Montag 21.04.25, 18:07 Uhr
Ostermarsch Ruhr 2025: Ulrich Sander, Bundesausschuss der VVN-BdA in Wattenscheid

Dem Schwur von Buchenwald verpflichtet – Tag der Befreiung am 8. Mai


Unsere Ostermärsche sind Märsche für den Frieden und gegen Militarismus und Faschismus. Im ersten Ostermarschaufruf von vor 65 Jahren hieß es daher: »Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern – wie Bergen-Belsen – kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung.«

Es war der Schwur »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!«, der alle vernünftigen Menschen in Deutschland im Jahr 1945 einte.(1) In wenigen Tagen begehen wir den 80. Jahrestag des 8. Mai 1945. Dies Datum ist das Datum des Tags der Befreiung Deutschlands und Europas von Krieg und Faschismus. Es hat die widersprüchlichsten Begriffe für diesen Tag gegeben: Zusammenbruch, Niederlage, Kriegsende, Kapitulation, Besatzung. Zu befürchten ist, dass es demnächst heißt: Tag des Waffenstillstandes, den Putin zu brechen beabsichtigt. Ich meine: Es ist scharf zu verurteilen, dass das Land, das uns nie angriff, aber seit Kaisers und Führers Zeiten zweimal von Deutschland überfallen wurde, immer noch und immer dämonisiert wird. Das Volk der UdSSR hat 25 Millionen Menschen im Kampf für unser aller Befreiung geopfert. Ewig ist ihm zu danken.

Der Schwur der Häftlinge von Buchenwald vom April 1945 stellt die Aufgabe: Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln. Sie ist nicht erfüllt. Neben den ökonomischen und ideologischen Ursachen – den Wurzeln – des deutschen Faschismus gab es den über hundertjährigen preußisch-deutschen Militarismus und die Macht der Rüstungsindustrie als Voraussetzung für Naziregime und Vernichtungskrieg. Und dieser Militarismus feiert heute seinen Wiederaufstieg. Man nennt es Zeitenwende. Oder Verantwortung übernehmen. Oder einfach:Koalitionsvertrag. Gegen den gibt es viele Einwände. So weil er die Migration und das Asylrecht behindere. Das Klima vernachlässige. Das stimmt. Und weil er unsozial ist, den Armen nicht hilft und den Reichen dient. Sehr richtig. Aber eins sagen die Kritiker aus den Jusos leider nicht: All diese Schieflagen sind Resultat einer ungeheuren Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, man nennt es ganz offen: Kriegstüchtig sollen wir werden, so sagt es der angeblich so beliebte Kriegsminister Boris Pistorius. Und auch dies wird kaum kritisiert, aber wir kritisieren ihn: Den Abbau der Demokratie durch Duldung der AfD, durch neue Berufsverbote, durch Beschränkung der Meinungsfreiheit für Kritiker der israelischen Regierung und Vorgehen gegen die Bekundungen der Solidarität für Palästina. Schließlich sind auch Wehrpflichtpläne nicht vom Tisch, und besonders skandalös: Das Verbot der Kapitalismuskritik weil diese angeblich verfassungsfeindlich. (2)

Das alles wollen wir nicht.

Bereits kurz vor Kriegsende 1945 haben die Führer der UdSSR, USA und Großbritanniens, die Anti-Hitler-Koalition, die „Zerschmetterung des deutschen Militarismus“ (so US-Präsident Roosevelt) als vorrangiges Kriegsziel genannt. So stand es auch im Potsdamer Abkommen. (3) Im Bericht der Jalta-Konferenz der Alliierten vom Februar 1945 heißt es: „Es ist unser unbeugsamer Wille, … dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.“

Und auch unser Grundgesetz sagt ähnliches aus:

Die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen Rechtsvorschriften bleiben gültig. So heißt es im Artikel 139 GG von 1949, bekräftigt für Gesamtdeutschland im Jahre 1990. Damit werden die auf Frieden gerichtete Präambel des Grundgesetzes und der GG-Artikel 26 gegen jeden Krieg von deutschem Boden aus bekräftigt. Grundgesetz-Artikel 139 fußt auch auf dem alliierten Kontrollratsbeschluss vom 10. Oktober 1945 (4) zum Verbot der NSDAP und möglicher Ersatz- und Folgeorganisationen. Die Existenz der AfD verstößt daher eindeutig gegen das Grundgesetz.

