Samstag 26.06.21, 17:35 Uhr

Die antifaschistische NRW-Zeitung – ein Produkt ihrer Zeit 1


„Einer vom Polit-Cafè Azzoncao“ erinnert an ein Zeitungsprojekt mit starker Bochumer Beteiligung in den 90-er Jahren: »Die „Antifaschistische NRW-Zeitung“ war wohl die erste und die beste Quelle die 1993 Informationen zu dem Brandanschlag in Solingen und der Verquickung von Verfassungsschutz, organisierten Rechtsextremismus und den Tätern publizierte. Die Zeitung war erst kurz vor dem Brandanschlag von verschiedenen antifaschistischen Gruppen aus NRW gegründet worden und erschien vom Mai 1993 bis zum Sommer 1998 sechs Jahre lang in Nordrhein-Westfalen.


Soweit es meine Erinnerung betrifft, ging die Initiative von einer antifaschistischen Gruppe in Wuppertal aus. Mit diesen hatten wir Bochumer*innen schon in den späten 80er Jahren Kontakt und standen gemeinsam FAPlern, Skins und sonstigen Nazis auf Demos, Aktionen und bei Prozessen gegenüber. So bei einem Prozess am Bochumer Gericht gegen Führer der FAP aus dem Ruhrgebiet wegen eines Angriffs mit Molotow-Cocktails auf ein Wittener Flüchtlingswohnheim, usw. usf..
Zuvor war ich von den „Wuppis“ angesprochen worden, für das Wuppertaler Antifa-Info zu schreiben. Was ich auch gerne machte. Schließlich starteten sie die Initiative zur Gründung der NRW-Zeitung. Die Redaktionstreffen fanden im Turnus nach dem NRW-Antifa-Treffen statt, auf dem sich gut ein Dutzend Antifa-Gruppen aus NRW monatlich trafen, um sich zu koordinieren. Rechercheure, Archivleute und Autor*innen blieben im Anschluss um Informationen abzugleichen, Inhalte auszutauschen und Artikel zusammenzutragen. Alle drei Monate erschien die Zeitung und wurde in Info-Läden, linken Buchläden und per Hand verkauft.
Die Zeitung lebte von der unmittelbaren Nähe ihrer Macher*innen zu der (damaligen) antifaschistischen Bewegung. Viele ihrer Macher*innen kamen aus den unterschiedlichen antifaschistischen Basisgruppen der End-80er-Jahre, die vor allem in die autonome Bewegung(en) eingebunden waren. Sie brachten die Erfahrungen der autonomen Bewegung(en) und deren politischen Ansätze mit. Anders formuliert: Ihre Macher*innen waren einmal in anderen sozialen und politischen Gruppen verankert gewesen und hatten deren antikapitalistische Positionen, anti-institutionelle – bewegungsorientierte Ausrichtung geteilt. D.h. Politik in der 1. Person, Do-it-yourself Empowerment, einen gewissen egalitären Ansatz, radikale Kapitalismus-, Staats- und Parteienkritik, u.v.m.. Biographische Erfahrungen und Ansätze, die für heutige Antifa-Aktivist*innen kaum noch Gültigkeit haben. Auch weil es so eine radikale Linke nicht mehr gibt in die junge Aktivist*innen sozialisiert und eingebunden werden. Viele der Antifa-Gruppen der 80er speisten sich aus der autonomen Bewegung und waren integrierter Teil dieser facettenreichen Bewegung. Das machte in den 80er Jahren auch ihre Qualität aus. Sie waren gut vernetzt, informiert und hatten direkten Draht zu unterschiedlichen Bewegungen, Sub-Kulturen, proletarischen Milieus, usw.. Als Teil der sozialen Bewegungen waren sie mit diesen „auf Augenhöhe“, standen unter sogenannter „sozialer Kontrolle“ und waren ihnen „Rechenschaft schuldig“. Antifaschismus ohne Antikapitalismus war nicht vorstellbar, Reden mit staatlichen Verfolgungsbehörden vor und hinter dem Rücken der Bewegungen war undenkbar, Antifaschismus für staatliche Organisationen als Konkurrenz zu emanzipatorischen Bewegungen zu machen nicht vorstellbar, usw. usf..
Diese bundesweit in den 80er Jahren entstanden antifaschistischen Gruppen bildeten die Basis und das Gerüst für den Widerstand, den viele Linke in Deutschland den erstarkenden Nationalismus und Faschismus Anfang der 90er Jahre entgegenstellten. Diese Gruppen versorgten die linken Strukturen via Flugblätter, Plakate, Artikel und Veranstaltungen mit Informationen, boten Kontakt- und Vernetzungsmöglichkeiten, inszenierten Demonstrationen und Kampagnen, zeigten Handlungsrahmen und -möglichkeiten auf. In dieser Zeit erfuhren Treffpunkte, Archive und Zeitungen der antifaschistischen Gruppierungen einen Aufschwung und verstetigten sich. So entstand bei uns in Bochum das „Antifa Cafè“ im Kino