Samstag 09.09.23, 19:37 Uhr
Mahnwache gegen GEAS und Festung Europa

Redebeitrag von Amnesty International Bochum


Am 8. Juni 2023 haben sich die EU-Innenministerinnen und Innenminister auf eine gemeinsame Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Wenn die Verhandlungen des Rates mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission gelingen, soll die Asylreform noch vor der Europawahl 2024 abgeschlossen sein. Es besteht allseits Einigkeit, dass das europäische Asylsystem reformbedürftig ist – aber was sieht diese Reform nun vor?

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, das Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden und bessere Standards in Asylverfahren zu etablieren. Herausgekommen ist hingegen ein Beschluss, der grundlegende Menschenrechtsstandards grob missachtet und die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten sowie rechtsstaatliche Grundsätze infrage stellt.

  • Schutzsuchende sollen in grenznahen haftähnlichen Lagern eingesperrt werden. Geflüchtete – auch Kinder – dürfen bis zu drei Monaten ihrer Freiheit beraubt werden. Die Beschränkung auf drei Monate wird vermutlich genauso gut funktionieren wie der lediglich „kurze Aufenthalt in Notunterkünften“ für Geflüchtete in Bochum – nämlich gar nicht.
  • Gute Asylberatung oder rechtlichen Beistand zu erhalten, ist schon im normalen Asylverfahren schwierig – im Grenzverfahren ist es praktisch ausgeschlossen. Faire Verfahren sind unter diesen Umständen unwahrscheinlich. Zu erwarten ist hingegen, dass völkerrechtswidrige Pushbacks weiter zunehmen: das sind Abschiebungen ohne Prüfung des Asylantrags, was gemäß EU-Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention verboten ist. Wie praktisch, dass davon niemand etwas mitbekommen wird, wenn die Verfahren abseits der Zivilgesellschaft direkt an der Grenze stattfinden.
  • Die Klassifizierung eines Landes als „Sicherer Drittstaat“ hat im Kern das Ziel, Asylanträge ohne individuelle Prüfung des Asylgrundes pauschal ablehnen zu können. Nun sollen die Kriterien zur Einstufung als „sicherer Drittstaat“ nochmals massiv abgesenkt werden. Nicht mehr relevant soll nun zum Beispiel sein, ob Standards des Menschenrechtsschutzes der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt werden.
  • Ein Solidaritätsmechanismus, der den Namen nicht verdient hat: wer keine Geflüchteten Menschen aufnehmen will, soll seine „Solidarität“ durch finanzielle Unterstützung des brutalen Abschottungsregimes zeigen können. Neben Stacheldraht und Mauern setzt die EU dabei auf Kooperationen mit Autokraten wie Erdogan, Putschisten wie al-Sisi oder War-Lords wie in Libyen. Zur Abwehr von Geflüchteten scheint jedes Mittel recht zu sein.

Die geplante Reform liegt also ganz auf Linie derer, die auf die Abschaffung des Flüchtlingsschutzes hinarbeiten. Wir sagen ganz klar: menschenfeindliche Rhetorik bekämpft man nicht, in dem man klein beigibt und einer immer menschenfeindlicheren Asylpolitik den Weg bereitet!

Statt einer Reform, die das gescheiterte europäische Asylsystem fortschreibt und verschärft, brauchen wir ein wirklich solidarisches System, in dem die Menschenrechte an erster Stelle stehen. Statt alle Mittel auf die Verhinderung von Migration und den Ausbau der Festung Europa zu konzentrieren, braucht es sichere und legale Fluchtwege nach Europa. Die zahllosen Toten auf den Fluchtwegen im Mittelmeer und in der Wüste sind keine unvermeidbare Tragödie, sondern direkte Folge der verfehlten europäischen Asylpolitik, die mit dieser Reform fortgeführt wird.

Wir sind fassungslos, wie die Bundesregierung die Einigung als „politischen Durchbruch“ feiern kann. Diese Beschlüsse sind kein Durchbruch, sondern ein menschenrechtlicher Tabubruch, eine Missachtung des verfassungsmäßigen Auftrags und ein gebrochenes Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages. Es ist eine Einigung auf Kosten der Menschenrechte und zulasten der Menschen, die weltweit am dringendsten Schutz benötigen.