Mittwoch 10.11.21, 10:35 Uhr
Redebeitrag der Antifa Witten auf der Demonstration am 6. November 2021 anlässlich des 10. Jahrestags der Selbstentarnung des NSU

Mit dem Label NSU 2.0 wird heute Angst erzeugt


Guten Tag alle zusammen, es freut mich sehr, dass so viele Menschen erschienen sind!

In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober wurde in Witten Annen ein 9 Meter langer und 2 Meter hoher Schriftzug “Türken raus“ ein Hakenkreuz, SS- Runen und ein NSU 2.0 geschrieben. Zwar wurde dies direkt am Folgetag von der Hausverwaltung überstrichen, jedoch wurde darauf in der Nacht wieder ein Hakenkreuz an eben diese Wand gemalt, was wiederum erneut überstrichen wurde. In diesem Häuserkomplex wohnen viele Menschen mit Migrationshintergrund, aus Polen, Kasachstan, Russland, Syrien und der Türkei. Das Graffiti wurde direkt unter das Fenster einer Familie gemalt, die aus der Türkei kommt. Andere türkische Nachbarn, die untereinander gut miteinander vernetzt sind, sagen, dass die Familie große Angst hat.

Es ist kein Zufall, dass neben Hakenkreuz und SS Runen, NSU 2.0 steht. Der NSU war die konsequente Fortführung des faschistischen Terrors. Mit purer Skrupellosigkeit wurden diejenigen ermordet, die nicht einer herbeiphantasierten weißen und deutschen Rasse entsprachen.

Doch wer sind “diejenigen“ An der Hauswand stand nicht “Ausländer raus!, sondern “Türken raus“. Es geht nicht in diesem Fall nicht um Menschen, die aus Polen, Russland oder Kasachstan nach Deutschland gekommen sind. Es geht gezielt um Türken, wahlweise auch Araber oder Muslime. Seit je her wird von Medien und Politiker*innen vor dem Fremden, dem Gefährlichen gewarnt, vor dem Islam, der Überfremdung, der Minderwertigkeit, der Kriminalität, falschen Gewohnheiten und schlechten Gerüchen. Es werden gezielt Vorurteile geschürt, gegen Menschen die einfach nur hier Arbeiten, Leben und Lieben wollen.

In dieser Stimmung hat der NSU sich ein Denkmal gesetzt.

Ein Denkmal in der Naziszene und ein Denkmal in den migrantischen Communitys. Der NSU hat am helligsten Tag in migrantisch geprägten Stadtteilen, teilweise in der Nähe von Polizeiwachen, gemordet. Die Message ist klar: “Ihr seid hier nirgendswo sicher. Wenn wir wollen, kriegen wir euch.

Das wird in der Naziszene gefeiert, gar vergöttert. Sie haben Lieder darüber verfasst, Schlachtrufe erfunden, T-Shirts bedruckt. Man kann sich ausmalen, wie viele Liebesbriefe Beate Zschäpe bekommen hat…

Und gleichzeitig sitzt die Angst tief, bei den Menschen, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft immer noch als Fremd wahrgenommen werden. Der Gedanke ist, es kann wieder passieren, immer und überall, auf der Arbeit, in der Shishabar, auf der Straße, beim Einkaufen, in der Schule, beim Gebet. Es kann mich treffen.

Der Staat und seine Organe haben es nicht geschafft, abgesehen von Zschäpe, die Täter angemessen zu bestrafen, die Netzwerke hinter dem Trio zu enttarnen und zu zerschlagen. Er hat weder die Verstrickungen des Verfassungsschutzes aufgearbeitet, noch nachhaltige Reformen umgesetzt. Als neuer Verfassungsschutzchef wurde damals Hans Georg Maaßen eingesetzt.

Das Umfeld um Andre Emminger ist auf freiem Fuß und macht genau so weiter wie vorher. Vor kurzem sind sie zur polnischen Grenze gefahren, um Flüchtlinge daran zu hindern, nach Deutschland zu kommen. Gleichzeitig stolzieren beim Trauermarsch von Siegfried Borchert bekannte Naziterroristen und Freunde des NSU durch Dortmund und haben nichts zu befürchten.

Der NSU hat einen Mythos geschaffen. Jedes daher gelaufene Nazischwein kann jetzt unter dem Label NSU2.0 Angst unter Migrant*innen erzeugen und alte Traumata hervorrufen. Ob als Drohbrief, in social Media Chats oder eben an Hauswänden. Die Message ist, 10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, die Gleiche. “Wenn wir wollen, kriegen wir euch.

Was können wir tun? Was können wir dagegen tun?

Wenn Nazis Angst säen, sind wir die, die Hoffnung bringen. Sobald wir mitbekommen, dass irgendwo Rassismus geschieht, Übergriffe passieren, müssen wir da sein. Wir als Antifas müssen da sein, wenn Menschen Angst haben. Wer Angst hat, fühlt sich einsam. Wir müssen dafür sorgen, dass sich niemand alleine fühlt. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen, raus aus unseren Bubbles, rein in die Orte, wo Rassismus zum Alltag gehört.

Wir müssen der Rücken für diejenigen sein, die in Deutschland Angst haben!

Daher freut es mich ausgesprochen, dass wir heute so viele sind.

Unsere Solidarität muss stärker sein als ihr Hass! Unsere Solidarität muss praktisch sein. Unsere Solidarität ist unsere Waffe.

Dankeschön.