
Nr. 51 • 19. Dezember 2000
Besetzung und Räumung des az bochum
Eine unvollständige Chronologie der Ereignisse
samstag, 2. dezember
13.00 Fünfzig Leute, „Jugendliche
und junge Erwachsene" besetzen die ehemalige, seit 16 Monaten leer stehende Feuerwache an der FriedaSchanzStraße,
um sie instand zu besetzen; alle Böden sind mit Scherben übersät, ansonsten ist das Gebäude
aber in sehr gutem Zustand; Konzertund Versammlungsraum, Schlafraum, ein Lagerraum, ein Getränkeshop, Küche,
‚Muckeraum' und Generatorraum werden hergerichtet.
17.00 Aufräumarbeiten sind
fertig, Transparente werden an die Außenwände gehängt, die erste Presseerklärung wird verschickt.
17.30 Die Außenwände
werden beschriftet, das Schild mit der Aufschrift „antirassistisches Zentrum" wird draußen angebracht;
das merkt schließlich auch die Polizei; erst ein, dann fünf Streifenwagen und ein Wagen mit Polizeihunden
fahren vor das neueröffnete antirassistische Zentrum (az).
Die BesetzerInnen weigern sich, mit der Polizei zu verhandeln, für sie ist ausschließlich die Stadt
Ansprechpartnerin; nach Rücksprache der Polizei mit dem Oberbürgermeister (OB) wird den BesetzerInnen
eine Duldung zunächst bis Montag zugesichert.
20.00 Party und Konzert mit etwa
250 BesucherInnen im az; es wird friedlich und ausgelassen bis in den Morgen gefeiert; die Party war ein Riesenerfolg,
hat sie doch gezeigt, wie viele Menschen an einem az interessiert sind.
sonntag, 3. dezember
13.00 Instandbesetzung wird fortgesetzt.
15.30 Flugblätter (az bochum
eröffnet) werden auf dem Weihnachtsmarkt verteilt und Informationen werden durchgesagt; allerdings ist es
schwierig, die Konsumwilligen in ihrem Kaufrausch zu unterbrechen.
19.00 Veranstaltung der JungdemokratInnen/
Junge Linke zu Punk! Eine Schublade ohne Grund und Boden; diese Veranstaltung wurde kurzfristig vom Bahnhof Langendreer
ins az verlegt und von ca. 60 Menschen, hauptsächlich Punks, besucht.
montag, 4. dezember
10.00 Die BesetzerInnen versuchen,
mit dem OB Stüber über die Zukunft des az zu verhandeln, dieser ist laut Sekretärin nicht zu Gesprächen
mit den BesetzerInnen bereit; diese werden an den Jugendamtsleiter Dolf Mehring als den von der Stadt bestimmten
Verhandlungsführer verwiesen; das Gespräch mit Mehring ergibt, dass erstmal nicht geräumt wird,
ansonsten bleibt alles sehr vage, da er noch nicht weiß, wie weiter verfahren wird und mit dem OB Rücksprache
halten muss. Er sagt aber zu, sich bei den zuständigen Behörden wegen der Wasserund Stromversorgung zu
erkundigen. Für den nächsten Tag wird für 14.00 ein neuer Termin, diesmal im az, verabredet.
20.00 Konzert mit Ecowar und Zero
Intolerance (Stahlund Feuerperformance) mit mehr als 100 BesucherInnen; ein Streifenwagen fährt kurz wegen
angeblicher Ruhestörung vor's az; ansonsten kommt es zu keinen weiteren Zwischenfällen.
dienstag, 5. dezember
Das Büro für politische Einmischung im Bahnhof Langendreer solidarisiert
sich in einer Pressemitteilung mit den BesetzerInnen und unterstreicht die Dringlichkeit von Raumbedarf in Bochum.
14.00 Mehring, eine Streetworkerin,
ein Mensch von der Jugendförderung, zwei Männer vom Bauordnungsamt kommen ins az. Das Gespräch ergibt:
Es gibt definitiv keinen Strom, Wasser und Heizung; es gibt für ein az in der Feuerwache keine Perspektive,
da die Stadt einen Investor hat (den Investor will sie allerdings nicht nennen) und das Geld aus dem Verkauf der
alten Feuerwache wird laut Mehring für die neue Feuerwache gebraucht. Mehring droht in weniger als vier Wochen
Räumung an - die BesetzerInnen sollen freiwillig gehen, um sich nicht selber zu schaden - und fragt, warum
die BesetzerInnen nicht den Bahnhof Langendreer nutzen.
