren.
    Im Jahr 2001 fuhr ich mit Freunden zu den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genova. Da sind wir mit viel Glück heil davongekommen. Anschließend habe ich einige Jahre lang hier Soliveranstaltungen und -aktionen zu Genova organisiert. Im Jahr 2011 habe ich diverse Interviews zu den Ereignissen 2001 in Genova geführt und als eine Art öffentliches Erinnern auf Linksunten publiziert. Für die Interviews bin ich nach Mailand und Genova gefahren. Es war beeindruckend Heidi und Giuliano Giuliani, die Eltern von Carlo Giuliani, zu interviewen. Heidi Giuliani habe ich noch 2016 zum 10ten Jahrestag der Ermordung von Renato Biagetti am Strand von Focene gesehen. Sie wieder zu sehen war schön, aber auch traurig, da sie an Parkinson erkrankt ist. Sie ist sehr untriebig und ihr Hauptengagement besteht darin, die Familien von Opfern von Polizeigewalt und rechter Gewalt miteinander zu vernetzen. Eine großartige Frau.
    2003 passierte der Mord an Davide Cesare, der zum Umfeld meiner Mailänder FreundInnen zählte. Kurz nach dem Mord war ich in Mailand und erlebte die Stimmung unter ihnen. Die ganzen rechten Brandanschläge und Überfälle in Norditalien in den Jahren vor dem Mord hatte ich über sie ja schon vorher mitbekommen. Aber das war jetzt was Anderes. Also organisierte ich Solidaritäts-Veranstaltungen in Deutschland, lud Leute aus Mailand, Bergamo und Rom zu Veranstaltungen nach Deutschland ein. Das waren so Kombi-Veranstaltungen zur Repression nach Genova, den aktuellen rechten Attacken und den Mord an Davide.
    Ende 2007 war ich wieder mal in Mailand und besuchte meine alten Partisanenfreunde, Enzo, Luigi, usw.. Ich bekam von der geplanten Demo zum 5ten Todestag von Dax mit. Daraufhin sicherte ich uns für den März 2008 im Hausbesetzer-Hostel „Il Postello“ im damaligen CSOA Pergola ein Zimmer für uns. Im März 2008 fuhren wir dann zu sechst nach Mailand und nahmen an der Demonstration zur Erinnerung an Davide Cesare teil. Für unsere Teilnahme an der Demo hatten wir ein Transparent gemalt. Darauf, wie auf meinem Flugblatt, waren die weiteren Morde an Renato Biagetti, Carlos Palomio, Jan Kuchera und Thomas Schulz genannt. Nach einem Solidaritäts-Konzert im Sozialzentrum Baraonda im Stadtteil Segrate nahmen uns die italienischen Bullen dann bei einer Verkehrskontrolle das Auto auseinander. Sie hatten bei uns eine Antifa-Fahne und linke Materialien gefunden. Naja, und wir bekamen von Luigi und Enzo noch ein Privat-Seminar zur Partisanengeschichte Mailands. Ein spannendes Wochenende. Vor allem für die ganzen Teenager, die zum ersten Mal außerhalb Deutschlands unterwegs waren und so eine geballte Ladung linker Geschichte mitbekamen.
    Als ich dann im Mai 2008 von einem Streetworker angesprochen wurde, ob ich nicht Jugendliche kennen würde, die Lust auf ein Antifa-Graffito hätten, lag es auf der Hand das ich unsere Gruppe Azzoncao und diejenigen fragte, die mit uns in Mailand gewesen waren. Das Thema für das Graffito lag ebenfalls auf der Hand. Das Espose zum Graffito schrieb ich dann im Herbst 2008. Das Graffito an der Hermannshöhe entstand im Dezember 2008. Mit dem Graffito und den Film „uno di noi“, den ich anschließend zusammen mit einem Freund machte, begann die Zeit der Interviews mit Angehörigen von ermordeten Antifas. Das erste Interview führte ich mit dem Bruder von Renato Biagetti in Rom. Danach mit der Mutter von Carlos Palomino in Madrid. Die Informationen aus diesen beiden Interviews konnten dann noch in den Film einfließen. Das Interview mit der Mutter von Davide Cesare in Mailand, mit der Mutter von Timur Kacharacva in St. Petersburg und der Freundin von Feodor Filatov im Moskau machte ich 2009.
    In den letzten zehn Jahren bin ich mehrmals im Jahr in Mailand und Rom, besuche meine Partisanenfreunde, meine Bekannten aus den Centri Sociali und andere Linke, hab einfach Spass mit Ihnen, gehe mit auf Demos – und schreibe manchmal zur aktuellen Politik in Italien. Also das zu meinem Vierteljahrhundert Kontakte nach Italien.

