Montag 18.11.19, 08:47 Uhr

Ein Stück beachtlicher Erinnerungskultur


In der Dämmerung des Volkstrauertages: Zwei Stelen erinnern auf dem Blumenfriedhof an das Schicksal von 307 Zwangsarbeiter*innen

Selten sind wahrscheinlich Schüler*innen in einem so kurzen Zeitraum so intensiv von so wichtigen Autoritäten gelobt worden, wie die Teilnehmenden des Geschichtskurs von Hildegardis- und Goethe-Schule, der wesentlich die offizielle Gedenkfeier der Stadt Bochum und des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) am gestrigen Volkstrauertag gestaltet hat. In drei Jahren haben die jährlich wechselnden Projektgruppen es geschafft, aus einem völlig verwahrlosten Gräberfeld von Zwangsarbeiter*innen auf dem Blumenfriedhof ein Stück beachtlicher Erinnerungskultur zu schaffen. Zwei große Stelen erinnern jetzt an die 307 Zwangsarbeiter*innen, die im Faschismus – zum großen Teil in sehr jungen Jahren – in Bochumer Betrieben ihr Leben lassen mussten.

Mit der Arbeit an dem Projekt haben sie augenscheinlich auch viel gelernt und an ihre Mitschüler*innen weitergegeben. Vom Kopfschütteln von anwesenden CDU-Repräsentant*innen begleitet, erklärten sie, dass sie beschlossen haben, dass das „Lied vom guten Kameraden“ und die Nationalhymne nicht auf der Gedenkfeier gespielt werden sollen. Stattdessen präsentierten die Schüler*innen einen anspruchsvollen musikalischen Rahmen.
Alle waren stolz auf das, was die Schüler*innen zustande gebracht haben. Zyniker*innen sprechen in solchen Zusammenhängen immer davon, dass Deutschland nicht nur bewiesen hat, dass es in der Lage ist, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu begehen. Deutschland ist auch Weltmeister im Bewältigen dieser Verbrechen. Den Schüler*innen ist dieser Vorwurf sicherlich nicht zu machen. Sie haben großartig aufklärerisch gearbeitet und ein Zeichen gesetzt, das seit Jahrzehnten überfällig war.
Peinlich waren fast alle anderen Auftritte. Bernd Faulenbach, als Vorsitzender des Bochumer VDK sagte fast nur richtige Dinge, strapazierte aber die Zuhörer*innen mit einer unangemessen langen Rede. Bemerkenswert waren seine Worte, dass die deutschen Kriegsgräberfriedhöfe viel trauriger als die von anderen Länder seien. Für das Sterben der deutschen Soldaten gebe es halt überhaupt keinen rechtfertigenden Sinn. In der Tat waren deutsche Soldaten in erster Linie Täter.
Es fehlte dann aber zumindest die Frage, was haben vor diesem Hintergrund Bundeswehrangehörige in Uniform auf so einer Gedenkveranstaltung zu suchen.
Faulenbach vermied es auch, die Nutznießer der Zwangsarbeit beim Namen zu nennen. Krupp hätte sich da angeboten.
Vor Faulenbach sprach Dr. Sabine Maaßen, Arbeitsdirektorin von Thyssenkrupp Steel. Die Ausbildungswerkstatt ihrer Firma hat die Stelen kostenlos gefertigt und Maaßen damit zur Rednerin gemacht. Sie erwähnte mit keinem Wort die Verantwortung ihres Unternehmens für die brutale Ausbeutung und Tötung von Zwangsarbeiter*innen. Auch sie sagte fast nur richtige Dinge.
Dass ausgerechnet die Kirchenvertreter*innen auf dem Blumenfriedhof etwas Selbstkritisches zur Rolle ihrer Organisationen während des Faschismus und ihrem Schweigen zu Zwangsarbeit, Konzentrationslagern und Holocaust sagen würden, hatte sicherlich niemand erwartet. Keine andere Großorganisation hat den Faschismus schließlich so gestärkt überstanden und die eigene Rolle perfekter verklärt.
Auch der Oberbürgermeister ließ z. B. unerwähnt, dass die SchülerInnen etwas gemacht haben, wozu der Gesetzgeber das Land eigentlich verpflichtet. Das „Gräbergesetz“ verpflichtet das Land zur „Instandsetzung und Pflege“ der Gräber von Zwangsarbeiter*innen.
Ohne Zweifel war die diesjährige Veranstaltung ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem dumpfen Heldengedenken am Volkstrauertag, das vor wenigen Jahren in Bochum noch Standard war. Erfreulich war auch, dass in den Reden inzwischen eingeräumt und gewarnt wird, dass Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus eine aktuelle Bedrohung sind.
Es gab allerdings kein kritisches Wort zu den überdeutlichen militaristischen Entwicklungen in der deutschen Politik. Ein Gedenktag an die Opfer von Krieg und Gewalt, an dem – nicht nur in Bochum – das Thema Aufrüstung der Bundeswehr, Ausweitung des Militärhaushaltes und die Forderung nach noch mehr deutschen Militäreinsätzen in aller Welt nicht zumindest problematisiert wird, gehört abgeschafft.


Das „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz)“ besagt:

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz dient dazu, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben.

(2) Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft sind im Inland liegende

9. Gräber von Personen, die in der Zeit vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 zur Leistung von Arbeiten in das Gebiet des Deutschen Reichs verschleppt oder in diesem Gebiet gegen ihren Willen festgehalten worden waren und während dieser Zeit gestorben sind,

§ 5 Feststellung und Erhaltung von Gräbern

(3) Die Länder haben die in ihrem Gebiet liegenden Gräber nach § 1 zu erhalten. Maßnahmen zur Erhaltung sind Anlegung, Instandsetzung und Pflege.