
„Hunderttausende Tote, zahllose Verletzte und unzählige schwer traumatisierte Menschen und eine bald völlig verwüstete Ukraine – und wenn der Ausstieg aus der Gewaltspirale nicht gelingt, könnte bald ganz Europa zum atomaren Schlachtfeld werden. Da gibt es nur eins: Nieder mit den Waffen!“, so formulierte Wolfgang Dominik von der DFG-VK zu Beginn der Friedensdemonstration am Freitag den Konsens der meisten Teilnehmenden. (Die Rede im Wortlaut) Anlass war der Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Dr. Ingrid Farzin, Mitglieder IPPNW, beschrieb, was der Menschheit droht:
„Weltweit gibt es heute Atomwaffen mit einer Sprengkraft von mehr als 130 000 Hiroshima-Bomben. Würden nur 3% dieser Bomben in einem Krieg eingesetzt, würde es rund 150 Millionen unmittelbare Tote geben. Eine Aschewolke mit 47 Millionen Tonnen Ruß würde sich über die Erde legen.“ (Die Rede im Wortlaut)
Reinhard Junge von der VVN-BdA erinnerte an den völkerrechtswidrigen Krieg der Nato gegen Serbien, die Eskalation durch die Nato-Osterweiterung und kritisierte: „Alles, was vor diesem Krieg passiert ist, wird ignoriert – so, als ob es vor 2020 keine europäische Geschichte gegeben habe. Und in mehr als 90 % aller Medien sind die Russen die Bösen – und der freie Westen müsse Russland abstrafen. Wer – wie wir – Waffenstillstand und Verhandlungen fordert, gilt inzwischen als Verräter oder Idiot.“ (Die Rede im Wortlaut)
Ralf Feldmann, erklärte als Vertreter des Bochumer Friedensplenums: „Bisher setzten beide Seiten auf weiteres Blutvergießen, nicht nur der russische Aggressor, auch die ukrainische Führung, die Verhandlungen per Dekret ja verbietet. Präsident Selenskyj hatte nun einen chinesischen Friedensplan schon vor dessen Veröffentlichung begrüßt. Er sprach von einem wichtigen ersten Schritt. Die Bundesregierung muss das unterstützen und jetzt ihrerseits endlich konkrete diplomatische Initiativen für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen ergreifen.“ (Die Rede im Wortlaut)
Ulrich Kriegesmann, Mitglied im Leitungsteam der GEW Bochum, erinnerte an eine Erklärung, die Professor Günther Brakelmann vor einem Jahr an die politisch Verantwortlichen adressiert hat: „Machen sie so weiter im Geist der Kriegs- und Friedenspolitik der vorigen Jahrhunderte und sehen den Sinn ihrer Politik in ihrer weltweiten Führungsrolle durch Vernichtung ihrer Gegner, so ist das Ende weiter Teile dieser Welt vorprogrammiert.“ (Die Rede im Wortlaut)
Törk Hansen, von der Bochumer attac-Gruppe, ging auf die katastrophalen ökonomischen globalen Auswirkungen des Krieges ein, erinnerte an andere Kriege weltweit und forderte: „Wir brauchen tatsächlich eine Zeitenwende – aber eine, die endlich auch die Interessen des globalen Südens so ernst nimmt, dass sie das politische Handeln bestimmt!“ (Die Rede im Wortlaut)
NaturFreund Fred aus Langendreer kritisierte u. a. die Militarisierung im Bewusstsein unser Gesellschaft und beschrieb, wie deutlich dies gerade bei jüngeren Mensch zu beobachten sei. Er nannte es erschreckend, wie Bundesregierung und Bundestag das 100 Milliarden Euro schwere Rüstungspaket durchsetzen konnten, ohne dass es erheblichen Widerstand in der Bevölkerung gab.
Wer von uns ist nicht für den Frieden? Wer von uns hat nicht Angst vor atomarer Bedrohung und Ausweitung des Krieges? Daher ist es sehr gut, dass für den Frieden auf die Strasse gegangen wird. Ich hoffe doch sehr, dass Ihr auch die Perspektive der ukrainischen Menschen darstellt, die vor dem Krieg geflohen sind, die bereits Angehörige verloren haben oder um deren fürchten müssen. Wie ich hörte (und auch hier lese) war kein*e ukrainischer Redner*in dabei? Am darauffolgenden Samstag war die Demonstration der Ukrainer*innen, wird davon auch berichtet? Was ist mit der Perspektive der Menschen, die im zunehmend autokratischen Russland um ihre Rechte und Sicherheit fürchten – wie Oppositionelle und LGBTIQ+.