Die seit 2014 sich entwickelnden militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine steigerten sich im Februar 2022 zum Angriffskrieg Russlands. Wenige Tage danach beschwor Bundeskanzler Olaf Scholz daraufhin die Zeitenwende. Ein gewaltiges Hochrüstungspaket wurde durchgesetzt. Was war das für eine Wende der Zeiten – eine vom Vorkrieg in den großen Krieg! Wer hat dem Kanzler dies eingeredet?

Es waren die Generäle der Bundeswehr, der heimlich Generalstab, der seit Jahren dies ganz offen bekundete – aber es wird heute darüber geschwiegen. Der Chef des SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein schrieb 1961 in „Bilanz der Bundesrepublik“ ausnahmsweise ganz offen: „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.“ Das scheint noch immer zu gelten, wenn es auch heute „Russen“ statt „Sowjets“ heißt. Über die Rolle dieser Bundeswehr plauderte 1964 ein anderer Eingeweihter (5) in der FAZ aus: „Nicht Landesverteidigung darf der Programmpunkt unserer Sicherheit heißen. Der einzige militärische Auftrag, den sie zu erfüllen vermag, (sei) Zünder zu sein für die große Explosion.“ So der damalige Generalinspekteur Ulrich de Maiziere, vormals bis 1945 mit Chefposten im Generalstab der Naziwehrmacht betraut. Und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 (6) berichtete, »über bisher Undenkbares« nachgedacht. Über die Frage nämlich, »ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen«. Was seinerzeit „undenkbar“ war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind beseitigt.

Nun bekommen wir einen Bundeskanzler, der Rücksichtnahmen auf die Lehren der Geschichte abschaffen will. Er sagte: „Wir brauchen in Zukunft die Zuwanderung von Menschen, die wir haben wollen. Aber das setzt voraus, dass wir sagen, wen wir nicht haben wollen. Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen.“ (7)

Und wir bekommen einen Vizekanzler, der ebenfalls alle Lehren der Geschichte über Bord wirft. Lars Klingbeil, der die einstige große Arbeiterpartei SPD anführt, verkündete kurz nach dem russischen Kriegsbeginn im Jahr 2022 laut „Spiegel“ (8) auf einer SPD-Konferenz: „Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung habe Deutschland heute eine neue Rolle“, die darin bestehe, eine militärische „Führungsmacht“ zu sein. Mit Russland sei kein Frieden möglich.

Jedoch wir bekräftigen: Die völkerrechtlich gültigen antimilitaristischen Aussagen von 1945/1949 (9) waren und bleiben auch die Grundlagen des Kampfes der Antifaschisten und Friedensbewegten. Die auf Demokratie und Frieden gerichteten Dokumente der Alliierten sowie der sich formierenden Parteien und Gewerkschaften hatten alle eine gleiche Zielrichtung (10) – ich fasse zusammen: # 1. Entmilitarisierung # 2. Entnazifizierung der Deutschen # 3. Entmonopolisierung und Demokratiesierung der deutschen Wirtschaft # 4. Demokratisierung der gesamten Gesellschaft # 5. Durchsetzung des Sozialstaatsprinzips # 6. Völkerverständigung.

