Samstag 06.11.21, 15:10 Uhr
Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen

Was die NCIA so macht?


Als erstes mal will Euch, der Friedensbewegung in Bochum und NRW, gratulieren, und mich bei Euch bedanken, dass Ihr gegen die geplante Ansiedelung dieser NATO-Organisation auf die Barrikaden geht. Vielen Dank dafür. Ihr seid damit auch ein Vorbild für die anderen Standorte, die im Gespräch sind.

Meiner Meinung nach haben ja auch Darmstadt und Bonn gute Chancen. Wir wissen, dass sich in Frankfurt einer der weltweit größten Internet-Knotenpunkte befindet, vom dortigen Generalkonsulat der USA Cyberangriffe auf dem europäischen Kontinent und weit darüber hinaus ausgingen und wahrscheinlich noch gehen und dass sich im nahegelegenen Darmstadt das deutsche Hauptquartier der NSA befindet.

Auch Bonn hat vermutlich gute Chancen. Hier befindet sich u.a. das 2017 aufgestellte Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, der bundeseigene IT Dienstleister BWI GmbH, ein breites Netzwerk an Elektronik- und Rüstungsunternehmen und mit der Bundeswehr und der Uni eng verwobenen Forschungseinrichtungen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

das soll uns aber nicht davon abhalten, hier in Bochum gegen die NCIA auf die Straße zu gehen und deren Ansiedelung hier zu verhindern – nur weil sie sonst eben woanders gebaut wird. Denn, liebe Leute, je mehr Protest und Widerstand es hier gibt, desto mehr Skepsis, desto mehr Aufmerksamkeit wird es auch dort, bundes- und landesweit für diese Organisation geben. Deshalb nochmal: Herzlichen Dank, herzlichen Glückwunsch zu eurem Protest!

Liebe Freundinnen und Freunde,

anstatt die richtigen Lehren aus die Niederlage in Afghanistan zu ziehen, nehmen sie führende deutsche und EU-Politiker*innen zum Anlass, eine verstärkte EU-europäische Aufrüstung einzufordern. Viel wird ja gerade darüber diskutiert, ob und wie die EU militärisch auf Augenhöhe neben die NATO treten soll und mit dieser kooperieren kann. Deutschland hat kürzlich ein vertrauliches Papier in den Rat der EU-Verteidigungsminister eingebracht. Darin wird – mal wieder – der Vorschlag einer EU-Interventionstruppe gemacht, die alleine 5.000 Landstreitkräfte umfassen soll. Auch darin wird das Verhältnis zur NATO adressiert – auf eine eher technische Art – und damit sind wir direkt bei dem, was die NCIA so macht: Die EU-Eingreiftruppe soll „vollständig mit NATO-Standards interoperabel“ sein und entsprechend – jetzt kommt es – über eine „Plug-and-Fight-Fähigkeit“ verfügen. „Einstecken und mitkämpfen“ heißt das. Für uns sollte aber klar sein: Wir wollen weder eine eigenständige EU-Interventionstruppe und wir wollen auch keine EU-Interventionstruppe als Anhängsel für zukünftige Abenteuer der NATO. Wir wollen Abrüstung – übrigens auch auf verbaler Ebene gerade gegenüber, mit China und Russland!

Liebe Freundinnen und Freunde,

„Plug and Fight“ das ist natürlich eine Anlehnung an „Plug and Play“ und daran erinnern sich zumindest die Älteren hier sicherlich noch, weil das v.a. früher eine sehr wichtige Eigenschaft für Geräte war, die man an den Computer anschließen musste oder wollte. „Plug and Play“ war das Versprechen, dass periphere Hardware sich sozusagen mit dem Computer versteht, ohne dass man erst Software installieren musste, die dann vielleicht doch nicht mit dem Betriebssystem kompatibel war. Dieses Versprechen ist mit USB, „universal Serial Bus“ weitgehend realisiert worden. Mit USB kann man die unterschiedlichsten Geräte – Speicher, Kameras, Handys usw. – einfach einstecken und sie benutzten, z.B. auf die dort gespeicherten Daten zugreifen. Und so ähnlich stellt man sich das offensichtlich bei EU und NATO für die zukünftige, zunehmend digitalisierte Kriegführung vor: Dass andere Truppenteile und Bündnisse, Panzer, Kampfflugzeuge, Drohnen und Satelliten ohne größere Verzögerung in ein gemeinsames Gefecht eintreten können, auf ein gemeinsames, digitales Lagebild zugreifen und in eine gemeinsame „Führungs-Infrastruktur“, eine Befehlskette einbezogen werden können.

