Pressemitteilung; Bochum, den 22. August 2001
AStA der RUB unterstützt Forderung nach Tarifverträgen für StudentInnen

Es ist die traurige Realität für viele StudentInnen: sie müssen schlecht
bezahlten Jobs ohne soziale Sicherung und ohne ArbeitnehmerInnenrechten nachgehen. „Aber was man in der freien Wirtschaft erwarten würde, ist auch im öffentlichen Dienst Realität" ärgert sich Johannes Bock, Referent für Hochschulpolitik im AStA der Ruhr-Universität Bochum. „Wenn StudentInnen an den Unis als sogenannte „Studentische Hilfskräfte" arbeiten, bekommen sie oft einen Hungerlohn, kein Urlaubsgeld und können von den ProfessorInnen nach freiem Wunsch eingesetzt werden."

Daher fordern zur Zeit Studierendenvertretungen bundesweit eine
Absicherung von studentischen Arbeitsverhaeltnissen an den Hochschulen.
Dieser Forderung hat sich der AStA der RUB heute mit einem offenen Brief
an den Innenminister des Landes NRW angeschlossen. „Es ist das Sparen an der Bildung, das hier auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die
noch das letzte bißchen Geld brauchen, und in der Hochschulhierarchie
ganz unten stehen", heißt es in dem offenen Brief. Durch Tarifverträge
und eine feste Bezahlung könnten die Mißstände beseitigt werden.

Dabei ist die Politik unter rot-grün paradox: Auf der einen Seite sollen prekäre Arbeitsverhältnisse gesetzlich begrenzt werden, so durch das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit, auf den anderen Seite werden solchegerade an Hochschulen geschaffen. Die chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungsbereichs wird einmal mehr Kosten der Schwächsten ausgetragen. Studierende bekommen als „Wissenschaftliche Hilfskräfte" nur kurzfristige Arbeitsverträge und werden teilweise mit einem Taschengeld von 10,-DM pro Stunde abgespeist. Dies ist nicht nur deshalb skandalös, weil fast 2/3 der Studierenden auf Jobs wie diese zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Sondern auch weil auf diese Weise Lohndumping betrieben wird und reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Darum fordern der Freie Zusammenschluss der Studierendenschaften (fzs) und ASten-Konferenzen der Länder die InnenministerInnen auf, auch studentische Beschäftigungsverhältnisse in einen Tarifvertrag im Wissenschaftsbereich aufzunehmen. Nur so können eine bundeseinheitliche angemessene Bezahlung und rechtliche Standards, wie sie im BAT geregelt sind, garantiert werden.

Für weitere Rückfragen steht Ihnen Johannes Bock vom AStA-Referat für Hochschulpolitik zur Verfügung (Telefon: 0234-3227413).

Im Anschluss dokumentieren wir den offenen Brief an den Innenminister des Landes NRW Dr. Fritz Behrens.



Offener Brief
Forderung nach Tarifverträgen für studentische Hilfskräfte

Sehr geehrter Herr Dr. Behrens,

für viele Studierende ist es traurige Realität: sie müssen einem schlecht bezahlten Nebenjob ohne Tarifvertrag, soziale Absicherungen, Personalvertretung und Urlaubsgeld nachgehen. Wer bei dieser
Beschreibung (nur) an eine bekannte FastFood-Kette denkt liegt falsch.
Auf solche prekären Arbeitsverhältnisse treffen Studierende an (fast) allen Hochschulen in Deutschland, wenn sie als Studentische Hilfskraft arbeiten.