    Azzoncao: Ok, das klingt nach einem breiten Spektrum an Erfahrungen, Wissen und Kontakten.

    Paul: Tja, es ist auf jeden Fall nicht dieses übliche Gipfel-Jumping und Event-Kultur, was viele Linke betreiben und als Internationalismus ausgeben. Wenn ich mich für etwas interessiere, dann voll – halbe Sachen gibt es nicht.

    Azzoncao: War es leicht an die InterviewpartnerInnen zu kommen?

    Paul: Für mich ja. Ich war ja bekannt über meinen Einstieg in Mailand. Also das ich das Leoncavallo mit besetzt hatte. Darüber war ich voll in der Aktivisten-Szene und den Centri Sociali integriert, hatte Null Probleme bei anderen Aktionen mitzumachen. So blieben mir keine Türen verschlossen, ich wurde mitgenommen, bekannt gemacht, etc.p.p.. Als ich nach der Möglichkeit eines Interviews mit Verwandten von Renato Biagetti fragte wurde ich problemlos in der Antifaszene Roms durchgereicht, so auch in Mailand und darüber in Madrid. Mir eilte sozusagen ein Ruf voraus. Freunde fragten mich, ob ich nicht die Eltern von dem 2008 in Mailand ermordeten Jugendlichen Abdul Guibre aus Burkina Faso und den von der Polizei 2005 ermordeten Federico Aldrovandi interviewen wollte. Aber das schaffte ich dann nicht mehr.
    2009 wohnte ein Moskauer Antifaschist bei mir, als er hier seinen Film über die Kämpfe russischer Antifaschisten präsentiert. Da war es dann kein Problem für mich ihn in Moskau zu besuchen und in die Moskauer und St. Petersburger Szene mitgenommen zu werden. Dasselbe System galt bzw. gilt heute noch für Paris, Bilbao, Belfast, Dublin, usw. Ich kenne Leute, die wieder Leute kennen, die …

    Azzoncao: Du kanntest also Mailand schon ziemlich gut als der Mord an Davide Cesare passierte?

    Paul: Ja, knapp 10 Jahre. Dax zählte zum direkten Umfeld meiner Freunde aus den Centri Sociali. Er kam aus dem O.R.So. – Officina di Resistenza Sociale. Persönlich habe ich ihn nie kennengelernt. Ich war im Leoncavallo, BULK, Metropolix und CSOA Pergola unterwegs. Also in den Stadtteilen Greco und Isola, die jetzt komplett entstellt sind durch die Neubauten der EXPO. Als ich mir 2015 das EXPO-Gelände und meine geliebten Stadtteile angesehen haben, hätte ich heulen können. Nichts von den alten Stadtteilstrukturen, den Straßen, den Gassen und kein besetztes Zentrum ist erhalten geblieben.
    Das Officina di Resistenza Sociale, wo Davide mitmachte, lag nahe bei den Navigli, in der Nähe der Porta Ticinese und der Porta Genova. In dem Stadtteil war ich zwar auch unterwegs, aber auf den Wochenmärkten oder zum Abhängen an den Navigli. Nicht in den dortigen Sozialzentren.