Liebe Freundinnen und Freunde,

dieses Gefechtsfeld wird aktuell auf den verschiedensten Ebenen digitalisiert: in den einzelnen Truppenteilen der nationalen Armeen, in gemeinsamen EU-europäischen Verbänden usw. Treibende Faktoren sind dabei die beiden großen, deutsch-französischen Rüstungsprojekte MGCS und FCAS. Dabei handelt es sich jeweils um einen bemannten Panzer bzw. ein bemanntes Kampfflugzeug, die jeweils von ganzen Schwärmen unbemannter Systeme begleitet und unterstützt werden sollen. Die NATO und auch das deutsche Heer diskutiert dies unter dem Begriff „Hyperwar“, den sie als „Kombination klassischer Gefechtsführung mit Wellen von Cyberangriffen und Angriffen durch große Mengen automatisiert und autonom gesteuerter Systeme“ definiert. Dabei soll – natürlich, das steckt ja bereits in den Begriffen „automatisiert“ und „autonom“ – auf verschiedenen Ebenen sog. Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Das beschleunigt natürlich das Geschehen und verkürzt die Zeiten zur Entscheidungsfindung. Das Amt für Heeresentwicklung bezeichnet dies als „Fighting-at-machine-speed“, als „Kämpfen in Maschinen-Geschwindigkeit“. Liebe Freundinnen und Freunde: Egal, was sie uns immer wieder versprechen, dass die letzte Entscheidung über den Waffeneinsatz immer beim Menschen liegen soll und so weiter: Wer sich in dieses Wettrüsten einlässt, wer an diesem Beschleunigungs-Wettlauf teilnimmt, wird früher oder später, wahrscheinlich recht bald in Wirklichkeit die Kontrolle verlieren. Liebe Freundinnen und Freunde: statt diese Szenarien auszuarbeiten und in dieses Wettrüsten einzusteigen, fordern wir ernsthafte Bemühungen, um solche Waffensysteme global einzuhegen und das bedeutet voranzugehen, mutig zu erklären: da machen wir nicht mit, solche Systeme entwickeln wir nicht. NATO, EU und Bundesregierungen gehen aber bislang exakt den anderen Weg und deshalb liegt es an uns zu sagen, da machen wir nicht mit, das müssen wir verhindern!

Liebe Freundinnen und Freunde,

Was erzählt der jetzt vom Hyperwar, wir sind doch wegen dieser NATO-Einrichtung da – denken jetzt vielleicht einige. Und diese ist doch – so die WAZ und anscheinend auch die hiesigen Grünen – für die Cyber-Sicherheit, Cyber Defence, Cyber-Abwehr zuständig. Aber genau darum geht es: NATO, EU und Deutschland planen die digitale, vernetzte Kriegführung. Da wird natürlich nicht mit Kabeln operiert – OK, in der Etappe spielen dann auch Glasfaserkabel eine Rolle – sondern mit Funkschnittstellen. Über die sollen sich bemannte und unbemannte Systeme verschiedener Nationen einklinken können, Ziel- und Aufklärungsdaten austauschen und Befehle erhalten und geben. Diese Schnittstellen müssen natürlich sicher sein, weil es für die Gegner natürlich äußerst attraktiv ist, sich einzuhacken, Daten abzugreifen, die Verbindungen zu stören oder ganz lahmzulegen. Und damit das mit dem „Plug and Fight“ funktioniert, schnell funktioniert, ohne dass die Gegner da eingreifen können, dafür braucht es Standards und Protokolle. Und dafür ist die NCIA zuständig. Cybersicherheit ist umso perkärer, lässt sich umso schwieriger erreichen, je weiter die abzuschirmenden Systeme von den eigenen Schnittstellen, Energiequellen usw. entfernt sind. Störsender des Gegners z.B. haben eine bestimmte Reichweite und sie sind natürlich über dessen Territorium am wirksamsten. Cyber-Sicherheit ist dementsprechend v.a. auch die Sicherheit, Angriffe durchführen zu können.