Endstation des Bahnhof Langendreer als ein (damals) maßgeblicher Ort des antifaschistischen Austauschs und Vergemeinschaftung. „Die Antifa“ und die unterschiedlichen Generationen ihrer Akteur*innen haben in den letzten drei Jahrzehnten eine rasante Entwicklung gemacht. Und das nicht nur zum Guten, d.h. von diversen emanzipativen Impulsen und Strukturen ist oft nur noch Attitüde vorhanden. Es gilt in der Öffentlichkeit das Image einer progressiven, emanzipatorischen Bewegung abzugeben. Den Beleg bleiben viele ihrer Aktivist*innen aber schuldig. „Gegen Nazis“ zu sein heißt erst einmal nur „gegen Nazis zu sein“. Alles andere muss sich zeigen. Und das tut es all zu oft nicht. In gewissen Strukturen, Regionen und Städten scheint nur noch die Attitüde übrig geblieben zu sein. Attitüde, die um so verbissener verteidigt wird, je mehr Kernbereiche antifaschistischer Aktivitäten in Verwertungslogiken und -mechanismen eines marktkonformen Sozialstaats(gedanken) eingebunden sind. Seit dem Sommer der „Anständigen“ im Jahr 2000, dem Aufkaufen zahlreicher Aktivist*innen, dem seit zwei Jahrzehnten andauernden Aufbau von marktkonformen, staatstragenden „Antifa“strukturen und dem Verschwinden linker, radikaler Bewegungen sind unterschiedliche Strukturen die auf dem Feld des Antifaschismus tätig sind eher „ein Teil des Problems, denn Teil der Lösung“ geworden.
Zurück zur „Antifaschistischen NRW-Zeitung“. Nach sechs Jahren stellten die Macher*innen die „Antifaschistische NRW-Zeitung“ im Jahr 1998 ein. Sie war, so die fast einhellige Meinung ihrer Macher*ìnnen, zu „unprofessionell“. Der Großteil der Macher*innen suchte statt dessen eine Perspektive an Universitäten und bei Mainstream-Medien und bot dort ihr Fachwissen, Erfahrungen und Fertigkeiten an. „Bewegung“ wurde mehr als Informationsquelle für die beruflichen Ambitionen, denn als (Lebens-)Perspektive zur gesellschaftlichen Veränderung begriffen. Diese Auffassung konnte man ab Mitte/Ende der 90er Jahre als bundesweiten Prozess wahrnehmen. Es kam, wie es schon zwanzig Jahre zuvor viele alternative Betriebe erwischte, zur zunehmenden Aushöhlung und Ausverkauf linker Positionen zu Gunsten der ökonomischen Absicherung und Mini-Karriere. Guter Zugang zu antifaschistischen Milieu garantierte dabei einen Informationsvorsprung in einem sich entwickelnden Absatz- und Konkurrenzmarkt staatlich subventionierter Projekte gegen Rechts. Der Aufstand der Anständigen im Sommer 2000 und der (magere) einsetzende warme Regen staatlicher Zuwendungen bildeten dabei einen Katalysator.
Bei der Einstellung der „Antifaschistischen NRW-Zeitung“ wurde formal auf stagnierenden Absatz, mangelnden redaktionellen Zulauf, etc. verwiesen. Mein Vorschlag die Thematik der Zeitung um Themen wie Antirassismus und Anti-Islamismus zu erweitern wurde abgelehnt. Schon zuvor wurde eine von mir angestoßene Debatte um Opfer rechter Morde in NRW auf einem Düsseldorfer Treffen so verwiesen, dass dies die Einzelgruppen ja diskutieren könnten, wenn sie an einem solchen Thema Interesse hätten. Hier hätte das keinen Platz. Verwunderlich war die reine Fokussierung auf Organisationen und Akteure der extremen Rechten in der Zeitung nicht. Dies und das Auslassen gesellschaftspolitischer Analysen entsprachen dem allgemeinen Trend der Entpolitisierung der Restlinken und dem Ansatz ein Fachblatt für den Medienmarkt zu entwickeln. Artikel zu anti-ziganistischer Gewalt und Abschiebegefängnisse, sowie erste Artikel zu Anti-Islamismus (über der Ezan-Ruf in Duisburg) stammten von mir und wurden nicht gerade boniert. So wie ich in den sechs Jahren fast 25 Prozent der Artikel der Zeitung gestellt hatte konnte ich mir diese „Ausrutscher“ aber leisten. So ist die Antifaschistische-NRW-Zeitung eigentlich ein gutes Beispiel der Entwicklung „der Antifa“ in den 90er Jahren. Das ich 1999 die Zeitung „Lotta“ gründete war geradezu zwangsläufig. Das ich zuließ das „Professionalisten“ der Antifaschistischen NRW-Zeitung dort Zugang erhielten ein bedeutender Fehler. Der Versuch eine Bewegungszeitung zu inszenieren scheitere innerhalb eines halben Jahres. Aber vielleicht ist das auch ein weiterer Ausdruck des Wandels der „Antifa“ zur Jahrtausendwende.«