Nachmittags geht eine Presseerklärung der Stadt raus, in der steht, dass im az unhaltbare Zustände bestehen
und es deshalb bald geräumt wird.
20.00 Initiativentreffen; VertreterInnen
von mehr als dreißig Initiativen versammeln sich im az. Alle diese Gruppen brauchen Räume für ihre
politische, kulturelle oder soziale Arbeit und wollen die Räume in der ehemaligen Feuerwache nutzen und solidarisieren
sich mit den BesetzerInnen.
24.00 Plakate werden erstellt;
auf den Plakaten stehen die Forderungen der BesetzerInnen, die Forderungen der Initiativen, die sich im az getroffen
haben und die Initiativen selbst.
03.00 Plakate werden geklebt.
mittwoch, 6. dezember
09.00 Dolf Mehring ruft an und will
sich mit den BesetzerInnen treffen und das unbedingt vor 12.00, da um diese Uhrzeit ein Gespräch zwischen
OB Stüber und der Polizei stattfinden soll.
11.00 Mehring kommt ins az; das
‚Gespräch' zwischen ihm und den BesetzerInnen endet schnell; Mehring droht eine baldige Räumung an und
erklärt, dass mensch nicht darauf hoffen solle, noch mehrere Tage im az bleiben zu können. Ob er zu diesem
Zeitpunkt schon wusste, dass das Gebäude keine drei Stunden später von 150 PolizistInnen in Kampfmontur
geräumt sein würde?
13.00 Die Notrufalarmlisten werden
durchtelefoniert, damit schnell viele Leute ins az kommen; die BesetzerInnen erwarten eine baldige Räumung,
wahrscheinlich schon am nächsten Morgen.
14.00 Das az wird von einem Großaufgebot
der Bereitschaftspolizei umstellt; zwei Gefangenenbusse, ein Rüstwagen, eine mobile Pressestelle und ein Doku-Wagen
stehen bereit; VertreterInnen von der Stadt und der Einsatzleiter der Polizei fordern die BesetzerInnen auf, das
Gebäude innerhalb von einer viertel Stunde zu verlassen, ansonsten drohen Strafanzeigen und die gewaltsame
Räumung; die BesetzerInnen verlassen notgedrungen das Haus: traurig und wütend.
17.00 Mehr als 200 Menschen versammeln
sich am Bochumer Hauptbahnhof zu einer Spontandemonstration; die ‚Hausbesetzerszene' ist zwar wütend, bleibt
aber friedlich, von Seiten der Polizei kommt es zu gewalttätigen Übergriffen; mitten auf dem Weihnachtsmarkt
prügeln einzelne Beamte wild in die Demo und verletzen drei TeilnehmerInnen; ein Demonstrant wird kurzfristig
festgenommen, ihm droht eine Strafanzeige wegen Beleidigung und Widerstand.
donnerstag, 7. dezember
Die rotgrüne Koalition ist immerhin so beisammen, dass sie in einer Anfrage
feststellt, dass „[…] es sowohl für ein Antirassistisches Zentrum als auch für zahlreiche Organisationen
und Initiativen Raumbedarf gibt."
Das Linke Netzwerk Bochum fordert den Rücktritt von Wolfgang Cordes als Fraktionsvorsitzender
der Grünen: „Entweder die Bochumer Grünen haben in der Stadt nichts zu melden oder sie tragen diese Entscheidung
mit. In beiden Fällen hat Wolfgang Cordes seine Glaubwürdigkeit verloren, mit der er bisher gegen eine
polizeiliche Lösung von sozialen Problemen aufgetreten ist."
freitag, 8. dezember
Am Nachmittag finden sich erneut gut 200 TeilnehmerInnen zu einer Demo durch die
Bochumer Innenstadt zusammen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
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Klare Drohgebärde: einer der am Mittwoch gegen
15 Uhr vor dem az aufgefahrenen Gefangenenbusse der Bochumer Polizei
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