Liebe Freundinnen und Freunde,

da erzähle ich natürlich nichts Neues, das ist ja auch bei Panzern so. Panzer sind ja nicht gepanzert, weil sie defensive Waffensysteme wären, die uns schützen sollen. Panzer sind gepanzert, damit sie offensiv eingesetzt werden können. Damit sie schießen können.

Liebe Leute,

das ist uns natürlich allen klar und eine Binsenweisheit. Ich erzähle sie aber hier, weil es ja oft und gerne anders dargestellt wird. Da hören wir wieder und wieder von russischen Hackerangriffen bzw. Cyberangriffen, die man eben Russland zuschreibt – ohne dass man das wirklich könnte. Und dann will hier eine NATO-Agentur kommen, die „uns“ vor solchen Angriffen schützt. Da kann doch niemand etwas dagegen haben und obendrein schafft das Arbeitsplätze und lauter so tolle Sachen. Das ist wie mit Drohnen und anderen unbemannten Systemen, wo immer wieder behauptet wird, dass „unsere Gegner“ diese einsetzen würden und wir diese nun eben – schweren Herzens – auch anschaffen müssten. Liebe Freundinnen und Freunde: Da stimmt etwas nicht, denn zunächst waren es v.a. die USA, Israel und andere NATO-Staaten, die bewaffneten Drohnen entwickelt und eingesetzt haben. Es sind v.a. der NATO-Staat Türkei und Israel, die diese Systeme nun an Dritte, die Ukraine, Aserbaidschan und Libyen weitergeben – mit Technologie, die u.a. in Deutschland entwickelt wurde und zwar nicht aus Versehen oder irgendwie nebenher, sondern in einem gezielten, planvollen Forschungsprozess. Die NATO und die EU sind Treiber auch in diesem Wettrüsten. Bei Drohnen und unbemannten Systemen ist das auch ziemlich klar nachzuweisen und abzubilden. Umso wichtiger ist – und da besteht ja durchaus noch eine Chance darauf – dass beim Einsatz nun Deutschland nicht voranschreitet bzw. in die andere Richtung voranschreitet und sagt: Wir werden keine bewaffneten Drohnen einsetzen. Das wird die Bundesregierung nicht von sich aus machen, sondern nur, wenn wir, von hier, von der Strasse, genügend Druck ausüben. Es wäre ein Beitrag dazu, dieses globale Wettrüsten zu entschleunigen, vielleicht sogar aufzuhalten. Deshalb hoffe ich, dass von diesen Protesten in Bochum auch ein starkes Signal ausgeht … gegen die Proliferation von Drohnen-Technologie aus Deutschland, gegen die Bewaffnung deutscher und europäischer Drohnen und für eine weltweite Ächtung von autonomen Waffensystemen!

Liebe Freundinnen und Freunde,

beim Cyberwar ist es ganz ähnlich oder sogar noch deutlicher. Cyberwaffen sind v.a. Software und wenn diese offengelegt werden, dann werden sie wirkungslos. Die Kampagne Cyberpeace tritt genau dafür ein, dass sich führende, möglichst alle Staaten darauf verpflichten, Sicherheitslücken offenzulegen, damit sie geschlossen werden können. Das würde die Verwundbarkeit von uns allen, von öffentlicher Infrastruktur drastisch reduzieren. Die Regierungen der letzten Jahre haben einen entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Alle möglichen Behörden – im Zuge der Polizeireformen sogar Landespolizeien – haben in den vergangenen Jahren das Recht erhalten, sich in Systeme einzuhacken. Damit befeuern sie einen staatlich geförderten und natürlich globalen Schwarzmarkt für Sicherheitslücken. Das ist die Grundlage unserer Unsicherheit, die sich mit voranschreitender Digitalisierung und außerdem mit dem globalen Säbelrasseln um Fischereirechte, Pipelines, Nawalny und das Südchinesische Meer noch weiter erhöht. Und diese Unsicherheit wiederum dient als Grundlage, dass sich Institutionen wie die NATO und die NCIA als „Beschützer“ darzustellen suchen. Unsere Unsicherheit ist ihre Geschäftsgrundlage. Liebe Leute, machen wir Schluss mit diesem Geschäftsmodell: Für internationale Kooperation und Abrüstung, Offenlegung aller Sicherheitslücken, Cyberpeace statt Cyberwar und – längst überflüssige: Die Auflösung der NATO!