Montag 10.02.25, 14:02 Uhr
Kundgebung „Perspektiven gegen Antisemitismus“ am 6.2.25 in Bochum

Redebeitrag der Organisator:innen der Aktionswochen gegen Antisemitismus in Bochum


Antisemitische Straftaten nehmen drastisch zu. 2024 hat sich ihre Anzahl im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Mehr als 3200 antisemitisch motivierte Straftaten wurden 2024 von der Polizei registriert. Diese genannte Zahl spiegelt aber weder die Dunkelziffer noch Antisemitismus, den jüdische Menschen tagtäglich erleben, wider, obwohl ihr alltägliches Leben dadurch so sehr geprägt und gefährdet wird. Der Versuch, durch Erinnerungskultur Verständnis zu schaffen und antisemitischem Gedankengut vorzubeugen, scheint bei den vorliegenden Zahlen sowie Berichten jüdischer Menschen nicht das angestrebte Ziel in seiner Gänze zu erreichen.

In Schulen wird in fast jeder Jahrgangsstufe im Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus behandelt. Spricht man mit Schüler*innen überwiegt jedoch das Gefühl, dass das Thema eher eine Müdigkeit statt eine ernsthafte Reflexion hervorruft. Die Frage steht im Raum, warum man sich immer wieder mit diesem Thema beschäftigen würde. Wie kann diese Frage und der Zweifel an der Notwendigkeit der Auseinandersetzung und Aufarbeitung aber aufkommen, wenn Schüler*innen doch mit diesem unfassbar großen, unsagbaren Leid konfrontiert werden. Jede zehnte Person zwischen 18 und 29 Jahren wisse laut einer Umfrage nicht, was der Holocaust ist. Wie kann solch ein Unwissen zu Stande kommen? Wie kann es sein, dass Geschichtsunterricht so wenig Einfluss hat, auch auf ein moralisches sowie demokratisches Verständnis, oder gar in Geschichtsrevisionismus mündet? Geschichtsunterricht, politische Bildung für Jugendliche und Erwachsene, die Arbeit mit Zeitzeug*innen, das Pflegen einer Erinnerungskultur – so viele Menschen versuchen ihren Teil dazu beizutragen, dass, umso stärker und notwendiger in diesen schwierigen und die Demokratie gefährdenden Zeiten, „Nie wieder!“ Realität werden kann.

Auch wir, die Aktionswochen gegen Antisemitismus in Bochum, versuchen unseren Teil dazu beizutragen. Wir versuchen ehrenamtliche Kapazitäten dafür aufzubringen, einen Raum zu schaffen. Einen Raum, der sicher ist. Student*innen melden konkret zurück, dass sie sich einen solchen Raum wünschen und er ihnen an Universitäten fehlt. Die Suche nach Referent*innen ist stark durch den Versuch geprägt, möglichst viele Menschen erreichen zu können. Die Idee ist, auf einem nicht zu komplexen Niveau zu beginnen, um dadurch keine Teilnehmer*innen inhaltlich zu verlieren, aber auch die Möglichkeit zu schaffen, sich tiefer mit Thematiken beschäftigen zu können. Aber wer sind diese Teilnehmer*innen? Wen erreicht man? Menschen, die ohnehin ein Interesse an dem Thema haben und wahrscheinlich keine antisemitischen Gesinnungen haben. Doch was ist mit den Menschen, die man eigentlich erreichen müsste?

Was macht diesen Raum aus, den wir versuchen zu schaffen? Es soll ein Raum für Aufklärung sein, zum Austausch, für Fragen und auch dafür, die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema zu verdeutlichen.

Die Frage danach, wann ein Raum sicher ist, kam vermehrt nach dem 7. Oktober auf. Natürlich waren wir uns vorher bereits der Gefährdung jüdischer Menschen und Einrichtungen bewusst, aber unsere Nicht-Betroffenheit hat uns trotzdem die Möglichkeit gegeben, sich in einer gewissen Sicherheit zu wiegen. Dann kam das Jahr 2023 und wir erhielten kurz vor Beginn der Aktionswochen einen offenen Brief, der konkret gegen unsere Aktionswochen und Referent*innen gerichtet war. Kurz darauf geschah am 7. Oktober der Terrorangriff der Hamas, das größte Massaker an jüdischen Menschen seit der Shoah. In uns lösten diese Ereignisse ein unfassbar großes Entsetzen aus. Sehr schnell wurden Fragen nach einem Sicherheitskonzept von verschiedensten Seiten sehr laut. Wie schafft man nun diesen sicheren Raum, von dem man in vorherigen Jahren glaubte, er sei gegeben? Ein Zwiespalt entstand innerhalb der Frage, ob wir es verantworten können, die Aktionswochen wie geplant stattfinden zu lassen, weil wir die Verantwortung tragen, Verantwortung sowohl gegenüber Teilnehmer*innen als auch Referent*innen. Auf der anderen Seite stand das starke Bedürfnis, die Veranstaltungen jetzt erst recht stattfinden zu lassen, um nicht zu verstummen, sondern laut zu bleiben und lauter zu werden, den Raum für Aufklärung und Austausch zu erhalten und ihn sich nicht nehmen zu lassen. Aber was macht ein gutes Sicherheitskonzept aus? Wie kann man gewährleisten, dass sich alle Anwesenden sicher fühlen? Dazu kam ein schockierendes Unverständnis offizieller Stellen gegenüber der potentiellen Gefährdung jüdischer Menschen. Das Programm mit dem Schwerpunkt Antisemitismus stand fest. Natürlich gab es in diesen zwei Jahren Verbindungen zu der Thematik des Nahostkonfliktes und man versuchte durch Frage- und Diskussionsrunden zu einer thematischen Öffnung zu gelangen, aber auch Meinungen keinen Raum zu geben, die durch ihre menschenverachtenden Tendenzen nicht mehr als Meinung angesehen werden können.

Auch im Jahr 2024 wurde ein Sicherheitskonzept geplant, welches erneut nicht von allen Seiten als notwendig eingeschätzt wurde. Wie kann es sein, dass die Realität so wenig verstanden oder gar erst wahrgenommen wird? Was muss noch passieren, damit die Gefährdung jüdischen Lebens erkannt wird?

Was bleibt von ehrenamtlicher Arbeit und Selbstorganisation? Es ist zum einen das Gefühl, dass die Wochen gut verlaufen sind, ohne Zwischenfälle und mit dem Wissen, dass das Sicherheitskonzept nicht greifen musste. Es bleibt aber auch die Frage, ob man genug tut, wie man mehr tun kann und wie man mehr Menschen erreichen kann. Die Frage, warum manche Veranstaltungen, die man selbst als so wichtig erachtet, so wenig besucht werden. Und trotzdem bleibt das Gefühl, Verantwortung zu tragen und den eigenen kleinen Teil beitragen zu wollen und zu müssen. Laut zu sein und Stellung zu beziehen. Jetzt erst recht und umso mehr in der aktuellen Zeit, in der dieser Raum nicht nur als nicht automatisch sicher verstanden werden kann, sondern sein Bestehen durch politische Entwicklungen unsicher ist, und man auf Solidarität hofft. Solidarität der Menschen, denen demokratische Werte am Herzen liegen und für die „Nie wieder!“ und der Weg dorthin immer ein Ziel bleiben wird.