Otobong Nkanga (Foto) erhält in diesem Jahr den Peter-Weiss-Preis der Stadt Bochum. Die Jury begründet ihre Entscheidung wie folgt: »Seit 1990 wird der städtische Kulturpreis, benannt nach dem Autor, Dramatiker, Maler und Filmemacher Peter Weiss, alle zwei Jahre an eine Persönlichkeit aus einer der Sparten Literatur, Theater, bildende Kunst und Film vergeben. „Das erstmals 1965 veröffentlichte, autobiographisch geprägte Werk ,Fluchtpunkt“, beendet der Autor, Filmemacher, Maler und Zeichner Peter Weiss (1916-1982) mit der Einsicht, dass ,es schwer war, an Worte und an Bilder heranzukommen“, die sich entgegen seiner Annahme nicht entzogen, weil er allzeit der Fremde war, weil er nie dazugehörte, sondern, ,weil manche Worte und Bilder so tief lagen, daß sie erst lange gesucht … werden mussten, ehe sie das Material hergaben, das sich mitteilen ließ“ (Peter Weiss, Fluchtpunkt, Frankfurt am Main, 1965, S. 197).
Die diesjährige Preisträgerin des Peter-Weiss-Preises hat sich in einem Interview 2010 ganz ähnlich geäußert: ,Es ist ein sehr langsamer Prozess gewesen und ich bin immer noch mit dem Versuch befasst, verschiedene Wege des Arbeitens zu finden; verschiedene Wege um mit der Komplexität des Persönlichen in Bezug auf das alltägliche Lokale/Globale und die universalen Fragen unserer Gesellschaft und unserer Umwelt umzugehen“ (CCA, Lagos / Newsletter Ausgabe Nr. 10 / September – Dezember 2010, S. 4).
Mit gutem Recht darf man in der Suche von Otobong Nkanga, geboren 1974 in Kano, Nigeria, eine Fortführung der ästhetischen Recherche sehen, die das Werk von Peter Weiss auszeichnet: der unbedingte Wille zum Verständnis von Welt durch eine ästhetische Aneignung derselben. Eine Aneignung die politische Implikationen nicht erzeugt, sondern deren Voraussetzungen nachzeichnet. Otobong Nkanga, Fotografin, Performerin, Plastikerin, Autorin, überwindet eine theoretische Ferne und Abstraktion und begreift ihre künstlerisch-anthropologischen Studien als den ganzen Menschen umfassende, konkrete Untersuchungen. Der Mensch sieht, fühlt, schmeckt, tastet und denkt. Die Zusammenhänge zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft sind ebenso vielfältig wie die Prägung des Einzelnen durch die Umwelt.
Ein Rohstoff wie das Mineral Glimmer, das in Nkangas Arbeit eine wichtige Rolle spielt, wird weltweit in der kosmetischen Industrie ebenso eingesetzt wie als elektrischer Isolator, als Schmiermittel, Oberflächenbeschichtung oder in der Farbindustrie. Dort, wo der Glimmer abgebaut wird – wie zum Beispiel in Nigeria – führt er aber nicht zu Wohlstand, sondern zu Armut, denn die Fährte des Verbrauchs führt aus dem Land und dem Kontinent hinaus. Wer dem Rohstoff folgt, wird in die Fremde geführt. Auf der Suche nach einer ,Ästhetik des Widerstands sind wir im 21. Jahrhundert in Afrika angekommen, wo die Fäden, die Peter Weiss ausgeworfen hat, von Otobong Nkanga in der Gegenwart aufgenommen und zwischen Europa und Afrika weiter gesponnen werden.«
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Otobong Nkanga – Wikipedia
Presseinformation „Bochum zeichnet Otobong Nkanga mit Peter-Weiss-Preis aus“
Freitag 23.08.19, 16:39 Uhr