Skandalös aber wahr: in einer öffentlichen Einrichtung können die ArbeitgeberInnen selbst nach Wunsch verfügen, unter welchen Bedingungen sie ihre studentischen Hilfskräfte arbeiten lassen. StudentInnen werden als billiger Ersatz für Lehr- und anderes Personal verwendet. Aber ohne
die Hilfskräfte (sogenannte „Hiwis") würden Forschung und Lehre in der Bundesrepublik brachliegen. Hiwis werden für fast alles eingesetzt, was sonst „normale" Beschäftigte tun. Für beide gelten die gleichen arbeitsrechtlichen Pflichten; bezüglich ihrer Rechte sind sie einander jedoch nicht gleichgestellt. Von EDV-Betreuung über Sekretariatstätigkeiten bis hin zur Praktikumsbetreuung und der Durchführung von Tutorien: Es werden Student-Innen als Hilfskräfte eingestellt – und es stellen sich dafür auch immer genügend StudentInnen zur Verfügung. Sie finden sich dazu bereit, obwohl sie von den beiweitem niedrigsten Gehältern leben müssen, die in Hochschuleinrichtungen gezahlt werden. Es wird für knapp 16 DM gejobbt, an Fachhochschulen für 11 DM, weniger als 11 DM sind keine Seltenheit. Zuschläge für Feiertags- und Nachtarbeit sind hingegen tatsächlich eine Seltenheit. Es gibt also höchst unterschiedliche studentische Beschäftigungsverhältnisse. Der Grund: Für Hiwis gibt es keine festen Stellen. Meistens werden den Lehrstühlen und Einrichtungen Hiwi-Gelder pauschal zugewiesen. Dann liegt es im Ermessen der jeweiligen ProfessorInnen, die Gelder zu verteilen. Wie lange mensch beschäftigt wird, mit welchem Stundenumfang, ob bei freier Zeiteinteilung, regelmäßig oder auf Abruf: Für all das gibt es keine Normen, geschweige denn haben die Beschäftigten ein Wörtchen mitzureden. Die Vorgesetzten sagen, wo’s langgeht, basta.

Die Opferbereitschaft der Hiwis kann kaum verwundern, denn die soziale Lage der StudentInnen hat sich seit Einführung des BAföGs fast kontinuierlich verschlechtert. So arbeiten heute fast zwei Drittel der Studierenden neben dem Studium. studiennahe Jobs gelten als zusätzliche Qualifikation für das Berufsleben, das nach dem Studium angestrebt wird.
Kein Wunder also, daß die sogenannten Hiwi-Tätigkeiten besonders begehrt sind – obwohl die Hilfskräfte-Löhne von den einzelnen Bundesländern willkürlich festgelegt werden, und der Reallohn der Hilfskräfte ständig sinkt; obwohl Fortbildungen und Vorbereitungszeiten für TutorInnen fast
nirgendwo bezahlt werden; und obwohl gesetzliche Mindeststandards wie das Urlaubsgeld und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oft nicht verwirklicht werden. Letztere können auch deshalb kaum durchgesetzt werden, da es keine anerkannten Interessenvertretungen der Hilfskräfte gibt.

Für studentische Hilfskräfte sind Vorgesetzte im Job zugleich oft diejenigen, die sie im Studium unterstützen sollen, sie benoten und prüfen. Was auf den ersten Blick ganz gemütlich anmutet, für eine Person zu arbeiten, die mensch ohnehin kennt und die auch noch ExpertIn für das eigene Studienfach ist, kann schnell in ein subtiles Erpressungsverhältnis umschlagen. Oft wird von den Hilfskräften verlangt "mal eben schnell" Dinge für die/den ProfessorIn zu erledigen, für die sie weder eingestellt worden sind, noch bezahlt werden. Die studentischen Hilfskräfte haben es schwer, sich gegen solche unbezahlten Arbeitsbelastungen zu wehren - sind sie doch in den meisten Fällen von der Benotung der Professor-Innen abhängig, und da gefährdet mensch das "gute Verhältnis" natürlich nicht gern. Ob wegen dieser oder anderer Probleme, die zwischen ArbeitnehmerIn und ArbeitgeberIn auftauchen, wünschenswert wäre zumindest eine Anlaufstelle für Rat und Hilfe, die die studentischen Hilfskräfte einer Hochschule in ihren Belangen unterstützt. Eine solche Anlaufstelle wird den Hilfskräften von ihren ArbeitgeberInnen derzeit pauschal verweigert. Genau so, wie mensch es
den studentischen Beschäftigten verweigert, ihre Arbeitsbedingungen in Form eines Tarifvertrages mitauszuhandeln, wird es auch nicht zugelassen, daß Hiwi-VertreterInnen die Einhaltung arbeitsrechtlicher oder tarifvertraglicher Bestimmungen überwachen. Es ist das Sparen an der Bildung, das hier auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die noch das letzte bißchen Geld brauchen, und in der Hochschulhierarchie ganz unten stehen.