    Als ich damals am Abend des 16. März 2003 in Mailand anrief, um mich bei Francesco für eine Woche Kurzurlaub in Milano anzukündigen, war er völlig von der Rolle, konnte gar nicht richtig reden. Er meinte nur er könne nicht sprechen und legte auf. Ich war echt besorgt, weil ich ihn nie so erlebt hatte. Ich habe also einen Tag später noch mal angerufen und er erzählte mir alles, was am Abend zuvor passiert war. Also was er über den Angriff wusste, dass drei Faschisten die Täter waren, dass die Polizei die Rettungskräfte behindert hätten, dass Davide vermutlich deswegen starb. Wie sie zum Hospital fuhren und dort die Polizisten die FreundInnen von Dax zusammenschlugen, usw..
    Zwei Wochen später war ich dann mit meiner Freundin in Mailand. Die Stimmung unter meinen Mailänder FreundInnen und Bekannten war von Mischung zwischen verzweifelt, wütend und bedrückt. Wir gingen zur Porta Ticinese, wo ein großes Graffito für Davide entstand. Dort traf ich auch Jessica, die ich schon sieben Jahre kannte. Sie hatte eigentlich lange blonde Haare. Nun war die eine Seite kurz rasiert und dort prangte eine lange Narbe aus der noch die Fäden sprießten. Die Polizei hatten auch sie wie ihre FreundInnen im Krankenhaus gejagt, aus Zimmern und unter Krankenbetten hervor gezerrt und auf den Fluren mit Schlagstöcken und Baseballschlägern blutig geschlagen. Ich nahm das Alles sehr bestürzt wahr und hörte mir viele Augenzeugenberichte an. Aber ich konnte nichts machen, war ohnmächtig und wütend. So sammelte ich Zeitungsberichte und machte alle möglichen Fotografien, um diese in Deutschland zu publizieren. Das habe ich dann auch gemacht. Jens Renner vom AK habe ich damals auch beschickt und er hat einen guten Bericht geschrieben. Und so gut es ging habe ich immer wieder in all den Jahren an Davide über Artikel auf Linksunten erinnert. Mit dem Film „uno di noi“ ist die Geschichte auch ziemlich weit rumgekommen. 2013 bin ich zum 10. Jahrestag auf der großen Gedenk-Demo für Davide gewesen, bei der auch die Eltern von Carlo Giuliani, von Renato Biagetti, Abdul Guibre und viele andere Eltern und Verwandten von durch Nazis oder Polizisten Ermordeter einen eigenen Block bildeten. Dieses Jahr schaffe ich es nicht nach Mailand zu fahren.

    Azzoncao: Du hast ja im April 2009 ein Interview mit der Mutter von Davide geführt. Wie war das?

    Paul: Ja, ich habe damals Rosa Piro, die Mutter von Dax, im Quartiere Rozzano interviewt. Dabei hat mir noch eine deutsche Studentin geholfen, die besser als ich Italienisch sprach.
    https://milanoinmovimento.com/news-stream/der-faschistische-mord-an-davide-cesare-dax-2003-in-mailand
    Es war wie bei den anderen Interviews. Beklemmend. Die betroffenen Menschen sind schwer traumatisiert. Nicht nur über den Verlust, sondern vor allem über die Art des Verlustes. Auch die Diffamierung ihrer Kinder durch die Politik, die Presse und die Öffentlichkeit setzt ihnen stark zu. Dann die Häme und die Aggression von Seiten der Rechten. Die mangelnde Solidarisierung bürgerlicher Kreise. Oft sind die Betroffenen auf sich allein gestellt und erfahren nur Zuspruch vom engsten Freundeskreis des Ermordeten.
    Ich hatte immer die Sorge, dass ich meine Fragen in den Interviews falsch formuliere. Dass ich unbeabsichtigt die Interviewten verletzen könnte, weil ich noch nicht genug weiß, mich auf falsche Informationen beziehe, ungeschickt frage, oder sonst etwas. Dann war da die Traurigkeit und die Ohnmacht. Wie konnte ich adäquat mit den Gefühlen der Befragten umgehen? Oder auch mit meinen? Zum Beispiel gab es eine Situation bei dem Interview mit der Mutter von Carlos Palomino in dem Stadtteil Vallecas in Madrid. Es waren verschiedene FreundInnen von Carlos anwesend. Plötzlich stand eine junge Frau weinend auf und ging raus. Sie war bei dem Mord in der Metro anwesend gewesen und musste weinen. Da stand allen das Wasser in den Augen. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ihr Freund ist ihr dann nach gegangen und hat sich um sie gekümmert. Wir anderen haben so gut es geht das Interview weitergeführt. Diese Interview-Fragen berühren Erinnerungen und Gefühle, die alles andere als leicht und unkompliziert sind. Es entstehen Situationen, wo man sich fragt, ob man das Interview nicht unterbricht oder ganz abbricht, weil das die Befragten zu sehr belastet.
    Aber dann erlebt man meist, dass die Befragten es sind die das Interview weiterführen wollen, das sie sehr stark sind. Vor allem die Mütter sind oft unglaublich kräftig und mutig. Man merkt, dass sie die Geschichte ihrer Kinder erzählen wollen und um die Erinnerung und den Respekt kämpfen.
    Und gleichzeitig merkt man, dass ihnen das entgegengebrachte Interesse guttut, ihre Isolation mindert und hilft das Erlebte besser zu verarbeiten. So war zumindest mein Eindruck aus den Interviews.