Was wurde daraus? Schon bald begann die Remilitarisierung; zehn Jahre nach dem 8. Mai 1945 wurde die Bundeswehr geschaffen. Das Prinzip „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ gilt nicht mehr. Mit Milliardenbeträgen wird Deutschland „kriegstüchtig“ gemacht. (11) Die Entnazifizierung war eine Farce. Der Kalte Krieg beendete sie in Westdeutschland endgültig. Die Behörden, vor allem die Polizei und die Justiz waren bundesweit in den 50er Jahren fest in den Händen ehemaliger hoher Nazis, ebenso die Bundeswehr ab 1956. Es gehört zu den militaristischen Schändlichkeiten der BRD, dass im Jahr 1956 bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen wurde, auch den Jahrgang 1921 wieder einzuziehen, also die zwölfjährigen Jungen von 1933, die ab 1939 verheizt wurden. Scharfer Protest vereitelte die Einberufung. Zudem ist festzustellen: Das für alle Zeiten 1945 erlassene Verbot der NSDAP wird umgangen; die profaschistische AfD ist zweitstärkste Partei. Zudem: Wer reich ist, der herrscht politisch.

Denn das Großkapital herrschte bald nach Gründung der BRD wieder unumwunden – und vor allem die Demokratisierung der Wirtschaft unterblieb. Und damit ist und bleibt diese unsere Demokratie unvollständig, ja sie ist in Frage gestellt. Im Jahr 1963 stellte der DGB-Bundeskongress von Düsseldorf fest: „Die Entwicklung hat zu einer Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse geführt.“ (12)

Zur Verwirklichung des Auftrags des 8. Mai bleibt viel zu tun. Denn wir sind weiter davon entfernt denn je, von Krieg und Faschismus wirklich befreit zu sein. Die Befreiungsbewegung des 8. Mai muss vollendet werden. Es muss die „Entfeindung“ der Erbfeinde, so wie im Fall Frankreich auch im Fall Russland gelingen.(13)

Der 80. Jahrestag ist daher nicht nur Gedenktag, sondern Kampftag. Aber ein Feiertag im Sinne von Esther Bejarano sollte er in jedem Fall werden. Und nicht nur der Tag eines Waffenstillstands, der nach 80 Jahren wieder brüchig erscheint.

Ich wurde gebeten, eine Erklärung von Gewerkschaftern (14) zu verbreiten. Ich mach das gerne. Sie lautet:

„CDU/CSU, SPD und Grüne haben gemeinsam das Grundgesetz geändert, um künftig alle Militärausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus den Begrenzungen der Schuldenbremse auszunehmen. Sie wollen massiv aufrüsten, in der Höhe und zeitlich unbegrenzt mit Schulden finanziert. Es geht um viele Hunderte Milliarden Euro. Die EU ist ebenso vom Hochrüstungswahn erfasst und treibt ihn mit ihrem neuen Weißbuch „European Defence Readiness 2030“ aktiv voran. Sie will sich auf die angebliche ‚Möglichkeit eines großangelegten Krieges mit Russland vorbereiten‘, schreibt dpa.  Begründet wird das alles mit der Verschwörungstheorie, dass Russland nach der Ukraine dann die EU überfallen wolle, und dass die USA nichts dagegen tun würden, weil Trump ja geradezu auf Putins Seite übergelaufen sei. Zwar ist das eine schwachsinniger als das andere, aber das hindert angebliche ‚Experten‘, Politiker und Massenmedien nicht, der Bevölkerung diese Propaganda täglich einzuhämmern. Und allzu viele glauben es und plappern es nach.

Von den Gewerkschaften gibt es keinerlei Widerstand gegen diese Politik, die nicht nur die Gefahr eines alles zerstörenden Krieges enorm erhöht, sondern auch Ressourcen, Arbeitskraft und Geld verschwendet, die dringend für den Sozialstaats gebraucht würden. Stattdessen unterwerfen sie sich immer mehr der herrschenden Militarisierung und Kriegspolitik. Auch in den Gewerkschaften ist kritisches Denken offenbar nicht mehr sehr verbreitet.“ –

Soweit die Erklärung von Kollegen Schmitthenner. Helfen wir alle mit, kritisches antimilitaristisches Denken zu verbreiten – und zu handeln! Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus.

