Kulturindustrie & Ideologie
Nietzsche Kulturindustrie meint - seit der ›Dialektik der Aufklärung‹
von 1947 – jenen gesellschaftlichen Komplex, der weithin auch mit Massenkultur oder Massenmedien bezeichnet wird.
Die Begrifflichkeit ist dabei keineswegs zufällig. Wie Adorno später betonte, sei man darauf bedacht
gewesen, “von vornherein die Deutung auszuschalten, die den AnwältInnenen der Sache genehm ist: daß
es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt
von Volkskunst.” Um wenige Begriffe der Kritischen Theorie ranken sich
seither mehr interessierte Mißverständnisse als um den der Kulturindustrie. Daß zum Beispiel Adorno,
weil er von Kunst mehr und unter Kultur anderes verstanden hat, als die Kulturindustrie ihren ZeitgenossInnen zu
denken zuläßt, deshalb versnobt gewesen sei, ist noch der dürftigste Einwand von Leuten, die ihr
unverschuldetes Vergnügen an der Sache rationalisieren wollen. Aber auch unter den vielfältigen Kulturtheorien
herrscht Einvernehmen heute darin, daß die Thesen über Kulturindustrie wie auch immer veraltet seien:
nach einem Modell entwickelt, das zwar geschichtlich durchaus seine Berechtigung habe (man denke etwa an das rigide
Studiosystem im klassischen Hollywood), aber die gegenwärtige Gesellschaft nicht mehr fassen könne. Wer Kulturindustrie hört, denkt an Standardisierung,
Schematisierung, Reproduktion des Immergleichen, Massenbetrug. In der Tat verdankt sich die nicht erst für
heutige Ohren allzu radikale Kritik der sogenannten populären Kultur einer wundersamen Begegnung: Horkheimer
und Adorno, linke Intellektuelle, die der Faschismus nach Amerika verschlagen hat, treffen plötzlich auf ein
System, worin nicht nur, wie herkömmlich, das Ökonomische und Politische, sondern längst auch der
Bereich der privaten Reproduktion, der zwischenmenschlichen Beziehungen, des Genusses und nicht zuletzt des Denkens,
kurz jene Sphäre der Kultur, auf die man in der alten Welt noch alle Hoffnungen und Illusionen gesetzt hat,
in die Zuständigkeit des gesellschaftlichen Ganzen übergegangen ist. Die Muße wird als Freizeit
berechenbar gemacht und so wahrhaft zur schlechten Kehrseite der Arbeit: “Film, Radio, Magazine machen ein System
aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen. Die ästhetischen Manifestationen noch der politischen
Gegensätze verkünden gleichermaßen das Lob des stählernen Rhythmus.” Kulturindustrie wird
zum Inbegriff der integralen Gesellschaft, die jeden Ausweg versperrt, oder schlimmer noch: in der jeder mit Rosen
gepflasterte Ausweg umso tiefer ins Verhängnis zurückführt. Daß die Thesen über Kulturindustrie übertrieben
seien, weil sie etwa das Widersprüchliche und Widerständige daran glattbügelten, ist einer der geläufigsten
Einwände bis heute. Inwieweit er seine Berechtigung hat, womöglich sogar als Korrektiv eine zeitgenössische
Kritik der Kulturindustrie beflügeln könnte, wird zu diskutieren sein. Erstaunlich ist immerhin, wie
wenig die von anderer Seite in Anspruch genommene Differenzierung des Gegenstandes bei den Kulturindustriethesen
selber gelingt. Nicht nur wird deren theoretisches Fundament, die Marxsche Warenanalyse, häufig ignoriert
oder nach Art der Stillen Post überliefert. Auch die fünfzig Seiten ›Kulturindustrie‹, scheint es, werden
über die bekannten Schlagworte hinaus kaum mehr recht zur Kenntnis genommen, geschweige im Rahmen einer breiteren
Diskussion über die Kritische Theorie angemessen reflektiert. Dem hätte ein kritisches Interesse an der
Sache entgegenzuwirken. Warum das Konzept Kulturindustrie nicht unverändert, aber ungebrochen eine zentrale
Stellung in der Theorie spätkapitalistischer Vergesellschaftung einnimmt, als eine Art Scharnier zwischen
ästhetischer Theorie und Ideologiekritik des gesellschaftlichen Massenbewußtseins (des oft ebenso märchenhaft
interpretierten “Verblendungszusammenhangs”), wäre gleichermaßen aus dem geschichtlichen Kontext der
Kritischen Theorie zu entwickeln wie an der ihrem Selbstverständnis nach pluralen Kultur heute nachzuweisen. Im übrigen gilt ja auch andersherum, daß,
wer die Rede von Kulturindustrie für kalten Kaffee oder faulen Zauber hält, erst einen brauchbaren Hinweis
zu liefern hätte, wie einerseits ein beliebiges Produkt der Kulturindustrie zu subversivem Verhalten ermuntern
soll und warum andererseits daraus in der Breite nichts wird (die paar kulturbeflissenen Intellektuellen, die vielleicht
sogar aus antinationalen Motiven eine nicht vorgesehene Bedeutungsebene in ›Derrick‹ installieren, abgezogen);
warum also die von den Gestalten und Mißgestalten der populären Kultur ergriffenen Menschen auch weiterhin
mehrheitlich “für baren Unsinn das Martyrium erleiden” (Adorno), anstatt es etwa abzuschaffen. Das Seminar ist das nunmehr vierte einer Reihe zur
Kritischen Theorie (“Frankfurter Schule”), veranstaltet vom Arbeitskreis “rote ruhr uni” und dem AStA-Referat für
kritische Wissenschaften. Da nicht zuerst für ästhetische TheoretikerInnen gedacht, wird die Kritik der
Kulturindustrie auf Ideologiekritik allgemein hin ausgerichtet sein, auch um den gesellschaftstheoretischen bzw.
–politischen Kontext der Seminarreihe nicht aus den Augen zu verlieren. Der Besuch der vorhergehenden Veranstaltungen
und andere Schikanen sind ausdrücklich keine Teilnahmebedingung. Texte werden in kopierter Form bereitgestellt.
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