    Azzoncao: Und die Väter?

    Paul: Tja, das ist schon merkwürdig. Ich habe nur die Väter von Carlo Giuliani und Timur Kacharava kennen gelernt. Giuliano Giuliani erschien mir in dem Gespräch rationaler als Heidi. Als ob ihm dies besser hilft den Verlust und die Ungerechtigkeit zu bewältigen. Und Timurs Vater stand auf dem Waldfriedhof abseits von uns, hatte eine Sonnenbrille auf und weinte. Später brachte er uns zur Zugstation. Dabei sprach er etwas über seinen Beruf als Philosophielehrer. Er machte einen traurigen und verlorenen Eindruck. Er muss seinen Sohn Timur sehr geliebt haben. Zum Abschluss umarmte ich ihn kurz. Er wirkte überrascht. Als Ex-Offizier der Roten Armee hat er das vermutlich nicht von einem Deutschen erwartet. Sonst waren die Väter abwesend. Ich kann nicht sagen warum. Aber bemerkenswert ist das schon, dass hier die Männer so abwesend und sprachlos waren.

    Azzoncao: Was bedeutet für Dich dieses Erinnern?

    Paul: Sehr viel. Und das in jeder Hinsicht. Nicht nur was die Unterstützung der hinterbliebenen Familienangehörigen, FreundInnen und Szene-Strukturen angeht. Ganz allgemein ist Erinnerungsarbeit ein Kernbereich der eigenen politischen und sozialen Identität. Die Vernachlässigung des Erinnerns und das damit einhergehende Nicht-Aufarbeitens, Nicht-Reflektierens und Nicht-Analysierens von Ursachen und Bedingungen von Ereignissen und Abläufen, bedeutet den Verlust an eigener Geschichte, an Bewusstsein und somit auch den Verlust von der Möglichkeit Perspektiven entwickeln zu können. Diese Haltung erzeugt Hilflosigkeit und Ohnmacht. Welche politischen Vorstellungen auch immer, sie verkommen zu appelativen Moralismus. Diese mangelnde Erinnerungsarbeit, dieser Verlust an Geschichte, ist ein fundamentaler Bestandteil der Niederlage der Linken.

    Azzoncao: Erklär das genauer.