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Anmerkungen

(1) Der Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald lautet am 19.4.45: „Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum! Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht. Der Sieg muss unser sein! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.”

(2) In der Bundestagsdrucksache 19/351 antwortet die Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei „die linke“ über die „FDGO-Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus“. Die Regierung hält antifaschistische und antikapitalistische Aktivitäten für nicht extremistisch und nicht verfassungsfeindlich. Es sei jedoch dann von linksextremem Antifaschismus und Antikapitalismus und damit von Verfassungsfeindlichkeit auszugehen, wenn Verfassungsfeinde sich des Themas annehmen. Wie der VS zur Einstufung „verfassungsfeindlich“ gelangt, das sei nicht „veröffentlichungsfähig“. Es „überwiegt das öffentliche Geheimhaltungsinteresse“. Die Zeitung Junge Welt wurde mit dieser Feststellung zu einer Einrichtung erklärt, „der der Boden entzogen werden muss“. – Siehe auch Ossietzky, 8 / 2018

(3) Konferenzen der drei Alliierten von Jalta vom 4. bis 11. Februar 1945 und Potsdam, wo am 2. August 1945 das Potsdamer Abkommen beschlossen wurde.

(4)Kontrollratsbeschluss der Alliierten vom 10. Oktober 1945

(5) Am 24. Oktober 1964 in der FAZ

(6) Laut FAZ vom23. Jan. 2003)

(7) Friedrich Merz, laut Die Woche vom 31.3.2000

(8)Laut „Spiegel“ vom 21.6.2022

(9) Konferenz von Jalta/Krim der USA, UdSSR und Broßbritannien,

(10) Ulrich Schneider „Zukunftsentwurf Antifaschismus – 50 Jahre Wirken der VVN Pahl-Rugensteinverlag Bonn 1997, Seite 7 ff

(11) Friedensforscher Lühr Henken aus Berlin, berichtete lange vor der Zeitenwenderede des Kanzlers wie bei ihm Anfang November 2020 eine Grundsatzrede des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, Entsetzen auslöste. Der führte vor dem Förderkreis Deutsches Heer e.V. aus: Ein „absoluten planerischen Schwerpunkt“ sei die Zusage an die NATO, bis 2027 eine zu 100 Prozent ausgerüstete Division, aufgestellt zu haben. Dieser Großverband umfasst drei Kampfbrigaden mit zusammen ca. 15.000 bis 20.000 Soldaten und ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Aufstellung von drei sofort einsetzbaren Divisionen, also zehn Brigaden, bis 2029. Der Heeresinspekteur: Deutsches Heer muss „kriegsbereit und siegesfähig“ sein, weiter: „Unter Landes- und Bündnisverteidigung müssen die eingesetzten Truppen durchsetzungsfähig, kriegsbereit und siegesfähig sein..“ Und zusammenfassend: „Nochmal: Ziel des Heeres ist Kriegstüchtigkeit, einsatzbereite Kräfte allein genügen nicht: Wir müssen einstecken, wieder aufstehen, gegenhalten und letztendlich gewinnen können!“ Kriegsbereit und kriegstüchtig – hier waren die Begriffe schon gegeben, die dann vier Jahre später als eine Sprachschöpfungen des Boris Pistorius angesehen wurden.

(12) Fritz Krause / Robert Steigerwald „Das andere Geschichtsbuch“ , Verlag Marxistische Blätter 1986, Seite 413

(13) Siehe Heribert Prantl zum „Entfeinden“, denn „Die Feindschaft zu Russland darf nicht dauern“, Süddeutsche Zeitung, 27. März 2025

(14) Erklärung von Horst Schmitthenner und anderen vom 25. März 2025 „Gewerkschafter gegen Aufrüstung“

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