Dabei kann es auch anders gehen. In Berlin haben es die studentischen Hilfskräfte schon vor vielen Jahren nicht mehr mit sich machen lassen und setzten einen Tarifvertrag durch. Davon, daß die Berliner Hochschulen deswegen schließen mußten, hat mensch dennoch nichts gehört.
Selbst wenn wir die Berliner Hilfskraftgehälter bundesweit durchsetzten: Es wären noch immer Peanuts, die für Hilfskräfte ausgegeben werden. – Bereits 1993 wurde ein Tarifvertrag für alle studentischen Beschäftigten in Deutschland ausgehandelt. Er ist von der ArbeitgeberInnenseite nie ratifiziert worden. Seither ließ mensch die studentischen Hilfskräfte nicht an der Einkommensentwicklung der anderen Bediensteten an den Hochschulen teilhaben. Den ohnehin schon niedrigen Reallohn der studentischen Hilfskräfte läßt man seit Jahren ins Bodenlose sinken: Der Richtlinien-Stundenlohn ist seit 1993 wortwörtlich um keinen Pfennig mehr erhöht worden, nicht einmal um Inflationsrate oder Preisanstieg. Auch an der äußerst mangelhaften sozialen und rechtlichen Absicherung der Hiwis wird nichts verändert, ein Tarifvertrag wird ihnen verweigert, und auch der Wechsel der Bundesregierung hat an alledem nichts geändert.

Wir fordern daher:

1. Einheitliche Bezahlung aller studentischen Hilfskräfte, auch an Fachhochschulen und anderen nicht-universitären Einrichtungen. Alle Tätigkeiten, die ein abgeschlossenes Grundstudium, Vordiplom o.ä. erfordern (z.B. Tutorien) werden ab sofort mit 21,09 DM pro Stunde bezahlt; alle anderen Tätigkeiten mit 19,52 DM pro Stunde. Automatische jährliche Mindestangleichung der Bezahlung an die Gesamtpreisentwicklung.
2. Garantierte Mindestbeschäftigungsdauer von insgesamt 4 Semestern; als Regelarbeitszeit 40 Stunden pro Monat sowie eine Verlängerung der Kündigungsfrist auf 1,5 Monate zum Semesterende.
3. Zuschläge für angeordnete Arbeit in der Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen sowie Urlaubs- Weihnachts- und Krankengeldzahlung in Anlehnung an den Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT).
4. Angemessene Anrechnung von Vor- und Nachbereitungszeit für Unterrichtstätigkeit, z.B. Tu-to-rien, und bezahlte Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen in der Arbeitszeit, z.B. methodische und
didaktische Fortbildung für TutorInnen.
5. Zuständigkeit von Personalräten für studentische Hilfskräfte, indem das Personalvertretungsgesetz (PersVG) auf die Hilfskräfte voll angewendet wird. Dementsprechend z.B. auch voll vergütete Freistellung der studentischen Hilfskräfte für den Zeitraum, in dem sie sich an der Verhandlung über ihren Tarifvertrag beteiligen sowie Recht auf Einsicht in die vollständigen eigenen Personalakten.

Wir fordern Sie auf, diese prekären Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst nicht mehr zu dulden. Setzen Sie sich bitte bei Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder im Wissenschaftsbereich für Tarifverträge ein – Tarifverträge, die eine soziale Sicherheit für Studierende bietet.

Mit freundlichen Grüßen



Johannes Bock
für den AStA der Ruhr Universität Bochum