    Paul: Zuerst mal das ohne aktive Erinnerungsarbeit alle diejenigen die von Angriffen und Repression Betroffen sind damit allein gelassen werden. Ihnen gehört das kurzfristige Bedauern. Aber generell werden sie, ihre Angehörigen und FreundInnen, aber auch die Umstände der Taten dem Vergessen preisgegeben. Sie zählen nur für den Augenblick. Ihnen wird kein Wert beigemessen, ihnen wird kein Respekt gezollt und die Würde genommen. Wer so mit den Menschen und ihrem Schicksal umgeht, erzeugt statt Solidarität Utilitarismus und Funktionalisierung, statt Respekt und Würde Gleichgültigkeit und Zynismus. Das zeigt was die betroffenen Menschen den politischen Bewegungen und Parteien wert sind. Und das zeigt wiederrum was man von diesen Bewegungen und Parteien zu halten hat. Nämlich Nichts. Diese Bewegungen und Parteien sind so gut wie tot. Für eine solche Bewegung will keine/r auch nur irgendeinen Handschlag tun. Es sei denn er oder sie hat persönlichen Gewinn daran. Wenn hier überhaupt erinnert wird, dann dient dies nicht der Solidarität, sondern der Selbstdarstellung. Es ist eine nützliche Geste zum eigenen Machterhalt – nicht des menschlichen Zusammenhalts.
    Und dann auf der allgemeinen Ebene. Ohne Recherchen und Monitoring kann es keine adäquaten Analysen der aktuellen Situation, der Notwendigkeiten und Entwicklung von Strategien geben. Und diese kann es auch nur im Vergleich und der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Strukturen und ihrer Geschichte geben. Ohne bewussten Umgang mit den sozialen Erfolgen von Bewegungen oder deren Niederlagen und ihren Bedingungen ist man unfähig zu lernen. Ohne Geschichtsarbeit geht Nichts.
    Aber das ist heute total out. Ich habe zuletzt in Dortmund erlebt, dass einer zur Geschichte des Aufbau Dortmunder Nazistrukturen meinte „Oh, das ist doch schon 10 Jahre her.“ Das er als Dortmunder gerade deswegen in der braunen Scheiße sitzt ist ihm gar nicht aufgefallen. Sich Gedanken über Strategien und Aufbau der lokalen Nazistrukturen machen, das war in Dortmund vor 10 Jahren genauso out wie heute. Und deswegen haben die Dortmunder Antifas Null Ahnung wie sie den Nazis etwas entgegensetzen können. Ihnen bleibt nur das ineffiziente Emotionalisieren und Skandalisieren übrig. Nachhaltig, planvoll und strategisch lässt sich so keine Politik konzeptionieren. Ihr letzter Demoaufruf zum Naziaufmarsch am 14. April ist ein Offenbarungseid.
    Aber diese Betrachtung zur Geschichts- und Erinnerungsarbeit gilt für jedes politische Feld.
    Aber das interessiert niemanden. Heute stehen 19 Jährige vor dir und sagen du sollst die Klappe halten sie seien die Antifa. Null politische Erziehung, null linkes Bewusstsein – dafür aber eine umso größere Fresse. Das ist die maßgebliche Kultur, die in den Restbeständen der Szenen wie dem Sozialen Zentrum, Bahnhof Langendreer und Co. herrscht. Vor 30 Jahren wären solche Leute nicht einmal als Mitläufer geduldet worden. Heute nennen sich diese asozialen Typen linksradikal.

    Azzoncao: Und wie lässt sich das beheben?