Ein Gedanke zu “Die antifaschistische NRW-Zeitung – ein Produkt ihrer Zeit

  • Azzoncao, ein Polit-Cafè

    Hier noch mal der Link zu dem Artikel von 1995 bzgl. Antiislamischen Rassismus

    Duisburg – Antiislamischer Rassismus reloaded
    https://linksunten.archive.indymedia.org/node/17370/index.html

    Der Rassismus in antiislamischer Verkleidung ist nichts Neues in Deutschland. Erst recht nicht in Duisburg, wo die rechtsradikalen Parteien NPD und Pro-NRW für den 27./28.03.2010 provokative Wahlkampfauftritte anvisieren. Schon 1995 war Duisburg Austragungsort von antiislamischen Rassismus. Damals noch vorwiegend durch religiöse Rassisten getragen. In der Antifaschistische NRW-Zeitung Nr. 13 von 1996 erschien dazu der Artikel: „„Kruzi Türken“ in Duisburg“. Wir wollen ihn hier dokumentieren:

    „Kruzi Türken“ in Duisburg

    Was in Bayern eine historisch rassistischer Fluch ist, erlebt in Duisburg eine ungeahnte Renaissance.

    Seit einigen Monaten wird in Duisburg ein Streit ausgetragen, dessen Vehemenz und inhaltlichen Positionen ein weiteres Schlaglicht auf den grassierenden Rassismus in der deutschen Gesellschaft wirft.

    Mittlerweile hat der Konflikt auch bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Es geht um die Anträge zweier Moscheen in den Duisburger Stadtteilen Laar und Marxloh, den Ezan auszurufen. Der Ezan ist der 2 bis 3 minütigen Gesang des Muezzins, mit dem er die Gläubigen zum Gebet ruft.

    Der Inhalt wird mehrere Male hintereinander gesungen und lautet übersetzt: „Allah ist groß. Allah ist der Größte. Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammed ist sein Prophet. Steht auf zum Gebet. Steht auf zur Arbeit. Allah ist der Größte. Es gibt keinen Gott außer Allah.“

    Vor über einem Jahr wurden die Anträge bei der Stadt Duisburg eingereicht. Die Duisburger Vereine beantragten dabei, den Ruf, statt jeden Tag dreimal, nur einmal jeden Freitag erschallen zu lassen. Sowie während des Fastenmonats Ramadan einmal pro Tag. Übertragen werden soll der Ruf mittels Lautsprecher. Lautstärke: 70 Dezibel. Mehr lässt das Gesetz nicht zu. Das entspricht der Lautstärke eines vorbeifahrenden PKWs
    ….

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