Frieden fordern – ja natürlich – aber nicht Unterwerfung!
Kennst Du denn eine ukrainische Gruppe, die die nationalistische und militaristische Politik ihrer korrupten Regierung kritisiert. Ich kenne eine Reihe von Russ:innen, die die verbrecherische Politik ihrer Regierung kritisiert. Es wäre super, wenn die gemeinsam gegen ihre Regierungen an die Öffentlichkeit gehen würden und das skrupellose Abschlachten ihrer an der Front befindlichen Väter, Brüder oder Söhne anprangerten. Ich habe bisher vergeblich nach ukrainischen Ansprechpartner:innen gesucht. Ich kann gut verstehen, dass es da für bo-alternativ nicht viel zu berichten gibt.
Unterwerfung bedeutet das Aufgeben von Widerstand. Ein intelligentes Vorgehen bedeutet immer einen effektiven nicht militärischen Widerstand.
Männer in unserer Welt können sich aber meistens nichts anderes vorstellen als: Da hilft nur noch Gewalt!
Selbstverständlich gibt es kriegskritische ukrainischen Menschen, aber sie sind nicht als Gruppe organisiert. Mir erscheint es eine nicht sehr erfolgversprechende Herangehensweise zu sein, nach Ansprechpartner:innen von organisierten Gruppen zu suchen. Es geht primär erst einmal um längere Beziehungsarbeit. Dann kann man erkennen, wie differenziert die ukrainische Community hier ist und auch, dass nicht alles, was hier unseren „scheiß Nationalistinnen“-Reflex triggert, so ist, wie es von außen aussieht.
Das haben die Organisator:innen der besagten Demonstration bislang versäumt.
Es ist die Entscheidung vieler Ukrainer:innen lieber zu kämpfen und zu sterben, als unter russischer Besatzung zu leben. Viele haben ja Verwandte in Russland, den russisch besetzten Gebieten im Donbass und auch auf der Krim und haben eine Meinung dazu. Diese Entscheidungen müssen wir nicht nachvollziehen, aber ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, mit den ukrainischen Menschen darüber zu diskutieren. Oder mit den tschetschenischen und belarussischen Oppositionellen, die auch der großen „Stand with Ukraine“-Demo am 25.2. in Bochum waren. Oder den GeorgierInnen, die dort waren. Es ist leicht, die alle als militaristische Nationalist:innen abzutun, aber schwer in Dialog zu treten, um zu verstehen, warum sie so anders handeln, als wir uns das vorstellen.
Was wir hier als Nationalismus und Militarismus labeln, macht für die ukrainischen Menschen in ihrer Situation auch psychologisch Sinn. Die Fixierung auf die Ukraine als Nation (?) und Identität erscheint mir sehr als Reflex auf die immer wieder postulierten Auslöschungsfantasien alles Ukrainischen durch die russische Regierung.
Es ist so eine Unart linker, deutscher Organisationen immer nach Organisationen zu suchen, die ähnlich ticken wie sie selber. Dies führt zu einer sehr eingeschränkten Sichtweise. Wer von den deutschen, linken Organisationen kann z. B. etwas zu den aktuellen Konflikten in Bochum zwischen den verschiedenen kurdischen Organisationen oder zwischen kurdischen und syrischen Aktivist*innen bezüglich der Erdbebenhilfe in Bochum sagen? Wir sind so in unseren eigenen Sichtweisen gefangen, dass wir gar nicht merken, wie biodeutsch (ein blöder Begriff) wir als Organisationen und soziale Zusammenhänge sind und somit nicht der tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammensetzung entsprechen.
Ich hatte auf bo-alternativ schon einmal auf eine Berliner Veranstaltung des „AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost West“ mit dem Titel „Der Krieg, die Ukraine und das Dilemma der Linken mit der Solidarität“ mit Natascha Lomonosowa von „Socialnij Ruch“ und Oksana Dutschak, stellvertretende Direktorin des Zentrums für Sozial- und Arbeitsforschung in Kiew verwiesen. Dies hat hier in Bochum leider niemand aufgegriffen und als Einzelperson organisiere ich so etwas nicht. Das ist schade, weil genau solche Veranstaltungen, die ja auch auf ukrainisch stattfinden, eine gute Gelegenheit sind, mit ukrainischen Menschen in Kontakt zu kommen.
Und Patricia, ich hätte gerne einmal ein Beispiel für einen „effektiven nicht militärischen Widerstand“ in der jetzigen Situation.
Das meine ich keinesfalls böse, sondern mir fällt dazu jetzt gerade überhaupt nichts Realistisches ein.