    Paul: Bei denen? Das geht nicht, das ist eine Implementierung neoliberal geprägter, psycho-sozialer Strukturen. Das ist mittlerweile szene-immanent. Und wenn Du Dir diese Alsenstraßen-, Kortländer-, Ehrenfeld-Szenen ansiehst, dann durchzieht dieser gelebte grün-alternative Kapitalismus die einzelnen Personen, wie die entstandenen Gemeinwesensstrukturen. Da ist nichts Linkes dran. Nichts Kollektives. Das ist Kommunitarismus a la „meine Straße soll kuscheliger, schöner werden“. Da können auch die Leute mit den gröbsten kapitalistischen Lebenswandel, mit den aggressivsten Rassismus in den Cafés, aber auch den Gruppenräumen verkehren. Da wird über Livestyle-Niveau das Prekariat draußen gehalten, damit sich die Ex-Linken in ihrem Mittelschichtsdasein nicht gestört fühlen. Urban Gardening wird abgefeiert, was wo anders von Prekarisierten seit Jahrzehnten an Bahnlinien und Brachgeländen praktiziert wird. Jetzt machen die Mittelschichtsjugendlichen das als Zeitvertreib. Sie deklarieren ihr Hobby als revolutionär und feiern sich medial ab. Man besetzt ein Haus an der Hernerstraße und stolziert am Fenster vermummt auf und ab. Na, und wenn es einem langweilig wird, na dann geht man wieder raus. Ich glaub in der Verwaltung und der Polizei haben sie sich schlapp gelacht über die Besetzung. Viele alte HausbesetzerInnen haben es auf jeden Fall. Das was hier diese Szenen als Aktionen produzieren, galt Anfang der 80er als blanker Revisionismus und Reformismus. Das ist die Neue Mitte, der brauchst du nicht mit linker Geschichtsarbeit kommen. Die wollen die auf gar keinen Fall.
    Nee, man muss Gedenk- und Erinnerungsarbeit zu allem machen. Und das leider aus Prinzip und oft allein. Das gelingt natürlich am besten zu den Themen, die einem nahe liegen. Zu denen man Bezug hat. Auch wenn man damit alleine steht und es schwierig ist. Es wird sich auszahlen. Das was wir als Combo seit über 30 Jahren gegen die örtliche Nazi-Szene machen zeigt ganz klar Erfolg. Und das hat viel mit handfester Arbeit von Recherche, Monitoring, Dokumentation, Analyse und Erinnerungsarbeit zu tun. Der beste Vergleich besteht zu der Entwicklung in Dortmund.
    Und selbst in Dortmund waren wir es, die die Geschichte von Thomas Schulz im Jahr 2008 aufarbeiten mussten, da die Dortmunder es 2005 unterlassen hatten die Umstände des Mordes zu dokumentieren. Genau wie wir es 2010 und 2015 waren, die die Geschichte der drei im Jahr 2000 ermordeten Polizisten nachzeichneten und in Dortmund Kundgebungen organisierten.
    Was sind wir dafür angegriffen worden, an Polizisten zu gedenken. Was hat sich da für ein Abgrund an inhumanen Denken in der Linken aufgetan. Ein Polizist ist ein Söldner für das jeweilige politische System. D`accord. Aber er ist ein Mensch. Und selbst wenn ein Polizist ein Schwein ist, so gibt das lange niemanden das Recht ihn zu erschießen. Alles andere wäre die implizite Forderung nach der Todesstrafe. Und das kollektiv. Es gibt auch ganz deutlich Unterschiede bei den Polizisten. Und es ist ein großer Unterschied, ob Polizisten Schwarze auf der Wache foltern und ermorden, wie bei Oury Jalloh 2005 in Dessau, oder Leute willkürlich verletzen wie bei den Demonstrationen zu G20 in Hamburg. Oder ob sie wie 2000 in Dortmund die Verkehrsregeln kontrollieren.
    Da ermordete 2000 nun ein Nazi aus dem Combat 18 Umfeld drei Polizisten und niemand in ganz Dortmund fällt es ein ihrer zu gedenken. Sind das keine Opfer rechter Gewalt? Die drei PolizistInnen und deren Familien waren die Bauernopfer des Innenministeriums, das lieber den Täter als geistig verwirrt ausgab, als im Verfassungsschutz aufzuräumen, der bis zur Halskrause in dieser Nazi-Szene steckte. Die Menschen, die sich den beschissenen Job eines Polizisten ausgesucht hatten, samt ihrer Familien, wurden von ihrer eigenen Dienstbehörde im Stich gelassen. Es gibt kein besseres Beispiel wie menschenverachtend der deutsche Staat ist. Er schützt nicht einmal die eigenen Angestellten. Aber die Dortmunder Antifas haben auch nicht ein Funken Verstand und Mitgefühl, um so etwas zu sehen. Aber das war bzw. das ist die Folge sich historisch nicht zu verorten zu können.

    Azzoncao: Bei dir wird es mit Gedenkarbeit also weitergehen?

    Paul: Ja, das spannende, aber wenig amüsante, an historischen Arbeiten ist der Umstand, dass man immer mehr aktuelle Idiotien sieht, die als Links ausgegeben werden, aber nichts weiter sind als private Profitmaximierung des abwirtschaftenden Mittelstands.

    Azzoncao: Und Italien?

    Paul: Ora e sempre resistenza! Das bin ich schon meinem geliebten Enzo und all meinen anderen italienischen FreundInnen schuldig.

    Azzoncao: Na dann, buona futura!

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