Wir wollen heute erinnern.
Wir wollen daran erinnern, was den Jesid*innen und Jesiden vor 10 Jahren in Shingal angetan wurde.
Wir wollen erinnern an die mindestens 5000 bis 10.000 Menschen, die von den Mördern des IS getötet wurden.
Wir wollen erinnern an die mehr als 7000 Frauen und Mädchen, die vom IS entführt, gefoltert, vergewaltigt, versklavt und verkauft wurden.
Wir wollen erinnern, dass noch heute Hunderttausende Jesid*innen in Flüchtlingslagern leben müssen, da eine Rückkehr in ihre Häuser unmöglich gemacht wurde, da die IS Schergen alles zerstört haben..
Und wir wollen heute daran erinnern und mahnen, dass die Gefahr für Jesid*innen nicht gebannt ist. Denn dieser Konflikt ist nicht zu Ende..
Wir als MFH Bochum haben mit unserem Menschenrechtsschwerpunkt Gerechtigkeit heilt einen Ansatz entwickelt, Überlebende zu unterstützen in ihrem Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigungen und politische Maßnahmen, die ein „Nie Wieder!“ ermöglichen. Der Kampf gegen Straflosigkeit dient nicht nur der Aufarbeitung begangener Verbrechen und der strafrechtlichen Ahndung der Täter, sondern er ist ein wichtiges Instrument der Prävention. Wir müssen als Weltgemeinschaft endlich Lösungen finden, dass Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschheit sowie Kriegsverbrechen endlich aufhören!
Warum ist das Erinnern an den Völkermord so wichtig?
Der Holocaust Überlebende und Autor Primo Levi sagte: „Schweigen ist ein Fehler, fast ein Verbrechen“
Auch der spanische Philosoph George Santayana macht deutlich: „Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben“
Kein Vergeben kein Vergessen ist einer jener Grundsätze, mit denen weltweit Überlebende um ihr Recht auf Anerkennung des Erlittenen kämpfen, um die Erinnerung an diejenigen hochzuhalten, die in Folterkellern ihr Leben ließen, in ihren Häusern oder auf offener Straße ermordet wurden und an jene, die die schlimmsten Menschenrechtsverbrechen überlebt haben. Überlebende und Angehörige von Opfern fordern ein Ende der systematischen Straflosigkeit für die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschheit. Sie beugten sich nicht dem Druck nach innergesellschaftlicher Versöhnung, noch dem Primat internationaler Friedensvermittler*innen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Sie forderten ihr Recht auf gesellschaftliche Anerkennung und eine aktive Vergangenheitspolitik, die die Aspekte Wahrheitsfindung, Gedenken an die Opfer der Gewalt und eine Strafverfolgung der Täter gleichermaßen umfassten. Und das zumeist in einem gesellschaftlichen Kontext der Ignoranz und Negation dessen, was den Opfern und Überlebenden widerfahren ist. So sind Überlebende oftmals konfrontiert mit gesellschaftlichem Schweigen. „Wir müssen in die Zukunft schauen“, heißt es dann oft oder „wir müssen einen Schlussstrich ziehen“. Doch in diesem Klima wachsen die psychosozialen Konsequenzen der Straflosigkeit. Sie verfestigen die gesellschaftliche Ausgrenzung der Überlebenden und den latenten bis offenen Fortbestand der Bedrohung angesichts des andauernden gesellschaftlichen Einflusses der ehemaligen Täter.
Für Überlebende stellt sich diese Kultur der Straflosigkeit als Barriere für die Aufarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen dar. Im Vordergrund steht dabei die fehlende gesellschaftliche Anerkennung für das Erlittene, die jedoch eine wichtige Voraussetzung für die biografische Einordnung des Erlebten und die Aufarbeitung des Erlittenen darstellt.
Erinnerung ist demnach für das Überleben elementar, auf individueller psychologischer Ebene, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung des Unrechts.
„Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären“ (Überlebender des KZ Auschwitz)
Und darum ist das Erinnern so wichtig:
- um das Narrativ der Täter zu beenden
- um die Wahrheit über begangene Verbrechen zu wahren
- um die Straflosigkeit zu bekämpfen
- als Menschenrecht von Überlebenden und Angehörigen von Opfern
- als Prävention, um Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit zukünftig zu verhindern
Überlebende weltweit haben diesen Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit seit jeher selbst geführt, Menschenrechtsorganisationen oder -anwält*innen haben sie dabei tatkräftig unterstützt, doch es waren immer die Überlebenden und Angehörigen von Opfern selbst, die den Mut und die Kraft aufbrachten, die Aufarbeitung der Verbrechen einzufordern und die Erinnerung an ihre geliebten Menschen aufrechtzuerhalten.
Ich möchte zwei Frauen zitieren, die die Gewalt des IS erlebt haben und Überlebende des Völkermords sind:
Renas:
„Seit meiner Befreiung aus der Gefangenschaft von Da’esh widme ich mich der Erforschung der jesidischen Bräuche und Traditionen. Nachdem Da’esh versucht hat, unsere Religion zu zerstören, möchte ich der Welt erzählen, was ich und mein Volk durchgemacht haben. Wir brauchen jetzt Ihre Unterstützung, um unsere Rechte zurückzuerlangen.”
Aamira:
Ich habe viel Leid erfahren. Ich bin entschlossen, stark zu sein, damit ich mich für meine Gemeinschaft einsetzen kann. Nach meiner Befreiung wusste ich, dass mich niemand brechen kann. Seit meiner Rückkehr habe ich an vielen Kursen teilgenommen, um mich zu verbessern. Da’esh hat versucht, unsere Kultur gegen uns zu verwenden. Sie haben unsere Religion als Grund für den Völkermord benutzt. Wir werden stärker sein, wenn auch andere Überlebende befreit werden.“
Solange es keinen Schutz, keine Anerkennung des Erlittenen, keine Gerechtigkeit für die Überlebenden des Genozids gibt müssen wir erinnern und dabei an der Seite der Überlebenden stehen. Wir müssen erinnern
An die grausamen Verbrechen gegen die Ezid*innen und wer für diese verantwortlich ist
An die Ermordeten und ihre Angehörigen
An die Überlebenden die weiterhin Schutz benötigen, da die Verbrechen andauern
An die fast 3000 Frauen und Mädchen die noch immer in IS Gefangenschaft sind
An die Hunderttausende Flüchtlinge, die nach 10 Jahre noch immer in Zeltlagern leben müssen, da eine Rückkehr zu gefährlich und unmöglich ist
Wir als MFH können nicht fassen, dass die Bundesregierung bereits erste Abschiebungen von Jesid*innen in den Irak möglich gemacht hat und wir protestieren dagegen lautstark! Wie kann sie einerseits den Völkermord anerkennen, dann aber die Überlebenden in das Land zurückschicken wollen, welches diesen Völkermord ermöglicht hat und wo die Täter des IS noch immer aktiv sind. Alle tun so, als ob das Verbrechen beendet ist, doch dies ist noch lange nicht der Fall. Solange Jesid*innen in Flüchtlingslagern leben müssen, solange Tausende Frauen und Mädchen noch immer in Gefangenschaft des IS sind, solange die Verfolgung der Jesid*innen nicht aufhört, müssen wir an ihrer Seite an den Völkermord, die Toten, die Gefangenen, die Überlebenden erinnern.
Unsere lautstarke Erinnerung soll eine Mahnung sein, die Verbrechen nicht zu ignorieren, zu leugnen, zu vergessen, sondern sie umfassend anzuerkennen, aufzuarbeiten und parteiisch an der Seite der Überlebenden zu stehen um ihre Rechte einzufordern.
Wir werden nicht vergessen!
Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer!
Nie wieder! Jetzt und überall!